Peter Tauber kennt Schwäche, aber auch Zuversicht und Mut. Alles hat der ehemalige CDU-Generalsekretär und Verteidigungsstaatssekretär hautnah erlebt. Wir treffen ihn an einem sonnigen Wintermorgen und sprechen mit ihm über Mutmacher:innen, toxische Seiten der Politik und Harry Potter.

Herr Tauber, was war Ihr letzter persönlicher Zuversichtsmoment?

Gott sei Dank habe ich jeden Tag welche, weil ich inzwischen versuche, meinen Fokus zu ändern. Da hat es mir geholfen, ein Buch über Mutmacher:innen zu schreiben. Beim Stichwort Zuversicht fällt mir zuletzt die Zeit ein, die ich mit meiner Schwester auf Promotour für das Buch verbracht habe. (Steffi Tauber lebt mit Multipler Sklerose und ist eine der Protagonist:innen in Taubers Buch „Mutmacher“, Anm. d. Red.) Wir waren so lange zusammen wie ewig nicht. Meine Schwester ist einfach cool. Als großer Bruder war ich stolz auf sie.

Sie haben gesagt, Sie haben den Fokus verlagert. Wie meinen Sie das?

Ich war mit Leib und Seele Politiker. Aber im politischen System gibt es einige toxische Elemente. Dazu gehört der absolute Wunsch nach Kontrolle. Wissend, dass es die gar nicht gibt. Es geht bei der Kommunikation los, bei der Art, wie man auftritt. Nicht im falschen Moment fotografiert werden, keinen Tweet absetzen, der missverständlich ist und einem später auf die Füße fällt. Dagegen arbeitet man ständig an, versucht, alles zu kontrollieren. Das ist ein Hamsterrad, aus dem man nicht rauskommt. Und es verstellt den Blick für die Dinge, die wirklich wichtig sind, sowohl im politischen Diskurs als auch in der Wahrnehmung von Menschen. Ich habe lange gebraucht, um mich von gewohnten Mustern zu lösen.

War das ein bewusster Prozess?

Nein. Ich habe ja aus gesundheitlichen Gründen aufgehört. Dann dachte ich: Jetzt kümmerst du dich darum, dass dein Körper gesund wird, dann geht das Neue los. Aber ich habe völlig unterschätzt, wie stark mich diese zwölf Jahre im Bundestag als Generalsekretär und als Staatssekretär im Verteidigungsministerium geprägt haben. Die Zeit, um mich neu zu sortieren, habe ich mir erst jetzt richtig genommen. 

Sie haben spüren gelernt, was es bedeutet, Grenzen zu haben. Körperlich, aber auch mental. Wie blicken Sie mittlerweile auf die gesellschaftliche Akzeptanz von Schwäche? 

Es gibt wenig, was einen in der Politik schützt – und so ironisch das jetzt klingt: Krankheit schon. Trotzdem dachte ich: keine Schwäche zeigen. Du darfst nicht darüber reden, dass du krank bist. Und was du hast, soll keiner wissen. Dann kam aber der Moment, wo ich mir sagte: Jetzt musst du dich öffnen und sagen, was los ist. Was dann kam, fand ich beeindruckend. Ganz viele Menschen waren sehr empathisch. Mir wurde klar, dass wir über Schwächen öffentlich sprechen sollten. Meine Geschichte hat ja ein Happy End – das wollte ich weitertragen, wollte Mut machen. Und die Menschen, die ich dann für das Buch porträtiert habe, sind Menschen, die weitgehend noch nicht öffentlich wahrgenommen wurden, aber eine beeindruckende Geschichte haben.

Warum brauchen wir gerade heute Mutmacher:innen?

Man kann verzagt sein, wenn man morgens Radio hört. Nach den Nachrichten im Deutschlandfunk möchte man eigentlich ausschalten und den Rest des Tages seine Ruhe haben. Es ist verstörend, was in unserer Welt passiert. Deshalb brauchen wir Beispiele von Menschen, die handeln, und zwar sowohl für sich selbst als auch für andere. Alle zwölf, die mit ihrer Geschichte im Buch vorkommen, sagen: Ich mache nichts Besonderes. Aber das stimmt nicht. Sie alle haben eine Idee, eine Überzeugung, ein Problem. Und indem sie es lösen, setzen sie Kräfte frei, die sie selbst gar nicht so außergewöhnlich finden. Aber das Gefühl kennen wir wahrscheinlich alle. Wenn es uns um etwas geht, machen wir es einfach und meistens klappt es. Wenn wir uns das bewusst machen würden, wären wir weiter. 

In Ihrer Zeit als Generalsekretär haben Sie sich – auch aus strategischen Gründen – schon an die Seite von Gruppen gestellt, die in der CDU unterrepräsentiert waren: junge Menschen, Frauen, Menschen mit Migrationshintergrund. Was motiviert Sie, Brücken zu bauen?

Mein Bemühen, die CDU zu öffnen, hat zu heftigen Kontroversen geführt. Die Älteren in der Partei fühlten sich beiseitegeschoben. Es ist mir leider nicht gelungen, die Geschichte so zu erzählen, dass sich alle mitgenommen fühlten. Da hat es also nicht geklappt, eine Brücke zu bauen. Dass die Union jünger, weiblicher und bunter werden muss, sagen inzwischen mit anderen Worten aber heute auch die Parteivorsitzenden der beiden Unionsparteien. (Pausiert)

Ehrlich gesagt, habe ich auch manchmal die Neigung, eine Gegenposition einzunehmen, wenn mir etwas festgefahren oder einseitig erscheint. Wenn ich mit einem überzeugten Veganer am Tisch sitze, kann es passieren, dass ich sehr deutlich sage, dass ich gern Fleisch esse. Und es kann sein, dass ich zwei Stunden später einem überzeugten Fleischesser ein flammendes Plädoyer halte, dass wir viel zu viel Fleisch konsumieren. Das ist für mich kein Widerspruch, weil ich mit extremen Positionen nichts anfangen kann. Ich bin lieber in der Mitte und schaue in alle Richtungen. Von der Mitte aus kann man in alle Richtungen eine Brücke bauen.

Ist eine Gesellschaft zuversichtsfähiger, wenn sie individuelle Schwächen akzeptieren kann?

Ja. Aber da ist noch Luft nach oben. Schauen wir auf die Rollenbilder, mit denen wir aufwachsen. Die Rolle der Frau verändert sich, es entstehen Perspektiven und Möglichkeiten, die die Generation meiner Mutter definitiv nicht hatte. Wir Männer bleiben aber in einer Art Framing gefangen. Schauen Sie sich an, mit welchen Helden und Vorbildern Jungen heute groß werden. Das ist ganz anders als bei den Mädchen. Da ist immer noch der Held, der leiden muss, um erfolgreich zu sein. Das gilt für alle großen Helden: von den Marvel Comics über den Herrn der Ringe bis zu Harry Potter. Im entscheidenden Moment sind sie alle allein. Ja, es gibt Ron und Hermine, aber am Ende muss sich Harry alleine Voldemort stellen. Und Frodo muss den Ring auch allein in den Schicksalsberg werfen. Das ist nicht gut, denn es vermittelt uns, dass das Leiden eine Voraussetzung für den Erfolg ist. Und wir uns als Einzelkämpfer beweisen müssen. Dabei gelingt in Wahrheit im Team viel mehr. 

Sie sind promovierter Historiker. Anfang des Jahres haben Sie ein Projekt gestartet: Unter @krisenjahr1923 posten Sie auf Twitter jeden Tag Einblicke ins Deutschland des Jahres 1923, die Zeit vor hundert Jahren. Eine Phase voller Unruhen. Sie teilen beispielsweise Zeitungsausschnitte oder Tagebucheinträge. Welche Idee steht hinter dem Projekt?

1923 war ein Jahr der Gleichzeitigkeiten. Wir haben heute eine ganz andere Wahrnehmung als die Zeitgenossen. Wir sehen vor allem den Hitlerputsch, den Angriff auf die Republik. Das liegt an der Nazizeit und allem, was nach 1933 kam. Im Jahr 1923 selbst passiert aber noch viel mehr: Es gibt kommunistische Aufstände in Sachsen, Thüringen und Hamburg, die Ruhrbesetzung mit vielen Toten, der Hass zwischen Deutschen und Franzosen, der sich vertieft, sowie die Hyperinflation. Und doch ist es nicht nur ein Jahr der Krise. Die Weimarer Republik schafft zum ersten Mal eine Art Mieterschutzgesetz. Es gibt ein Gesetz zur Integration von Schwerbehinderten in den Arbeitsmarkt. In Berlin wird die erste LGBTQ-Vereinigung gegründet. Und dann gibt es noch die individuellen Perspektiven. Auch damals waren Menschen glücklich und haben gelebt, trotz aller Not und Krisen. Auf Twitter möchte ich die Vielseitigkeit dieser Zeit zeigen. 

Was können wir heute daraus lernen? 

Zunächst einmal lernen wir, dass die Demokratie nicht automatisch gewinnt. Denn nach 1923 kommt 1933. Es gibt viele Historiker, die sagen, dass 1923 so schlimm für die Menschen war, dass sich die Republik zwar in dem Moment behauptete, aber das Vertrauen der Menschen auf Dauer verloren hatte.
Man muss Geschichte offen erzählen, denn wir wissen heute ja auch nicht, was morgen kommt. So ging es den Zeitgenossen damals auch. Und 1923 gewinnt die Republik. Das ist eigentlich eine starke Geschichte. Demokratie muss kämpfen, aber sie kann gewinnen, auch wenn sie attackiert wird. 

Wir leben in Zeiten der Multikrise: ein Krieg in Europa, immer noch die Ausläufer der Corona-Pandemie, Energiekrise, Inflation. Was sollte Politik tun, um die Menschen durch diese unsicheren Zeiten zu begleiten und dabei nicht an Radikale zu verlieren?

Wir brauchen eine viel klarere und leichter verständliche Kommunikation. Gerade in Krisenzeiten wünschen sich Menschen eine Reduktion von Komplexität. Das ist in Zeiten der Digitalisierung aber schwer leistbar. Kritisch zurückschauend und mit Blick auf heute würde ich sagen, dass das ein Manko der Kanzlerschaft von Angela Merkel war und auch der aktuellen Kanzlerschaft von Olaf Scholz ist. Sie erklären beide ihre Politik zu wenig. Politische Entscheidungen, die auf Veränderungen ausgelegt sind, sorgen immer für Widerspruch. Die Politik müsste sich viel mehr Zeit nehmen, um zu erklären. Gleichwohl muss ich Angela Merkel und Olaf Scholz dann doch ein wenig in Schutz nehmen: In dem Moment, in dem ich ein Problem löse, habe ich viel weniger Zeit für Kommunikation als derjenige, der nur am Wegrand steht und meckert. Wir müssen erkennen, dass Kommunikation und das Erklären viel wichtiger geworden sind.

Unsere Demokratie steht unter Druck. Angriffe und Drohungen sind für Politiker:innen heute trauriger Alltag. Was müssen wir als Gesellschaft tun, um die Demokratie zu schützen und zu stärken?

Unsere Republik wird nicht daran scheitern, dass wir keine 700 Menschen finden, die im Bundestag sitzen. Unsere Republik wird scheitern, wenn wir keine 50.000 Menschen mehr finden, die sich ehrenamtlich in ihrer Freizeit abends in die Parlamente in den Städten und Gemeinden setzen. Und da haben wir inzwischen ein eklatantes Problem. Wer macht das noch? Schließlich wird man im Stadtparlament hart angefeindet, teilweise wüst beschimpft oder sogar bedroht, wenn man eine schwierige Entscheidung trifft. Wenn sich diese Menschen sagen: „Warum soll ich mir das eigentlich antun? Ich versuche doch nur das Beste“, und sich dann verabschieden, wird es duster. Wenn die guten Leute alle keine Lust mehr haben, weil sie mit ihrer Zeit etwas anderes machen können, dann entsteht ein Problem. Die ehrenamtlichen Politiker verdienen Respekt. Die Wertschätzung gilt nicht nur dem Menschen, sie gilt auch dem Amt. Deswegen befremdet es mich immer, wenn jemand den Bundespräsidenten so hart attackiert. Das Staatsoberhaupt hat erst einmal unseren Respekt verdient, weil es uns repräsentiert. Das ist sonst so, als ob man sich selbst gegenüber respektlos ist. Diesen Respekt müssen wir wieder lernen. 

Das Gespräch führten Verena Gathmann und Tobias Jerzewski.

Dr. Peter Tauber wurde am 22. August 1974 in Frankfurt am Main geboren. Ab 1991 politisch engagiert, gehörte er von 2009 bis 2021 dem Bundestag an. Von 2013 bis 2018 war er Generalsekretär der CDU und bis zu seinem Ausscheiden aufgrund einer schwerwiegenden Darmerkrankung bis 2021 Staatssekretär bei der damaligen Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer. Im Februar 2023 ist Taubers Buch „Mutmacher“ erschienen, in dem er zwölf Geschichten von Mutmacherinnen und Mutmachern erzählt.

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