Als Regierungssprecher hat Steffen Hebestreit gelernt, mit unterschiedlichen Positionen innerhalb der Koalition umzugehen. Er sieht seine Aufgabe darin, der Presse und Öffentlichkeit die Entscheidungswege der Regierung zu erklären. Beim Treffen in seinem Büro im Bundespresseamt geht es um Herausforderungen der Regierungskommunikation, Optimismus und das absolute Tabu der Lüge.

Seit wann sind Sie heute auf den Beinen und im Dienst?

Um 6.30 Uhr hat der Wecker geklingelt und um 7.15 Uhr bin ich zuhause los – geht also. Heute ist Mittwoch und damit Kabinettstag, der läuft jedenfalls bis mittags erfreulich strukturiert: Da beginnt es um 7.45 Uhr im Kanzleramt mit dem Kabinettsfrühstück, danach trifft sich das gesamte Kabinett und anschließend folgt die Regierungspressekonferenz. 

Was haben Sie als Erstes gelesen bzw. sich angesehen?

Der erste Griff gilt immer dem Handy. In meinem Postfach habe ich geschaut, ob es etwas besonders Dringendes gibt. Dann habe ich diverse Nachrichtenwebsites durchgescrollt, parallel läuft der Deutschlandfunk. Die Pressemappe – oder auch Kanzlermappe – kommt gegen kurz vor sieben. Wenn ich die gelesen habe, fühle ich mich gut vorbereitet.

Wenn man sich die Mitschriften von der Bundespressekonferenz (BPK) durchliest, gewinnt man den Eindruck, Sie sind eine Mischung aus Diplomat, Gedächtniskünstler und Wortakrobat. Wie halten Sie Ihr Energielevel und Ihren Fokus?

Wenn man vor neugierigen Journalistinnen und Journalisten sitzt, vor Kameras und Mikrofonen, sorgt das von allein für eine gewisse Grundspannung. Daran ändert auch nichts, dass ich im Laufe der Jahre schon in verschiedenen Funktionen auf unterschiedlichen Plätzen in der BPK gesessen habe. In meiner Zeit als Korrespondent war ich acht Jahre lang BPK-Mitglied, drei Jahre davon im Vorstand. In dieser Rolle habe ich auch Pressekonferenzen moderiert. Später, als Sprecher des Bundesfinanzministers, war ich eher selten da, weil das Ministerium in den Pressekonferenzen nicht so sehr im Fokus steht. Jetzt als Regierungssprecher ist es natürlich ganz anders. Tatsächlich war das eine Frage, die ich mir stellte, als der Bundeskanzler mir den Job anbot: Wie das wohl werden würde in der Regierungspressekonferenz? Schließlich spricht man vor Kameras „Unter 1“, es kann alles verwendet werden, da sollte man sich wenig Fehler erlauben. Ich war mir zunächst nicht sicher, ob mir das Spaß machen würde.

Aber Sie machen die Pressekonferenzen gerne.

Ja, es macht Spaß! Und zwar aus drei Gründen: Als Regierungssprecher bin ich Generalist. Ich kann zu vielen Themen etwas beitragen, habe aber immer noch aus den Fachressorts jemanden neben mir sitzen, der oder die es noch genauer weiß und bei Bedarf ergänzen kann. Zweitens stecke ich in vielen Sachthemen tief drin, weil ich den Bundeskanzler eng begleite, bei Terminen, auf Reisen, in Interviews. Und drittens gefällt mir der Austausch mit den Journalistinnen und Journalisten in der BPK. Jedenfalls meistens. 

Wie sehr hilft Ihnen Ihre Vergangenheit als Journalist, wenn Sie die Arbeit der Regierung erklären?

Natürlich hilft das, weil ich aus meiner journalistischen Vergangenheit halbwegs weiß, was Journalistinnen und Journalisten benötigen. Zum Beispiel, dass es manchmal wichtig ist, Sachverhalte so präzise wie möglich darzustellen und in den Zusammenhang einzuordnen. Dass sie Deadlines haben, die sie einhalten müssen. Dass nicht jede kritische Frage eine Falle ist, sondern die erfragte Information oft schlicht nötig, um einen Artikel schreiben, einen Radiobeitrag fertigen oder einen Fernsehbeitrag machen zu können. Insofern gibt es ein hohes gegenseitiges Verständnis – aber die Rollen sind grundverschieden. Sprecher zu sein, ist eine völlig andere Aufgabe als Journalist. 

Regierungskommunikation ist nicht einfacher geworden: Krieg in Europa, Inflation, Energieknappheit, Klimakrise, Pandemiefolgen. Wie können Sie und Ihre Kolleg:innen in dieser Dichte von Krisen Vertrauen für die Politik der Bundesregierung schaffen?

Angesichts der aktuellen Bedingungen, die Sie richtigerweise skizzieren, finde ich es völlig nachvollziehbar, dass es Nervosität und Sorgen gibt im Land. In Europa tobt ein Krieg mit vielen Toten und Verletzten, das hatten wir doch eigentlich gar nicht mehr für möglich gehalten. Die Preise sind massiv gestiegen und vor dem Winter gab es die bange Frage, ob wir ohne Gaslieferungen aus Russland auskommen würden oder ob eine große Wirtschaftskrise droht. Das führt auch zu der Antwort auf Ihre Frage: Vertrauen entsteht gerade in Krisenzeiten dadurch, dass die Regierung gute Arbeit macht und passende Entscheidungen trifft. Der Bundeskanzler hat mit seiner Zeitenwende-Rede den Ton richtig getroffen und sich eng an die Seite der Ukraine gestellt. In der Debatte über die militärische Unterstützung hat er sich nicht kirre machen lassen, sondern konsequent und nach klaren Prinzipien gehandelt. Ihm war es immer wichtig, alle mitzunehmen – jene, die schnell viele Waffen liefern wollten, genauso wie jene, die das generell ablehnten. Und wir haben in Rekordzeit mehrere LNG-Terminals gebaut, um Ersatz für das fehlende Erdgas aus Russland einspeisen zu können. Olaf Scholz, Annalena Baerbock, Robert Habeck, Nancy Faeser, Christian Lindner und all die anderen haben da vieles sehr richtig gemacht, um uns gut durch die Krise zu führen. Und das sehen auch viele Bürgerinnen und Bürger so. 

Die Regierung streitet derzeit aber an vielen Stellen: Autobahnen, Heizen, Kindergrundsicherung, um nur drei zu nennen. Sie sind der Regierungssprecher und müssen deshalb für alle drei Partner sprechen. Wie geht das?

Als Regierungssprecher bin ich zunächst einmal nicht nervös, wenn mal unterschiedliche Ansichten innerhalb der Koalition zutage treten. Die Regierung besteht aus drei selbstbewussten Parteien, deren jeweilige Positionen ja nicht über Nacht plötzlich deckungsgleich geworden sind, nur weil sie gemeinsam regieren. Deshalb sind Diskussionen nötig, um eine Lösung zu finden, die möglichst alle mittragen können. Ich verstehe es, dass es journalistisch und mitunter auch parteipolitisch reizvoll sein kann, die unterschiedlichen Positionen öffentlich herauszuarbeiten und einen „Streit“ in der Regierung zu befeuern. Meine Erfahrung ist, dass das den Weg hin zu einer Lösung selten verkürzt. Als Regierungssprecher versuche ich, das Prozesshafte von Politik zu erläutern, die Abläufe auf dem Weg bis zu einer Entscheidung, das Konstruktive und Verbindende darzustellen. 

Welche Kanäle sind Ihnen für die Kommunikation besonders wichtig und warum?

Das Presse- und Informationsamt hat einen umfassenden gesetzlichen Informationsauftrag. Und das Informationsbedürfnis ist groß. Um dem gerecht zu werden, müssen wir auf ein sich dynamisch veränderndes Umfeld reagieren. Früher gab es mit der 20-Uhr-Tagesschau ein gemeinsames kommunikatives Lagerfeuer, um das sich die Republik scharte. Heute gibt es ganz viele kleinere Feuer, und überall müssen wir präsent sein. Die Regierungspressekonferenz bleibt ein wichtiges Kommunikationsmittel, weil ich hier, gemeinsam mit meinen Stellvertretern Christiane Hoffmann und Wolfgang Büchner, die Multiplikatorinnen und Multiplikatoren der Hauptstadtpresse erreiche und ihnen Rede und Antwort stehe. Die klassischen Medien sind für die politische Kommunikation zentral, also das lineare Fernsehen, das Radio oder die Tageszeitung. Das Internet gesellte sich vor einigen Jahren hinzu. Und die sozialen Medien haben massiv an Bedeutung gewonnen – Facebook, Twitter, Instagram. Sie sind gleichzeitig eine Herausforderung. Die jüngste Entwicklung bei Twitter nach der Übernahme durch Elon Musk zeigt, wie rasch sich solche Plattformen auch verändern können – das muss man genau beobachten. Und es gibt Plattformen wie TikTok, auf denen wir schon aufgrund der Eigentümerstruktur nicht präsent sind. 

Sprechen wir über den Kanzler: Olaf Scholz ist ja mitunter eher wortkarg oder zurückhaltend in der Kommunikation.

Na, ich würde sagen: Der Kanzler kommuniziert effizient.

So kann man es auch formulieren. Wie schwierig ist es, Regierungssprecher für einen Kanzler mit so einem Kommunikationsstil zu sein?

Das ist überhaupt nicht schwierig, schließlich kenne ich ihn lange und gut. Und als Regierungssprecher muss ich ihn ja nicht kopieren, sondern ergänzen. Grundsätzlich spüren die Bürgerinnen und Bürger, ob jemand authentisch ist oder sich verbiegt – da muss man seinem Typ treu bleiben. Der Bundeskanzler ist ein sehr erfahrener und sehr erfolgreicher Politiker, der sich viele Gedanken macht über seine Art, zu kommunizieren. Er nutzt eine einfache, sehr präzise Sprache, um inhaltlich komplexe Themen zu vermitteln und möglichst viele Bürgerinnen und Bürger zu erreichen. Und er verweigert sich manchen medialen Reflexen, weil er am Gelingen einer Sache interessiert ist. Gleichzeitig macht er mit großer Freude im ganzen Land seine „Kanzlergespräche“, bei denen er den Bürgerinnen und Bürgern ohne Tagesordnung Rede und Antwort steht – das kommt gut an.

Sehen Sie es als Teil Ihrer Aufgabe, Zuversicht zu vermitteln?

Ich glaube, das ist die Aufgabe der gesamten Regierung. Dass wir mehr Fortschritt wagen wollen, wie es im Koalitionsvertrag steht, speist sich ja aus der Überzeugung, mit unserer Politik das Leben der Bürgerinnen und Bürger besser machen zu können. Ein Beispiel ist der Kampf gegen den Klimawandel. Wenn wir die Wirtschaft bis 2045 komplett klimaneutral umgestalten, schützt das nicht nur das Klima, sondern wir sichern so auch unseren Wohlstand und unseren Lebensstandard, schaffen Innovationen und bleiben wirtschaftlich stark. Das ist doch eine durch und durch zuversichtliche Botschaft.

Zu Ihrem Job gehört es, mögliche Probleme und Krisen zu antizipieren. Beeinflusst das auch Ihren privaten Ausblick auf die Zukunft?

Von Natur aus bin ich Optimist – das hilft auch beruflich. 

Wo sehen Sie die größte Gefahr in Ihrem Job?

Als Regierungssprecher läuft man immer Gefahr, durch eine unglückliche Formulierung eine Krise auszulösen. Manchmal vergessen wir, dass wir ja nicht nur miteinander in Deutschland kommunizieren, sondern dass auch im Ausland sehr genau verfolgt wird, was Deutschland sagt und tut. 

Mussten Sie denn schon mal lügen? 

Lügen sind für Regierungssprecher ein absolutes Tabu. Es ist klar, dass wir nicht immer alles sagen dürfen, was wir wissen. Lügen aber setzen das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Regierung aufs Spiel. Das darf man nicht riskieren. 

Das Gespräch führten Verena Gathmann und Jana-Annina Iken.

Steffen Hebestreit ist seit Dezember 2021 Sprecher der Bundesregierung unter Olaf Scholz. Zuvor hatte er unterschiedliche politische Ämter und Funktionen inne, u. a. als Leiter der Hamburger Landesvertretung und Sprecher von Olaf Scholz in dessen Zeit als Finanzminister. Ursprünglich ist Hebestreit Journalist.
Vor dem Wechsel in die Politik arbeitete er als Hauptstadtkorrespondent zunächst für die Frankfurter Rundschau und später für die Zeitungen der damaligen DuMont Redaktionsgemeinschaft.

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