Anna-Lena von Hodenberg beschäftigt sich in ihrer Arbeit tagtäglich mit den Auswirkungen digitaler Gewalt. Warum sie dennoch zuversichtlich bleibt und an die Kraft zivilgesellschaftlichen Engagements für einen sicheren digitalen Raum glaubt, erklärt uns die HateAid-Chefin im Gespräch. Dabei geht es auch um die Frauen im Iran und das Thema Resilienz.

Was bedeutet das Wort Zuversicht in zwei Sätzen für Sie? 

Zuversicht ist für mich eine positive Grundeinstellung. Die Überzeugung, dass wir alle immer auch wieder glücklich werden können. Dass das Leben also etwas ist, das dunkle Momente haben, aber auch wieder hell sein kann und wird. 

Glauben Sie, uns fehlt das Bewusstsein, dass wir selbst etwas verändern können? 

Ja, ich glaube, dass das etwas aus dem Blick geraten ist, weil die großen Krisen uns das Gefühl geben, dass wir selbst keinen Unterschied mehr machen können. Viele fühlen sich erdrückt und machtlos. Um diesen Fokus zu verändern, ist es wichtig zu sehen, dass wir einen Unterschied machen können – sei es im Umgang miteinander, mit unserer Familie, Freund*innen oder sei es, weil wir uns politisch, gemeinschaftlich oder zivilgesellschaftlich organisieren. Auch wenn diese Veränderungen klein sein mögen, zeigen sie uns, dass wir Dinge in unserem unmittelbaren Lebensumfeld beeinflussen können. Und das gibt uns Zuversicht. 

Würden Sie sagen, dass man sich Zuversicht verdienen muss? 

Nein. Ich glaube, Zuversicht ist eine Grundeinstellung und ein bestimmter Blick auf die Dinge. Ich bin ein zuversichtlicher Mensch, aber ich bin nicht konstant zuversichtlich, sondern ich habe auch Momente, in denen ich keine Antwort darauf habe, wie es weitergehen soll. Das ist schwer auszuhalten. Dann halte ich mich förmlich an einer zuversichtlichen Grundhaltung fest und sage mir: Es gibt immer eine Chance darauf, wieder glücklich zu werden. Dafür kann ich etwas tun, aber das muss ich mir nicht verdienen. 

Glauben Sie, dass es heutzutage im öffentlichen Diskurs mehr Meinungen gibt als noch vor zehn Jahren? 

Nein, aber wir leben im Zeitalter der digitalen Medien, dadurch sind wir mehr Meinungen ausgesetzt und können mehr Meinungen senden. Interessant ist, dass sich mittlerweile Stimmen zu Wort melden, die vorher leise waren oder unterdrückt wurden. Das ist eine Art digitale Revolution. Diese Meinungsvielfalt gab es zwar schon vorher, aber Menschen haben in den sozialen Medien die Möglichkeit, selbst darüber zu bestimmen, wann sie welche Meinung senden. Das führt zu mehr Repräsentanz. Die Kehrseite davon sind aber auch vermehrt Desinformation und gewaltvolle Meinungen. Darin liegt die Herausforderung für unsere Gesellschaft: Wir müssen lernen, mit dieser Komplexität umzugehen. 

Denken wir insgesamt polarisierter als noch vor einigen Jahren? 

Wir erleben immer wieder Wellen. Polarisierungen entstehen, weil wir uns großen gesellschaftlichen Herausforderungen stellen müssen. Bestehende Strukturen und Machtgefüge werden kritisch hinterfragt, das löst auch Abwehrhaltungen aus. Umso wichtiger ist es, dass wir als Gesellschaft diese Prozesse aktiv gestalten. Ich möchte nicht nur Brände löschen. Ich möchte, dass wir gemeinsam überlegen, wohin wir uns als Gesellschaft entwickeln. Zum Beispiel im digitalen Raum: Wir schauen auf die sozialen Medien, als seien sie uns einfach mal so passiert. Als müssten wir sie so hinnehmen, wie sie sind. Dabei könnten wir auch darüber nachdenken, wie wir uns den digitalen Kommunikationsraum eigentlich wünschen und wie soziale Medien aussehen müssten, damit sich alle dort sicher fühlen. Es braucht eine positive Vision, nicht nur ein Verwalten von Missständen. 

Sie erleben in Ihrem Arbeitsalltag viel Negatives. Etwa wie Menschen von Hass und Schmähungen betroffen sind. Wie bleiben Sie dabei zuversichtlich? 

Durch das Gefühl von Wirksamkeit. Weil wir sehen, dass sich durch unsere Arbeit bei HateAid wirklich Dinge verändern, dass sich Institutionen anders verhalten. In Brüssel haben wir jetzt ein paar Themen eingebracht. Das hätte ich noch vor ein paar Jahren so nicht erwartet. Wir sehen jeden Tag in der Beratung, dass wir Menschen tatsächlich dabei unterstützen können, sich nicht aus dem digitalen Raum herausdrängen zu lassen. Dass wir Gehör finden bei Strafverfolgungsbehörden und Entscheider*innen in der Politik. Und wir Stück für Stück auch strukturelle Veränderungen anstoßen, um Menschenrechte im digitalen Raum zu schützen. Solange ich sehe, dass wir etwas verändern, halte ich auch Rückschläge bei den Spenden oder der Finanzierung aus. 

Und wo wünschen Sie sich mehr Zuversicht? 

Ich wünsche mir, dass mehr Menschen daran glauben, dass sie durch einzelne Handlungen in ihrem Umfeld Dinge verändern können. Das meine ich bezogen auf die großen Krisen. Aber das meine ich auch, wenn ich auf den digitalen Raum blicke, wo wir immer wieder hören: „Das ist halt so bei Facebook“, oder wenn Leute akzeptieren, sich einfach ihre ganzen Daten absaugen zu lassen. Wenn die Menschen auch wegen solcher Themen auf die Straße gehen, kann sich etwas ändern. Wir müssen die Dinge nicht so hinnehmen, wie sie sind – wir können den digitalen Raum durch zivilgesellschaftliches Engagement mitgestalten und verändern. 

Wie kann man im Alltag zuversichtlicher sein? 

Mich stimmt es zuversichtlich, wenn ich von Menschen lese, die sich durchgekämpft haben. Die resilient sind und nicht aufgeben. Auch wenn sie oft genug kurz davor sind. Dieser Blick auf andere inspiriert. Dass Menschen miteinander, wenn sie sich verbinden, auch in schlimmen Situationen wieder Wege finden können. 

Wie die Frauen im Iran. Genau das ist ja die Situation dort: diese unfassbare Aussichtslosigkeit, die Lebensgefahr. Und trotzdem sagen viele Frauen: Ich gehe jetzt raus. Denn so leben will ich nicht. 

Das kann uns nur Mut machen. Der Mensch ist zu vielen Dingen in der Lage – zu den schlechtesten und den besten Dingen. Wir können uns zutrauen, etwas zu tun. Auch wenn wir es vorher selbst nicht glauben. Ich bin mir sicher, dass die Frauen im Iran vorher nicht gedacht hätten, wozu sie jetzt fähig sind. 

(Cara Seeberg räuspert sich) Hier mal eine persönliche Perspektive: Ich bin Deutsche mit persischen Wurzeln. Mein Opa hat immer zu mir gesagt, es kommt der Tag, da werden die iranischen Frauen eine Revolution beginnen. Wenn es ihnen reicht, dann reicht es ihnen und dann geht es um alles. Das trifft einen Nerv. Es ist vor allem eine Frauenbewegung, wenn auch durch Unterstützung vieler iranischer Männer. 

In Zeiten, in denen wir von feministischer Außenpolitik sprechen, trifft das wirklich einen Nerv. Diese Frauen werden in die Geschichte eingehen und die Geschichte neu schreiben. Das zu wissen, gibt mir auch Zuversicht. 

Wenn es eine Sache auf der Welt gäbe, die Sie sofort ändern könnten, welche wäre das? 

Ich würde Kinderarmut und Kindesmissbrauch abschaffen. Bei allem, womit ich mich beschäftige, gilt: Wenn wir unsere Gesellschaft verändern wollen, müssen wir uns ansehen, wie wir mit unseren Kindern umgehen. Seien es toxische Männlichkeit, sexualisierte Gewalt, abwertende Frauenbilder, seien es Kinderarmut oder Gewalt gegen Kinder. Diese Kinder werden irgendwann groß und nehmen das Erlebte mit in die Gesellschaft von morgen.

Das Gespräch führten Philipp Neuenfeldt und Cara Seeberg.

Anna-Lena von Hodenberg ist gelernte Journalistin und arbeitete u. a. für RTL und den NDR. 2018 gründete sie gemeinsam mit Campact e. V., Fearless Democracy e. V. und einem gegen rechte Gewalt engagierten Volljuristen die HateAid gGmbH. Die von ihr geführte gemeinnützige Organisation setzt sich für Menschenrechte im digitalen Raum ein. Ihr Ziel: das Netz zu einem positiven Ort zu machen, in dem demokratische Werte für alle gelten. HateAid unterstützte bisher mehr als 2.700 von digitaler Gewalt Betroffene.

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