Vom 6. bis 9. Juni 2024 wählen in Europa rund 400 Millionen Bürgerinnen und Bürger das neue Europäische Parlament. Wir haben führende Kandidat:innen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD), von Bündnis 90/Die Grünen, der Freien Demokratischen Partei Deutschlands (FDP), der Christlich Demokratischen Union (CDU) und der Christlich-Sozialen Union (CSU) nach den entscheidenden Themen des Wahlkampfes gefragt. Lesen Sie hier die Antworten von Manfred Weber, Spitzenkandidat der CSU zur Europawahl und Partei- und Fraktionschef der EVP im EU-Parlament.

Die zunehmend eskalierenden geopolitischen Konflikte werfen grundsätzliche Fragen zur Rolle der EU in der Welt auf. Wie sehen Sie diese Rolle und Ihre eigenen Möglichkeiten, sich für Frieden und Verständigung einzusetzen?

Die Sicherung von Frieden, Freiheit und Wohlstand ist die wichtigste Aufgabe der Europäischen Union. In einer Zeit, in der vieles in Unordnung gerät, bisherige Gewissheiten offenkundig nicht mehr gelten, eine globale Machtverschiebung abläuft, muss die EU Stabilität und Sicherheit gewährleisten. Als EVP stellen wir in fast der Hälfte der EU-Staaten die Staats- und Regierungschefs. Wir führen mit Ursula von der Leyen die Kommission und sind die stärkste Fraktion im Europäischen Parlament. Trotz großer Herausforderungen steht die EU gut da. Mit diesem Versprechen, Sicherheit zu gewährleisten und Wohlstand zu sichern, gehen wir in die Europawahl. Es kommt jetzt besonders auf den Zusammenhalt der Europäer an. Europa muss sich selbst behaupten. Dafür steht die EVP.

Die Europäische Union will bis 2050 klimaneutral werden. Die letzte Legislaturperiode brachte viele Vorhaben mit sich, um die EU auf den Pfad der Klimaneutralität zu bringen. Mittler- weile regt sich aber der Widerstand gegen den immer höheren bürokratischen Aufwand. Was muss Ihrer Meinung nach passieren, damit die europäische Klimaagenda auch weiterhin von der breiten Bevölkerung mitgetragen wird?

Wir stehen voll und ganz hinter den Klima- zielen der EU. Das Abbremsen des Klimawandels und die Bewältigung seiner Folgen sind eine große, wenn nicht die größte Aufgabe meiner politischen Generation. Die EU ist mit ihrer Klimapolitik weltweit führend. Das muss auch so bleiben. Uns ist aber wichtig, dass der Green Deal zu einem echten Deal wird: mit der gesamten Bevölkerung, den sozial Schwächeren, der Wirtschaft, der Landwirtschaft. Von den Zielen müssen Sie kaum jemanden überzeugen.

Es geht um die Art der Umsetzung, das Mitnehmen der Menschen. Das ist bisher noch nicht so gelungen, wie es sein müsste. Daraus erwachsen Unsicherheiten, Ärger und Ängste. Dies muss sich ändern. Deshalb wollen wir uns in der nächsten Legislatur sehr genau anschauen und überprüfen, wo wir besser werden müssen.

Können Sie sich an vergangene politische Entscheidungen erinnern, die Sie heute nicht mehr so treffen würden? Wenn ja, welche und warum?

Es gibt immer einmal Entscheidungen bei einzelnen Alltagsgesetzen, bei denen man sich nach längerer Zeit fragt, ob sie denn richtig waren. Das ist aber in der Politik und im gesamten Leben normal. Wenn Sie mich aber nach ganz zentralen Punkten fragen, dann hadere ich manchmal damit, warum ich nach der orangenen Revolution in der Ukraine und der Besetzung der Krim durch Putin-Russland nicht noch lauter für einen klareren Kurs gegenüber dem Imperialismusstreben und der Aggressivität Russlands eingetreten bin. Ich habe damals vor möglichen weiteren Schritten Putins gewarnt, habe sehr klar den Bau von Nord Stream 2 abgelehnt, aber es wäre sicher notwendig gewesen, noch entschiedener zu warnen und auf die Stärkung der eigenen Verteidigungsfähigkeit und Unabhängigkeit zu drängen.

Entscheidungen auf EU-Ebene betreffen Millionen von Bürger:innen. Wovon lassen Sie sich bei Fragen leiten, die große Auswirkungen haben (z. B. innerer Kompass, Bauchgefühl, Orientierung an Werten)?

Ich bin in der katholischen Landjugendbewegung groß geworden. Ich habe wegen des Umweltschutzes und des ansteigenden Rechtsextremismus in den 90er-Jahren begonnen, mich politisch zu engagieren. Damals haben wir Lichterketten organisiert, haben uns gegen rechtsradikale Umtriebe gestellt. Das ist aktueller denn je. Die christlichen Werte sind für mich das Koordinatensystem, das mich leitet. Die Würde und Freiheit des Menschen, Gleichberechtigung, Solidarität und Subsidiarität, Bewahrung der Schöpfung – vieles hängt mit christlichen Werten, dem 2000-jährigen christlich-jüdischen Erbe in Europa zusammen, und auch mit der Aufklärung und unserem Verständnis von Humanität. Der European Way of Life ist der Kern dessen, was wir in Europa verteidigen müssen. Dieses Werteverständnis gibt es so nur in Europa.

Manfred Weber ist Spitzenkandidat der CSU zur Europawahl. Der Niederbayer ist Partei- und Fraktionsvorsitzender der Europäischen Volkspartei (EVP), der CDU und CSU angehören, sowie stellvertretender CSU-Parteivorsitzender.

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