Yasmine M’Barek bewegt sich als Journalistin zwischen großer Politik und Popkultur. Welche Rolle sie dabei einnimmt, woran unsere Demokratie hauptsächlich krankt und welche Bedeutung der Aufmerksamkeitsökonomie im Kontext der nächsten Bundestagswahl zukommt, hat sie im Gespräch mit uns berichtet.

Mit Ihrer journalistischen Arbeit decken Sie eine breite Themenpalette ab. Müssten Sie sich für einen Fokus entscheiden, wären das eher popkulturelle oder politische Themen?

Politik. Sie ist stets mit allem verknüpft und fasziniert mich. Selbst wenn ich über den Kleidungsstil von Friedrich Merz schreibe, berührt das politische Dimensionen. In einer Welt, die von Krisen geprägt ist, sehe ich die Popkultur möglicherweise als weniger beständig an. Kurz gesagt: Beim Aufstehen am Morgen interessiert mich in erster Linie, was politisch vor sich geht.

Ihr beruflicher Werdegang ist bemerkenswert. Gibt es bestimmte Momente, die Sie als entscheidend für Ihre Karriere ansehen?

Es gibt zwei entscheidende Punkte. Erstens, mich von identitätspolitischen Themen zu distanzieren. Oftmals spielt das Aussehen im Journalismus eine Rolle. Mein radikaler Schritt, diese Themen nicht mehr zu behandeln, ermöglichte es mir, ohne Fokus auf meinen eigenen Hintergrund oder meine Persönlichkeit einfach nur Politikjournalismus zu machen. Zweitens, die Entscheidung für das Medium Zeit und Zeit Online. Das erlaubte mir, das zu tun, was ich wirklich wollte.

2024 ist ein echtes Superwahljahr. Wie blicken Sie auf dieses Jahr der Entscheidungen?

Dieses Jahr zeigt deutlich die Konsequenzen auf, die aus dem dauerhaften Aufschieben großer Themen entstehen. In der Analyse ist klar, woran es liegt. Zum einen ist es die postpandemische wirtschaftliche Instabilität, zum anderen Krisenherde, die immer wieder für ein Rütteln sorgen, welches man nicht vorhersehen kann. Darauf ist der Weste oftmals nicht vorbereitet. Das sorgt dann aber dafür, dass man bei Wahlen immer wieder vor diesen großen Themen steht. Zur Aufarbeitung fehlt es an einer gesunden Schuld- und Aufarbeitungskultur in der Politik. Dafür zahlen wir den Preis und ich glaube, mit dieser Wahrheit müssen wir uns dieses Jahr konfrontieren.

Olaf Scholz könnte noch vor den Wahlen Mut beweisen.

Wann hätten da schon vorher andere Entscheidungen fallen müssen?

Wir haben ein großes, wenig diskutiertes Problem: die kurzen Abstände zwischen den Wahlen. Sie sorgen dafür, dass man sich immer zu den wichtigsten Zeiten im Wahlkampfmodus befindet. Jede Bundesregierung hat vielleicht ein Jahr, in dem Entscheidungen getroffen werden können, die langfristig positive Resultate erzielen und nicht beeinflussen, was die Wähler am Ende denken. Die Ampel war hauptsächlich mit Krisen beschäftigt und jetzt wird versucht, aufzuräumen. Eigentlich hätte die Ampel das Asset gehabt, auch inhaltlich wegweisende Entscheidungen in der Energie- und Klimapolitik zu treffen, die uns in zwei, drei Jahren retten könnten. Das gilt auch für die letzten Jahre von Angela Merkel. Es gab Momente, in denen sie mehr Mut hätte zeigen können, besonders während der Pandemie. Auch Olaf Scholz könnte noch vor den Wahlen Mut beweisen. Man müsste aber aufhören, dauernd lauten Stimmen zu folgen. Politiker wie Robert Habeck könnten noch den richtigen Moment finden, um das anzugehen.

Hat die aktuelle Bundesregierung noch die Stärke, unbequeme Entscheidungen zu treffen?

In meinen Augen ist Olaf Scholz wahnsinnig selbstbewusst. Die Bundesregierung könnte viel erreichen, aber sie schaut zu sehr auf Konflikte, die uns eigentlich innenpolitisch nur bedingt interessieren. Entscheidungen müssen auch stehen bleiben können, anstelle sich von verschiedenen Seiten zum Umlenken animieren zu lassen. Auch Olaf Scholz bessert ständig nach und gibt Interviews, um Dinge klarzustellen. Die FDP macht es der Bundesregierung schwer, ihre Stärke auszuspielen. Sie nimmt eine seltsame Königsmacherposition ein, die sie eigentlich nicht hat, obwohl ihr aktuelles Verhalten bedeuten könnte, dass sie beim nächsten Mal nicht mehr dabei ist – weder im Bundestag noch in einer Regierung.

In ganz Europa spüren wir einen rauen Wind. Alle sprechen über die gesellschaftliche und demokratische Verantwortung. Wie begreifen Sie Ihre Rolle als Journalistin und Meinungsführerin in dieser Situation?

Insgesamt geht es uns verhältnismäßig gut. Diese Panik, für das Richtige einzustehen, ist ein Privileg. Als Journalistin sehe ich es als meine Aufgabe, nicht ständig den Teufel an die Wand zu malen, sondern auch zu zeigen, wo es richtig funktioniert, und immer wieder an das Inhaltliche zu erinnern. Im Podcast „Ehrlich jetzt?“ lasse ich Politiker selbst Themen platzieren und gehe in die Tiefe. Es ist wichtig, einander zuzuhören, anstatt schnelle polarisierende Aussagen zu treffen. Deutschland ist ein sehr politisches und aktives Land. Die Corona-Demonstrationen, die Klimabewegung, Streik in der Pflege oder auch kleine, marginalisierte Gruppen, die seit Jahren Aktivismus zu bestimmten Themen betreiben, zeigen das. Wir müssen jedoch auch genauer hinsehen und schauen, wo wir Menschen besser schützen müssen. Das ist es, womit ich mich beschäftige.

Die Protestkultur scheint sich über die letzten Jahre in Deutschland verändert zu haben. Wie nehmen Sie die aktuell geführten Debatten wahr?

Ich finde es wichtig, dass solche Proteste nach außen getragen werden, weil sie ein realistisches Bild davon geben, was innerhalb der Gesellschaft passiert. Der Pluralismus an Protesten, den wir gerade erleben, macht sichtbar, dass viele Menschen wahnsinnig unzufrieden sind. Er gibt uns die Chance, uns mit Fragen wie Radikalität und unseren Werten auseinanderzusetzen. Wenn Menschen nicht gut informiert sind, wird mit Begriffen um sich und werden Dinge in einen Topf geworfen. Die Bundesregierung muss das aufgreifen und einen klaren Standpunkt beziehen.

Vielfalt abzubilden kann anstrengend sein, aber es ist ein zentraler Teil unseres Jobs.

Was könnte im Journalismus dabei besser gemacht werden?

Die Aufgabe besteht darin, alles abzubilden. Dazu gehört auch, diejenigen Meinungen, die möglicherweise falsch oder undemokratisch erscheinen, gleichwertig zu berücksichtigen, um sie besser verstehen und analysieren zu können. Bei den Corona-Protesten haben wir das falsch gemacht. Wir hätten hier viel schneller entkräften können, indem wir diesen Raum ohne pauschale Moralurteile früher gegeben hätten. Es ist wichtig, alles zu erklären, ohne populistisch zu arbeiten. Polarisierung mag zwar attraktiv sein, aber entscheidend ist, verschiedene Standpunkte aufzuzeigen und in Perspektive zu setzen. Diese Vielfalt abzubilden kann anstrengend sein, aber es ist ein zentraler Teil unseres Jobs.

Die Institutionalisierung von Protest sehen wir aber auch in manchen Parteien. Es scheint, als kämen immer mehr Parteien am Rand hinzu. Welche Konsequenzen ziehen Sie daraus?

Es ist gut, wenn Menschen dieses Instrument nutzen. Es ist ein demokratisches Mittel und ermöglicht eine bessere Überwachung, teilweise auch durch die Parteifinanzierung. Doch wir müssen uns auch fragen, was genau bei extremistischen Gruppierungen passiert. Das Aufkommen von Protestparteien (zu der ich die AfD nicht zähle) bedeutet, dass es kein Warnschuss mehr ist, sondern eine Konsequenz. Eine aufgespaltene demokratische Mehrheit macht es schwieriger, eine Mehrheit für eine demokratische Mitte zu generieren. Die etablierten Parteien müssen eigentlich schauen, warum sie es nicht geschafft haben, diese Spaltung zu verhindern. Die Frage, ob mit der AfD oder anderen Parteien koaliert wird, muss gestellt werden – und klar beantwortet werden, von Demokraten, mit einem Nein. Es ist wichtig, sich mit diesem Splitterfaktor auseinanderzusetzen, ohne das damit einhergehende Spannungsfeld zu unterschätzen. Wir müssen aufpassen, wie stark wir solche Entwicklungen forcieren.

Wir wollen einen weniger journalistischen Blick in die Glaskugel werfen: 2025 steht die Bundestagswahl an. Wie wird sie ausgehen? Wer wird das Rennen für sich entscheiden?

Unser Land hat ein Faible für Aufmerksamkeitsökonomie. Daher könnte es wie schon im Laufe des letzten Wahlkampfes ein ständiges Auf und Ab geben. Die Wahl könnte auf Habeck, Merz, Söder, Scholz oder einen anderen fallen. Wird es Schwarz- Grün, Schwarz-Rot oder vielleicht doch eine Ampelkoalition? Es ist schwer vorherzusagen, wie stark die AfD, das Bündnis Sahra Wagenknecht oder andere Parteien abschneiden werden. Voraus- sichtlich werden wir keine klare Mehrheit sehen. Die politische Landschaft wird weiterhin fragmentiert sein. Ich denke, Kanzler wird im kommenden Jahr ein Mann. Es wird auf die Kampagnen ankommen, wie präsent die Leute sind und wie sehr uns der Angriffskrieg auf die Ukraine noch beeinflussen wird. Sie merken, der Ausgang ist momentan schwer vorherzusagen, aber ich hoffe auf eine positive Entwicklung.

Yasmine M’Barek ist Journalistin und Sozialwissenschaftlerin. Seit fünf Jahren prägt sie die deutsche Medienlandschaft als ZEIT-ONLINE-Redakteurin, Podcasterin und mit regel- mäßigen Talkshowauftritten. Sie schreibt präzise Mode- und Stilkritiken, seziert die deutsche Innenpolitik oder spricht im ZEIT-Podcast „Ehrlich jetzt?“ mit dem Who’s Who der Politik. In ihrem Buch „Radikale Kompromisse“ hält sie ein Plädoyer für die gesellschaftliche Mitte. In „Protest“ betrachtet sie, mit welchen Arten von zivilem Ungehorsam die besten Ergebnisse erzielt werden können. M’Barek besuchte die deutsche Journalistenschule für Politik und Wirtschaft in Köln.

Bildnachweis © Bernd Brundert