Das Wettbewerbsrecht, das sogenannte Grundgesetz unserer Volkswirtschaft, wird überarbeitet. Wer betroffen ist, was im Entwurf steht, was nicht im Entwurf steht und wie es weiter geht.

Update, 9. September 2020
Nach langer Verzögerung befasst sich das Bundeskabinett heute mit dem Entwurf der 10. GWB-Novelle. Der Entwurf des Wirtschaftsministeriums aus dem Februar 2020 bleibt weitgehend unverändert. Insbesondere der neue § 19a, mit dem die Marktmacht dominanter Onlineplattformen beschränkt werden soll, ist inhaltlich nicht verändert worden. Änderungen gibt es hingegen beim § 39a, der sogenannten Remondis-Klausel. Mit dieser soll es dem Bundeskartellamt ermöglicht werden, besser zu kontrollieren, ob ein Großunternehmen einen Markt durch die Übernahmen vieler kleiner Wettbewerber aufkauft. Die Anforderungen, die erfüllt sein müssen, damit das Bundeskartellamt den Paragraphen anwenden kann, wurden hochgesetzt.
Nun wird der Entwurf in das parlamentarische Verfahren kommen. Weitere Anpassungen sind dabei zu erwarten. Und auch die EU-Kommission arbeitet zurzeit an weitreichenden Anpassungen des europäischen Wettbewerbsrechts.

Das „Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen“ (GWB), besser bekannt als Wettbewerbsrecht, wird aktuell vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) überarbeitet. Aktuell heißt hierbei seit Beginn der Legislaturperiode. Ganz ursprünglich sollte der Entwurf schon letztes Jahr kommen, doch der Zeitplan hat sich immer weiter nach hinten verschoben. Zwischenzeitlich sah es so aus, als ob der Entwurf für die 10. GWB-Novelle im April 2020 im Kabinett verabschiedet werden sollte, doch dann kam Corona. Wann der Entwurf also tatsächlich beschlossen wird, bleibt weiterhin ungewiss.

Was bisher geschah

Das bisherige Gesetzgebungsverfahren war bereits sehr intensiv. Der Veröffentlichung des ersten Entwurfes waren mehrere Studien vorausgegangen, die kontrovers diskutiert wurden. An der Verbändeanhörung nahmen über 100 Vertreter:innen teil – und die kamen von den Schwergewichten der Wirtschaft: Angefangen beim Who‘s who der deutschen Verbände, etwa BDI, VDA und bitkom, bis hin zu den Giganten der Internetökonomie, wie Google, Facebook und Amazon. Die intensive Beteiligung war auch nicht weiter verwunderlich, denn mit der 10. GWB-Novelle, die den einprägsamen Namen „Entwurf eines Zehnten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen für ein fokussiertes, proaktives und digitales Wettbewerbsrecht 4.0“ trägt, sollen auch zentrale Fragen der Digitalisierung beantwortet werden. Und da das Strucksche Gesetz auch hier gilt, sind weitere intensive Lobbybemühungen höchst wahrscheinlich.

Wen es betrifft

Doch um was geht es genau in der 10. GWB-Novelle, und wen betrifft das Gesetz? Um letztere Frage zuerst zu beantworten: praktisch alle. Denn der Schwerpunkt des Entwurfs zielt darauf ab, die Macht der Internetgiganten angemessen zu regulieren. Und da heute kaum jemand mehr ohne Google, Apple, Amazon, Facebook auskommt, hat dieses Gesetz Auswirkungen auf praktisch alle Verbraucher:innen und Unternehmen.

Was es betrifft – Teil 1: Vorsicht ist besser als Nachsicht

Die erste Frage ist nicht ganz so schnell zu beantworten. Der wohl wichtigste Aspekte der Novelle findet sich im neuen Paragraphen 19a. Dazu muss man wissen, dass das Wettbewerbsrecht in der Regel ex post wirkt – es greift erst dann, wenn ein Unternehmen, das auf einem bestimmten Markt marktbeherrschend ist, seine Marktmacht ausgenutzt hat. Für diese Regel wird mit dem neuen 19a eine Ausnahme geschaffen. Zukünftig soll das Bundeskartellamt (BKartA) die Möglichkeit bekommen, Unternehmen als „mit überragender marktübergreifender Bedeutung für den Wettbewerb“ zu klassifizieren. Für diese Unternehmen kann das BKartA dann gewisse Verhaltensregeln aufstellen, die ex ante greifen. Das BKartA kann es dann etwa verbieten, dass ein Unternehmen seine eigenen Angebote gegenüber denen der Konkurrenz bevorzugt. Somit soll ein Missbrauch von Marktmacht verhindert werden, bevor er geschieht. Dieser neue 19a wirkt somit präventiv. Er ist eher vergleichbar mit der Regulierung, die für Infrastruktur gilt (Bahn, Post, Energienetze, Telekommunikation) und durch die Bundesnetzagentur ausgeübt wird, als mit der bisherigen Struktur des GWB.

Der neue 19a, der umgangssprachlich auch als GAFA-Paragraph (Google, Apple, Facebook, Amazon) bezeichnet wird, trifft bei den vier Unternehmen auf entsprechend wenig Begeisterung, wird allerdings von zahlreichen anderen Unternehmen begrüßt. Zu groß ist die wirtschaftliche Macht der vier US-amerikanischen Konzerne inzwischen geworden. Das liegt an hervorragenden Angeboten, aber vor allem auch an Netzwerk- und Skaleneffekten, die diese Unternehmen geschickt nutzen. Ebenfalls kritisch betrachten GAFA, und auch andere Unternehmen, die neuen Regelungen zum Umgang mit Daten.

Was es betrifft – Teil 2: Daten für alle (unter sehr bestimmten Voraussetzungen)

Auch hier gilt: Dieser Teil betrifft prinzipiell alle Wirtschaftsteilnehmer. Denn Daten sollen in Zukunft als „essential facilities“ bewertet werden können. „Essential facilty“, das heißt, dass ohne diese wesentliche Einrichtung oder Information das Agieren auf einem Markt nicht möglich ist. Üblicherweise fällt darunter vor allem physische Infrastruktur, etwa Flughäfen, Stromnetze und Straßen. Das BMWi will dies ergänzen und so ändern, dass auch Daten so klassifiziert werden können. Marktmächtige Unternehmen könnten dann dazu verpflichtet werden, (gegen Entgelt) Daten an andere Unternehmen zu geben, die auf einem vor- oder nachgelagerten Markt tätig sind und möglicherweise auch Wettbewerber sind. Das könnte einerseits den Wettbewerb gehörig ankurbeln, andererseits aber auch dazu führen, dass es weniger Anreize für die Erhebung von Daten gibt. Und es besteht auch die Gefahr, dass gerade die GAFA am meisten von dieser Regelung profitieren könnten. Es wird hier sehr auf die Handhabung durch das BKartA ankommen.

Was es betrifft – Teil 3: Eine bunte Mischung

Neben diesen Änderungen, die den Großteil der Aufmerksamkeit auf sich ziehen, gibt es noch weitere Aspekte der Novelle, die kurz erwähnt werden sollen: Die KMU-Erfordernis in § 20 wird gestrichen, das BKartA soll einfacher einstweilige Maßnahmen anordnen können, um den Wettbewerb früher zu schützen (§ 32a), das BKartA soll in Zukunft weniger Fusionen kontrollieren müssen (§ 35), es soll aber auch die Möglichkeit bekommen, alle Fusionen bestimmter Unternehmen zu kontrollieren (§ 39a, die sogenannte Remondis-Klausel) und Unternehmen sollen ein Recht darauf bekommen, vorab zu erfahren, ob eine Zusammenarbeit rechtskonform ist (§ 32c). Und schließlich soll auch das Verfahren rund um die Ministererlaubnis angepasst und erschwert werden (§ 42). Ebenfalls wird das GWB den Erfordernissen der EU ECN+-Richtlinie angepasst.

Was es nicht betrifft – Teil 1: Der Verbraucher ist nicht König

Mit der 10. GWB-Novelle wird es also bei zentralen Aspekten des Wettbewerbsrechts weitreichende Änderungen geben. An anderer Stelle soll sich hingegen wenig bis nichts ändern. Als die Referent:innen des Bundeswirtschaftsministeriums noch unbehelligt von den Regierungsfraktionen an dem Entwurf saßen, soll der Entwurf auch mal mehr Kompetenzen für das Bundeskartellamt in puncto Verbraucherschutz vorgesehen haben. Das war eines der zentralen Anliegen des Präsidenten des BKartA, Andreas Mundt. Denn das Amt kann zwar sogenannte Sektoruntersuchungen durchführen – dabei wird ein ganzer Sektor, zuletzt Vergleichsportale, genau analysiert. Doch das BKartA kann hierbei festgestellte Verstöße zu Lasten von Verbraucher:innen nicht sanktionieren und es darf seine Daten auch nicht mit den Verbraucherzentralen teilen. Die Lösung wäre gewesen, dass das BKartA Verstöße, die es bei einer Sektoruntersuchung feststellt, auch sanktionieren darf. Doch dann trafen diese Überlegungen auf die Unionsfraktion im Bundestag. Und da soll man „not amused“ gewesen sein. Das Kartellamt solle sich bitte auf marktbeherrschende Unternehmen fokussieren und nicht ganze Wirtschaftszweige überwachen. Die Idee verschwand also aus dem Entwurf. Ob die SPD im parlamentarischen Prozess den Willen und die Möglichkeit hat, daran etwas zu ändern, ist fraglich.

Was es nicht betrifft – Teil 2: Killer (Acquisitions) auf freiem Fuß

Ebenfalls in der Debatte war, ob sogenannte „Killer Acquisitions“ in Zukunft untersagt werden sollen. Eine „Killer Acquisition“ liegt vor, wenn Unternehmen A Unternehmen B kauft, da B in Zukunft ein Wettbewerber von A werden könnte. Doch auch hier sieht der Entwurf keine Änderung vor. Der Grund dafür dürfte sein, dass man sich nicht darauf festlegen konnte oder vielmehr wollte, was denn genau eine „Killer Acquisition“ sei und wie man eine solche erkennen solle.

Wie es weiter geht

Der weitere Fahrplan der GWB-Novelle ist – Corona-bedingt – ungewiss. Klar ist, dass noch heiß diskutiert werden wird. Auch, weil eben diese deutsche Novelle Vorbild für die Novellierung des europäischen Wettbewerbsrechts werden könnte. Deshalb ist auch nicht ausgeschlossen, dass nicht nur amerikanische Großkonzerne weiter gegen den Entwurf agieren werden. Auch die US-amerikanische Regierung könnte sich direkt einmischen. Man erinnere sich nur an die Anrufe aus der US- Botschaft im Kanzleramt, als es darum ging, eine Schnittstelle in iPhones zu öffnen. Die GWB-Novelle kann deutlich weitere Auswirkungen haben. Es wäre also nicht überraschend, wenn sich die USA im weiteren Gesetzgebungsprozess direkt an Kanzlerin Merkel wenden.