Wenn du schnell gehen willst, dann gehe alleine. Wenn du weit gehen willst, dann musst du mit anderen zusammengehen. So besagt es ein afrikanisches Sprichwort. Besonders bei den Beziehungen zwischen den deutschen Großunternehmen und ihren Branchenverbänden scheint dies aktuell gültig zu sein. Es stellt sich die Frage, warum so viele Großunternehmen auf eigene Repräsentanzen in Berlin setzen und die Interessenvertretung nicht mehr (nur) dem Verband überlassen.
Martin Schörner hat sich im Rahmen seiner Promotion über Jahre intensiv mit der Interessenvertretung durch Verbände auseinandergesetzt und dafür Gespräche mit 42 deutschen Großunternehmen, elf Branchenverbänden und neun Dienstleistern geführt. Wir haben ihn gebeten, seine Erkenntnisse für den Sherpas-Blog in Form von vier Thesen zuzuspitzen.
Ein Gastbeitrag von Martin Schörner
These 3: Die Interessenheterogenität ist ein Problem für Verbände und KMUs, weniger für Großunternehmen
Der Grad der Interessenheterogenität oder -homogenität in einem Verband ist aus der Sicht der Mitgliedunternehmen eines der grundlegendsten Bewertungskriterien. Die Interessenslage ist entscheidend dafür, für welche Interessen sich der Verband überhaupt einsetzen kann – unabhängig von der Intensität und dem Erfolg. Insofern sollte die von meinen Interviewpartnern geschilderte Situation zu einer Unzufriedenheit mit der Arbeit der Verbände führen. Hier gibt es jedoch eine große Überraschung: Die Unternehmensvertreter zeigen sich mir gegenüber fast alle nicht unzufrieden mit den Branchenverbänden, obwohl die Interessenheterogenität existiert. Konkret sind nur drei der befragten deutschen Großunternehmen wirklich unzufrieden mit der Arbeit ihrer Verbände. Kritisiert wird etwa deren Arbeitsgeschwindigkeit oder der Konkurrenzkampf zwischen den Verbänden.
Doch bevor die Verbände sich zu früh freuen: Das Fehlen einer Unzufriedenheit bedeutet nicht automatisch eine Zufriedenheit. Negativ über die Verbände äußern sich mir gegenüber auch die zufriedenen Unternehmen. Was sich zunächst paradox anhört stellt sich in den Interviews wie folgt dar: Dadurch, dass die Unternehmen eigene Kapazitäten zur Interessenvertretung aufgebaut haben, sind sie nicht mehr von den Verbänden als einzige Option für die Interessenvertretung abhängig. Ein Unternehmen kann bei jedem neuen Thema prüfen, inwiefern man betroffen ist, welche Auswirkungen es geben kann und welche Akteure noch involviert sind. Dann kann man relativ schnell entscheiden, ob man ein individuelles Vorgehen mit den eigenen Interessenvertretern (und evtuell einem Dienstleister) bevorzugt oder das Thema lieber dem Verband überlässt (sofern er sich dafür einsetzen kann). Überlässt man das Thema primär dem Verband, können die Unternehmensvertreter trotzdem selbst noch begleitend aktiv werden. Will man außerhalb des Verbands agieren, kann man zudem Interessenkoalitionen bilden. Man hat mit den eigenen Ressourcen und den vielfältigen Möglichkeiten des Public Affairs-Konzeptes also Wege gefunden, dass man sich über die Verbände nicht so viel ärgern muss oder gar insgesamt mit ihnen unzufrieden ist. Zudem mangelt es nicht an einer selbstkritischen Reflektion bei meinen Gesprächspartnern, die über jahrelange Erfahrungen in der Politik und der Interessenvertretung verfügen. Sie sind sich darüber bewusst, dass sie entsprechend aktiv auf die Verbände einwirken, in den Verbänden mitwirken und Ressourcen einbringen müssen, wenn sie eine Interessenvertretung des Verbands zugunsten ihrer Interessen wünschen. Problematisch ist die Interessenheterogenität viel mehr für die Verbände selbst, die bei bestimmten Themen handlungsunfähig sind und für KMUs, die sich keine eigenen Interessenvertreter leisten (können).
Der Autor
Martin Schörner ist Politikwissenschaftler und widmet sich in seinem Promotionsprojekt dem Thema Public Affairs. In seiner qualitativ-empirischen Forschung untersucht er speziell deutsche Großunternehmen und deren Aktivitäten in der Interessenvertretung. Zudem arbeitet er als Lehrassistent im Feld von Public Affairs und ist aktuell im Bereich der Energiepolitik tätig.
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