Am 2. Oktober 2019 startete Wien Energie seine Digital Public Affairs-Plattform positionen.wienenergie.at. Als erstes österreichisches Unternehmen macht es damit seine politischen Positionen transparent und stellt sich dem Dialog on- und offline. 365 Sherpas hat Wien Energie bei diesem Projekt unterstützt. Ein Gespräch mit Public Affairs-Teamleiter Tobias Rieder und Projektleiterin Lisa Henhofer über die Hintergründe und Entstehung.

365 Sherpas: Eure digitale Public Affairs-Plattform ist seit gut vier Wochen online. Wie war der Launch?

Tobias Rieder: Am Ende gibt es natürlich immer noch etliche Handgriffe zu tun und es wird etwas stressig. Aber wir konnten planmäßig am 2. Oktober um 09.00 Uhr launchen und sind sehr zufrieden.

365 Sherpas: Wie sind die ersten Rückmeldungen?

Lisa Henhofer: Absolut positiv. Überraschenderweise haben sich auch Menschen gemeldet, die gar nicht unsere erste Anspruchsgruppe waren. Unsere primäre Zielgruppe waren neben unseren externen Stakeholdern in Ministerien, Parlament und Vertretern der Energiewirtschaft ja auch aus den ca. 70 Kollegen, die für Wien Energie in Verbänden sitzen. Dass die Plattform aber viel mehr Menschen in ihrer täglichen Arbeit nutzen – intern wie extern –, darüber freue ich mich besonders.

Tobias Rieder: Auch wir nutzen es im Team intensiv. Ich bin überrascht, wie oft ich selbst drauf zugreife, weil ich auch nicht alle Zahlen immer im Detail im Kopf habe und hier von überall schnell nachschauen kann.

365 Sherpas: Hat es sich ausgezahlt, dass ihr eure Stakeholder in den Entstehungsprozess involviert habt?

Lisa Henhofer: Auf jeden Fall. Im Sommer haben wir begonnen den Entwurf der Seite herzuzeigen und uns Feedback eingeholt. Sowohl von unseren Kollegen bei Wien Energie als auch von externen Leuten, z.B. parlamentarischen Mitarbeitern, haben wir so sehr guten Input bekommen – zum Beispiel der Bedarf einer Druckfunktion. Daran hätten wir bei einer digitalen Plattform nicht gedacht.

365 Sherpas: Welche Überlegung stand bei euch am Anfang? Wie verlief der Prozess?

Tobias Rieder: Am Anfang gab es den Wunsch mit einem digitalen Tool zu arbeiten – das war aber eine lose Idee. Von einem Kongress in Berlin sind wir dann mit einer Vorstellung zurückgekommen, was möglich ist. Teile davon haben wir verworfen, andere verwirklicht und weiterentwickelt. Wir müssen auch zugeben, dass wir zu Beginn unterschätzt haben, welche Detailfragen auf uns zukommen – von jedes einzelne Wort wird genau abgewägt bis zum Schreibstil für Online-Texte.

Lisa Henhofer: Das Projekt ist sicher gewachsen. Zu Beginn haben wir es im kleineren Kontext, eher als statische Seite gesehen. Im Prozess wurden dann immer mehr Ideen entwickelt, damit die Seite dynamisch wird und einen topaktuellen Service bietet.

Tobias Rieder: Zwei Dinge haben uns definitiv geholfen. Zum einen, die professionelle Begleitung durch eine Agentur (Anm. 365 Sherpas), die mit Digital Public Affairs schon Erfahrung hatte und die Prozesse in einem solchen Projekt strukturieren konnte.

Zum anderen ist es der Mut von Wien Energie. Wir waren in der glücklichen Situation, dass wir von der Leiterin von Public Affairs, Astrid Salmhofer, viele Freiheiten hatten und auch experimentieren durften. Sie hat uns dazu ermuntert, einen neuen Weg zu gehen. Die Thematik ist ja nicht ganz unheikel und wäre in einem anderen Unternehmen sicher so nicht möglich gewesen. Und dass während der Umsetzung auch die Klimadebatte so relevant wurde, hat natürlich die Aufmerksamkeit noch mal erhöht.

365 Sherpas: Diese Themenlage kommt euch ja zurzeit sehr entgegen. Aber genau hier gelangt man auch zu einem Vorwurf an digitale Public Affairs-Plattformen von Unternehmen – nämlich, dass es sich um eine selektive, selbst gesteuerte Transparenz handelt. Nur die genehmen Themen werden öffentlich diskutiert. Was ist da euer Ansatz?

Tobias Rieder: Der Anspruch war von Anfang an folgender: Wenn wir das machen, dann richtig. Wir haben nur einen einzigen Filter, nämlich ob es irgendjemanden in der öffentlichen Debatte interessiert. In der Energiewirtschaft diskutieren wir auch viele technische Details, wo es um den vierten Wert hinter der Kommastelle geht. So was würden wir dann aufgrund der fehlenden Relevanz solcher Details weglassen. Das ist aber auch der einzige Filter, den wir einziehen.

Lisa Henhofer: Wir haben kein Thema ausgelassen. Zu gewissen Themen haben wir aber schlicht noch keine Position – eventuell, weil wir noch in dem Meinungsbildungsprozess sind, oder, weil es uns als Randthema einfach nicht wirklich betrifft. Der Druck, sich zu allem zu positionieren, ist aber auf jeden Fall gegeben.

365 Sherpas: Habt ihr nie gedacht, es hätte ja auch einfach gereicht, die Positionspapiere als PDFs online zu stellen, wie es andere Public Affairs-Abteilungen auch machen?

Tobias Rieder: Die Idee ist, mehr zu bieten als nur das reine Nachlesen von Positionen – andere Unternehmen machen ja noch nicht einmal das. Die Plattform soll Hintergründe erläutern, den rechtlichen Status Quo zeigen, aber auch Ziele und Wege für die Zukunft präsentieren – kurzum sie soll unsere Positionen einbetten und letztlich so auch erklären.

Das sollte übrigens generell der Standard für die Public Affairs-Arbeit sein und ist die Grundvoraussetzung für jeden Dialog. Nur Positionen zu zeigen, reicht weder im persönlichen Gespräch noch auf einer digitalen Plattform.

365 Sherpas: Wenn ihr nun eure Arbeitsweisen anseht, was hat sich durch die Arbeit mit der Plattform am meisten verändert?

Tobias Rieder: Die Flexibilität und Reaktionsfähigkeit haben sich extrem erhöht. Wenn bei einem Fachgespräch doch zu einem anderen Thema als geplant diskutiert wird, haben wir trotzdem alle Informationen, Grafiken und Zahlen immer parat.

Das heißt aber auch, dass wir viel früher im Arbeitsprozess schon dessen Aufbereitung mitdenken müssen. Hier hilft die Schnittstelle zur Newsroom-Struktur in unserem Unternehmen sehr.

365 Sherpas: Zum Abschluss: Wie geht es weiter? Wo wollt ihr mit der Plattform hin?

Tobias Rieder: Es gibt mehrere Ausbaustufen. Jetzt wo die Plattform da ist, wollen wir sie weiterentwickeln – z.B. beginnen wir, Videos und Fotomaterial von Wien Energie-Veranstaltungen zu den Themen einzubetten. Eventuell machen wir auch einmal ein Interview-Format mit Politikern. Auf jeden Fall haben wir KPIs – eine Mischung aus quantitativen und qualitativen Indikatoren, die wir definiert haben, im Blick und lassen die Plattform auch durch euch evaluieren.

365 Sherpas: Vielen Dank für das Gespräch!