Wenn du schnell gehen willst, dann gehe alleine. Wenn du weit gehen willst, dann musst du mit anderen zusammengehen. So besagt es ein afrikanisches Sprichwort. Besonders bei den Beziehungen zwischen den deutschen Großunternehmen und ihren Branchenverbänden scheint dies aktuell gültig zu sein. Es stellt sich die Frage, warum so viele Großunternehmen auf eigene Repräsentanzen in Berlin setzen und die Interessenvertretung nicht mehr (nur) dem Verband überlassen.

Martin Schörner hat sich im Rahmen seiner Promotion über Jahre intensiv mit der Interessenvertretung durch Verbände auseinandergesetzt und dafür Gespräche mit 42 deutschen Großunternehmen, elf Branchenverbänden und neun Dienstleistern geführt. Wir haben ihn gebeten, seine Erkenntnisse für den Sherpas-Blog in Form von vier Thesen zuzuspitzen.

Ein Gastbeitrag von Martin Schörner

 

These 2: Die Individualisierung entzieht den Verbänden ihre Handlungsgrundlage

Es ist eine ganz einfache Formel, welche die Strukturierung unserer Gesellschaft prägt: Menschen mit gleichartigen Interessen schließen sich in Gruppen zusammen. In Deutschland häufig in einem Verein, egal ob Fanclub oder Kleingärtner. Unternehmen zeigen ebenfalls dieses Verhalten, womit wir bei den Verbänden wären. Die Bildung einer Interessengruppe funktioniert nur dann, wenn es gleichartige Interessen gibt. Und genau hier entsteht das Grundproblem der Verbände. Entwicklungen wie die europäische Integration, die Globalisierung und technische Fortschritte haben dafür gesorgt, dass es ein größeres Spektrum von Produkten mit neuen Wertschöpfungsketten gibt und neue Wirtschaftsräume entstanden sind. Unterschiedliche Produkte und Aktivitäten auf unterschiedlichen Märkten führen aber zur Individualisierung und damit nicht gerade zu gemeinsamen Interessen. Die Interessenheterogenität zwischen den Mitgliedsunternehmen in den Verbänden hat zugenommen.
 In meinen Interviews mit den Interessenvertretern der deutschen Großunternehmen und der Branchenverbände bestätigen die Interviewpartner die Existenz dieses grundlegenden Problems. Eine deutliche Mehrheit der Unternehmen bewertet ihre Branchenverbände hinsichtlich der Interessenslage als sehr heterogen oder zumindest heterogen. Lediglich etwa 15 Prozent der Unternehmensvertreter beschreiben ihren Branchenverband diesbezüglich als (sehr) homogen. Bei den Gründen für die unterschiedlichen Interessen konnte niemand mit Überraschungen aufwarten, wesentliche Gründe sind hier zum einen unterschiedliche Interessen aufgrund des großen Produktspektrums im Verband („Hidden Champions“ mit Nischenprodukten haben hier ein besonders großes Problem). Zum anderen sorgen Größenunterschiede zwischen den Mitgliedsunternehmen für erhebliche Interessendivergenzen. In manchen Verbänden stehen einige wenige Großunternehmen zahlreichen kleinen Unternehmen gegenüber und nicht immer zieht man an einem Strang.

Mit der Individualisierung verlieren die Verbände somit ihre Handlungsgrundlage, wenn die geteilten Interessen der Mitglieder nur noch den „kleinsten gemeinsamen Nenner“ ergeben. Für was will man sich als Verband einsetzen? Was sind die Interessen der Branche? Je umstrittener die Themen bereits innerhalb eines Branchenverbands sind, umso weniger wird die Politik gewillt sein, sich auf solche Themen einzulassen.

 

Der Autor

Martin Schörner ist Politikwissenschaftler und widmet sich in seinem Promotionsprojekt dem Thema Public Affairs. In seiner qualitativ-empirischen Forschung untersucht er speziell deutsche Großunternehmen und deren Aktivitäten in der Interessenvertretung. Zudem arbeitet er als Lehrassistent im Feld von Public Affairs und ist aktuell im Bereich der Energiepolitik tätig.

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