Vom 6. bis 9. Juni 2024 wählen in Europa rund 400 Millionen Bürgerinnen und Bürger das neue Europäische Parlament. Wir haben führende Kandidat:innen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD), von Bündnis 90/Die Grünen, der Freien Demokratischen Partei Deutschlands (FDP), der Christlich Demokratischen Union (CDU) und der Christlich-Sozialen Union (CSU) nach den entscheidenden Themen des Wahlkampfes gefragt. Lesen Sie hier die Antworten von Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Spitzenkandidatin der FDP zur Europawahl.
Die zunehmend eskalierenden geopolitischen Konflikte werfen grundsätzliche Fragen zur Rolle der EU in der Welt auf. Wie sehen Sie diese Rolle und Ihre eigenen Möglichkeiten, sich für Frieden und Verständigung einzusetzen?
Bereits Hans-Dietrich Genscher sagte: „Europa ist unsere Zukunft. Eine andere haben wir nicht.“ Die Europäische Union ist das großartigste Friedensprojekt der Nachkriegszeit, das wir allerdings wieder mehr auf Kurs bringen und resilienter machen müssen. Europa muss aus sich heraus wieder stark werden, um sich selbst schützen zu können, ohne immer darauf zu hoffen, dass andere Länder wie die USA es für uns schon richten werden. Diese Zeiten sind nämlich vorbei. Dazu gehört auf lange Sicht auch eine europäische Armee. Jedes Land wird dabei seine Geschwindigkeit haben und an seiner nationalen Armee festhalten wollen, wir werden aber auf Dauer nicht umhinkommen, immer mehr zusammenzuwirken. Das fängt mit einer gemeinsamen Beschaffung an. Deutschland und die Niederlande sind ein gutes Beispiel, wie es funktionieren kann. Wir arbeiten militärisch sehr eng zusammen. Es gibt zudem in Europa bereits jetzt eine permanente strukturierte Zusammenarbeit, in der jedes Land seine Fähigkeiten einbringt. Es muss nicht jeder alles können. Ein sicheres Europa mit einer starken gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik ist aber der beste Grundpfeiler für Frieden und Verständigung. Nicht zuletzt gehört dazu auch die Reform des Europäischen Auswärtigen Dienstes zu einer wirklich schlagkräftigen diplomatischen Institution.
Die Europäische Union will bis 2050 klimaneutral werden. Die letzte Legislaturperiode brachte viele Vorhaben mit sich, um die EU auf den Pfad der Klimaneutralität zu bringen. Mittler- weile regt sich aber der Widerstand gegen den immer höheren bürokratischen Aufwand. Was muss Ihrer Meinung nach passieren, damit die europäische Klimaagenda auch weiterhin von der breiten Bevölkerung mitgetragen wird?
Deutschland und Europa haben sich zur Klimaneutralität bis zum Jahr 2050 verpflichtet. Dieses Ziel können wir weiter durch ein striktes und jährlich sinkendes CO2-Limit in einem umfassenden Emissionshandelssystem zuverlässig erreichen. Das halte ich weiterhin für am besten erreichbar durch einen festen CO2-Deckel und mit einem Klimakonzept, das die CO2-Nutzung und -Speicherung fördert. So wichtig wie der Klimaschutz ist, so wichtig ist es aber auch, den Menschen in Europa zu erklären, warum wir was tun, und ihnen nicht einfach alles überzustülpen. Bürokratische Hürden sind hierbei große Hemmnisse. Vor allem die immer weiter zunehmenden Bürokratielasten ersticken neue Vorhaben im Keim. Mittlerweile sind 57 Prozent der bürokratischen Belastungen in Deutschland auf EU-Gesetze zurückzuführen. Das können wir uns nicht länger leisten. Denn sonst finden wirtschaftliche Dynamik und Fortschritt außerhalb der EU statt und Arbeitsplätze sowie Wohlstand stehen auf dem Spiel. Wir brauchen einen „Bureaucracy Reduction Act“. Wir müssen die Wirtschaft von mindestens 50 Prozent der Bürokratielasten befreien. Für jede neue Belastung durch EU-Regulierung müssen im Gegenzug gemäß der „One in, two out“-Regel bestehende Belastungen konsequent in doppeltem Umfang abgeschafft werden. Das hilft insbesondere auch klimapolitisch notwendigen Umsetzungen.
Können Sie sich an vergangene politische Entscheidungen erinnern, die Sie heute nicht mehr so treffen würden? Wenn ja, welche und warum?
Ich habe die Impfpflicht in der Corona-Krise für die einzig vernünftige Lösung gehalten. Mit dem Wissen von heute würde ich diese Entscheidung differenzierter betrachten.
Entscheidungen auf EU-Ebene betreffen Millionen von Bürger:innen. Wovon lassen Sie sich bei Fragen leiten, die große Auswirkungen haben (z. B. innerer Kompass, Bauchgefühl, Orientierung an Werten)?
Ich habe großartige Fachkolleginnen und -kollegen, ein hervorragendes Team und das Glück, viele kluge Menschen um mich herum zu haben. Mit diesen berate ich mich ständig und intensiv und lese mich so gut wie möglich in relevante Sachverhalte ein. Dankenswerterweise haben mich mein innerer Kompass und die Werte, die mir meine Familie mitgegeben hat, meist zu einer guten finalen Entscheidung geführt: auf der Basis von Ratschlägen, meiner Meinung und meines inneren Kompasses und der Überlegung, was ist notwendig, hilft es, wie setzen wir es um, können wir es sinnvoll umsetzen. Dabei denke ich zuerst immer an die Zukunft meiner Kinder und Enkel. Daran werde ich festhalten.
Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann ist Spitzenkandidatin der FDP für die Europawahl 2024. Bisher war sie u. a. Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Deutschen Bundestag. Neben ihrer Spitzenkandidatur für die FDP führt sie auch die europäische ALDE-Partei in die Wahl.
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