Bundestagspräsidentin Bärbel Bas fordert sachliche und respektvolle Debatten – im Leben wie im Netz. Warum sie gern auf Instagram unterwegs ist, wie sich der Ton im Bundestag verändert hat und was ihre Heimatstadt Duisburg mit New York verbindet, verrät sie uns im Interview.

Auf Ihrer MdB-Website gibt es die Rubrik „Meine TOP 5“. Darin lernt man unter anderem etwas über Ihre Vorlieben bei Büchern, Kulinarik und Fußball. Lassen Sie uns ein gewagtes Experiment machen und das Ganze auf das Thema Demokratie anwenden. Was sind Ihre persönlichen TOP 5 der Demokratie?

Eine TOP 5 mit fester Rangfolge gibt es für mich nicht. Es gibt aber mindestens 5 Punkte, die mir bei unserer Demokratie besonders am Herzen liegen: das Grundgesetz, der Austausch mit den Bürgerinnen und Bürgern, das Recht auf allgemeine, unmittelbare, freie, gleiche und geheime Wahl, die Lernfähigkeit unserer parlamentarischen Demokratie oder auch die betriebliche Mitbestimmung.

Seit Anfang des Jahres sind Sie in Ihrer Funktion als Bundestagspräsidentin bei Instagram. Bei Facebook und Twitter sind Sie schon länger. Warum ist es Ihnen wichtig, dass Sie als höchste Frau im Staat auch auf Social Media aktiv sind?

Besonders für jüngere Menschen spielt sich das Leben in den „Sozialen Medien“ ab und wir als Politik sollten aktiv auf die Menschen zugehen. Das ist in den „Sozialen Medien“ besonders wichtig, weil im Netz gezielt Unwahrheiten verbreitet werden, Hass gesät und die Demokratie verächtlich gemacht wird. Wir brauchen sachliche und respektvolle Debatten, auch im Netz. Abgeordnete und öffentliche Stellen müssen ihren Teil beitragen, also umfassend und verständlich informieren. In diesem Sinne möchte ich mit dem Instagram-Kanal @bundestagspraesidentin den Menschen die Arbeit einer Bundestagspräsidentin näherbringen und sie transparent hinter die Kulissen blicken lassen.

Sie sind dafür, das Wahlalter auf 16 Jahre zu senken. Warum?

Ich persönlich kann mir gut vorstellen, dass ein Wahlrecht mit 16 unserer Demokratie guttut. Wer bereits während der Schulzeit wählen darf, lernt sein Wahlrecht früh zu schätzen und macht tendenziell auch später noch davon Gebrauch. Wir wissen, dass viele Menschen zwischen 16 und 18 Jahren reif genug sind, um ihr Wahlrecht souverän ausüben zu können. Die Altersgrenze für das Wahlrecht zu senken, bietet der jüngeren Generation die Möglichkeit, ihren Interessen – wie Ausbildungschancen oder dem Kampf gegen den Klimawandel – politisch besser Geltung zu verschaffen.

Eine Demokratie lebt von den Menschen, die sie gestalten. Wie können Politiker:innen die Bürger:innen stärker animieren, aktiv zu werden und sich im besten demokratischen Sinn einzubringen – am besten vor der eigenen Haustür?

Indem wir deutlich machen, dass sich Mitbestimmung lohnt und die Politik tatsächlich das Leben der Menschen verbessert – im Großen wie im Kleinen. Gerade in dieser Zeit der Krisen und Herausforderungen ist es wichtig, dass wir möglichst viele Menschen vom Mitreden und Mitmachen überzeugen. Es ist auch offensichtlich, dass bei den traditionellen Trägern politischer Beteiligung – wie Parteien – Modernisierungsbedarf besteht. Sie müssen wieder einladender wirken. Gerade für Frauen und Männer, die ehrenamtliche Kommunalpolitik mit Job und Familienleben zusammenbringen möchten. Ich weiß aus vielen Gesprächen, dass die Menschen sich gern einbringen wollen – aber eben nicht unbedingt in den klassischen Formaten. Deshalb bin ich dafür, Instrumente wie Bürgerräte stärker zu nutzen und weiterzuentwickeln.

In einem Interview mit dem Tagesspiegel sagten Sie einmal: „Duisburg, das New York des Ruhrgebiets!“ Was verbindet Sie mit Ihrer Heimat?

Das Leben der Menschen im Ruhrgebiet dreht sich nie um den schönen Schein, sondern immer um das Wesentliche. Es geht ehrlich, herzlich und direkt zu. Die Menschen kennen harte Arbeit, haben gelernt, mit Veränderung umzugehen, und wissen, wie wichtig es ist, zusammenzuhalten. Das hat mich geprägt. Deshalb der Vergleich mit New York: Wer es hier schafft, kann überall auf der Welt bestehen.

Querdenker:innen, Verschwörungstheoretiker:innen, Extremist:innen: Unsere Gesellschaft steht unter zunehmendem Druck. Haben Sie Sorge um die Resilienz unseres Landes?

Unsere Demokratie ist stark und stabil, wehrhaft und lernfähig. Trotzdem müssen wir gegenhalten: indem wir politische Bildung stärken, die Diskussionen in Politik und Wissenschaft noch besser vermitteln und unsere freiheitliche Grundordnung auch mit allen Möglichkeiten des Rechtsstaates verteidigen.

Im Deutschen Bundestag leiten Sie gemeinsam mit Ihren Stellvertreter:innen die Sitzungen. Dabei müssen Sie Ihre Kolleginnen und Kollegen im Parlament auch mal zur Raison rufen. Welche Plenardebatte ist Ihnen dabei besonders in Erinnerung geblieben?

Die Sondersitzung am 27. Februar 2022 mit der Rede des Bundeskanzlers zur Zeitenwende wird sicherlich ihren Platz in den Geschichtsbüchern finden. Auch die Gedenkstunden des Deutschen Bundestages werden mir immer in Erinnerung bleiben – zum Beispiel die Gedenkstunde am 27. Januar 2023. Und als Präsidentin eines selbstbewussten Parlaments erinnere ich mich natürlich auch daran, wie ich im Januar den Regierungschef freundlich an eine angemessene Begrüßung der Präsidentin erinnern musste.

Die meisten Ordnungsrufe kassiert im Bundestag die AfD. Sie fällt immer wieder durch Hass, derbe Wortwahl und Aggressivität im Parlament auf. Sie sind seit 2009 Teil des Bundestags, die AfD seit 2017. Hat sich der Ton im Parlament insgesamt verändert?

Die Auseinandersetzungen sind in den vergangenen Jahren schärfer geworden. Das liegt auch an den Themen. Über den Umgang mit der Corona-Pandemie wurde bis in die Familien hinein gestritten, Freundschaften sind zerbrochen. Das hat auch im Deutschen Bundestag Spuren hinterlassen.

Was tun Sie selbst ganz konkret in Ihrem Alltag, um unser Zusammenleben besser zu machen?

Der Schlüssel für gutes Zusammenleben ist Respekt. Das möchte ich vermitteln: im Privaten, aber auch als Politikerin. Neben meiner politischen Arbeit engagiere ich mich ehrenamtlich in vielen Vereinen und für verschiedene Themen – zum Beispiel seit mehr als zehn Jahren als Schirmfrau für ein Duisburger Hospiz, in der Obdachlosenhilfe oder der AIDS-Hilfe.

Ende 2022 haben Sie das Thema Einsamkeit auf die politische Agenda gesetzt und gefordert, das Thema ernster zu nehmen. Wie kann Politik hier wirksam werden und Betroffenen helfen?

Wir als Politik müssen das Thema Einsamkeit ernst nehmen, nicht nur an Weihnachten. Die Ampelparteien haben das Thema im Koalitionsvertrag adressiert, das ist schon mal wichtig. Einsamkeit betrifft keineswegs nur alte Menschen, auch das hat die Pandemie gezeigt. Sie spielt eine Rolle, wenn sich Menschen von unserem Gemeinwesen entfremden. Deshalb gilt es, das Problem und seine Folgen genauer zu erforschen und Hilfsangebote zu stärken. Das können öffentlich geförderte Orte der Begegnung sein, Hotlines oder Online-Foren. Bei der Telefonseelsorge oder bei Silbernetz haben viele engagierte Menschen immer ein offenes Ohr. Es kommt vor allem auf uns alle als Mitmenschen an. Deshalb ermuntere ich auch hier: Hören wir hin, sehen wir hin! Manchmal reicht schon eine kleine Aufmerksamkeit oder ein kurzer Anruf. Und machen wir deutlich: Niemand ist allein in der Einsamkeit.

Was gibt Ihnen ganz persönlich Zuversicht in Zeiten des Krieges in der Ukraine, angesichts der Folgen des Erdbebens in der Türkei und Syrien und des Klimawandels?

Ich erlebe viel Positives, zum Beispiel den Ideenreichtum und die große Hilfsbereitschaft in unserem Land für die Opfer von Kriegen, Krisen und Katastrophen. Wenn ich sehe, dass Menschen zusammenrücken, um Geflüchtete in ihren Wohnungen aufzunehmen, macht mich das optimistisch. Auch das Engagement vieler – gerade auch junger – Menschen für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft, für Klimaschutz oder für eine weltoffene Gesellschaft ohne Antisemitismus oder Rassismus verdient Dank und Respekt.

Das Gespräch führten Marian Bracht und Verena Gathmann.

Bärbel Bas ist seit Oktober 2021 Präsidentin des Deutschen Bundestages. Dort vertritt die SPD-Politikerin seit 2009 den Wahlkreis 115 Duisburg I. Die gelernte Sozialversicherungsfachangestellte und studierte Personalmanagement-Ökonomin setzt sich für eine Stärkung des Sozialstaats, eine Verbesserung der Renten- und Arbeitsmarktpolitik und einen besseren Zugang zu ärztlicher Versorgung ein. Sie ist Fan des MSV Duisburg und spielte in ihrer Jugend selbst aktiv Fußball.

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