„Natürlich bist Du dagegen, etwas zu verändern. Du bist ja konservativ.“ Es ist beeindruckend, wie oft Menschen mit konservativem Weltbild diesen Satz in Diskussionen zu hören bekommen. Dabei ist es grundsätzlich egal, ob man mit unbekannten politisch Andersdenkenden, mit guten Bekannten oder mit Freunden diskutiert. Die Annahme bleibt oft dieselbe: Der Konservative blockiert den Fortschritt.
Was ist dran an dem Vorwurf der Fortschrittsverweigerung? Was zeichnet einen „modernen“ Konservativen aus? Und warum ist diese Stimme im Chor politischer Debatten wichtig? Diesen Fragen nähert sich dieser Beitrag.
„Konservativ ist nicht ein Hängen an dem, was gestern war, sondern ein Leben aus dem, was immer gilt.“ (Antoine de Rivarol)
Der Irrtum und die mitunter bewusste Fehlinterpretation sind an dieser Stelle schnell ausgeräumt. Widerstand gegen Veränderung um des Widerstandes Willen ist dem modernen Konservatismus fremd. Richtig wäre der Vorwurf wenn er lauten würde: „Du kämpfst gegen Veränderung. Natürlich, du bist reaktionär.“ Der Reaktionär lebt in der Vergangenheit und kämpft für die Erhaltung des status quo. Konservatives Denken und Handeln hat damit in aller Regel nichts zu tun. Konservativ zu sein hat heute unterschiedliche Ausprägungen, doch reaktionär ist der Konservative nicht. Dieses Missverständnis scheint auch Ursache für die teilweise schlechte öffentliche Wahrnehmung des Begriffes zu sein. Der Blick auf die politische Realität unseres Landes und die wegweisenden Entscheidungen auch konservativ geführter Bundesregierungen sollten Beleg genug sein. Aussterben wird dieser Vorwurf vermutlich dennoch nicht – schon deshalb, weil er sich zur Polarisierung und Distanzierung anbietet.
Zurück zum Verständnis konservativen Denkens: Stehend auf einem festen Wertefundament tritt der Konservative für die Verbesserung der Verhältnisse ein. Dieses Wertefundament ist oft auch christlich-religiös geprägt und stellt grundsätzlich Verantwortungsbewusstsein gegenüber allen Personengruppen in den Vordergrund. Kardinal Lehmann fasst den christlichen Bezug des Konservativen mit den folgenden Worten zusammen:
„Wessen Leben christlich verwurzelt ist, wird in besonderer Weise an den Werten festhalten wollen, die das Christentum wesentlich ausmachen: Nächstenliebe, Menschenwürde, Freiheit, aber auch solidarische Verantwortung für die, die nicht privilegiert sind. Diese Werte sind nicht alt, sondern ewig.“
In Bezug auf die gesellschaftliche Ordnung stehen für den Konservativen Pflicht- und Akzeptanzwerte vor der Überbetonung mutmaßlicher Freiheitswerte und individueller Selbstverwirklichung.
Auch Fortschritt ist somit für ihn kein Selbstzweck, sondern muss mit Sorgfalt und Realitätssinn vorangetrieben werden. Und ja, es wird durchaus gegen so manche Veränderung ins Feld gezogen. Wenn etwas verteidigt wird, dann allerdings das Bewährte und nicht einfach das Bestehende. Ein Fortschritt oder das Neue muss – auch mittel- und langfristig – mit großer Wahrscheinlichkeit besser sein als das Bestehende. Dann lohnt der Wechsel.
Prof. Andreas Rödder bietet eine sehr interessante Definition für „konservativ“ an, die er mit einem Zitat von Lord Salisbury zusammenfasst:
„Es geht darum, den Wandel zu verzögern, bis er harmlos geworden ist.“
Gemeint ist damit nicht die Alternativlosigkeit einer etwaigen Veränderung, sondern vielmehr der behutsame Wandel im Gegensatz zur rücksichtslosen Umgestaltung. Der Konservative ist sich zudem der Tatsache bewusst, dass das, was für weitestgehend unumstößlich und richtig gehalten wird, künftig durchaus als völlig falsch erscheinen kann. Auch das ist ein zentraler Unterschied zum reaktionären Traditionalisten. Das bedeutet nicht, dass begangene Fehler nicht korrigiert werden dürfen, aber das bedeutet sehr wohl, dass die Rückkehr zu früherem Handeln ebenso kein Selbstzweck sein darf wie der stetige Zwang zu angeblichem Fortschritt.
Es ist festzuhalten, dass der Konservativismus vielmehr von Praxis und Erfahrung als von Spekulation und Ideologie lebt. Nach konservativem Verständnis muss man sich seiner eigenen Identität gewiss sein und dies als Grundlage für die Würdigung Anderer begreifen. Die Stärken und Schwächen der eigenen Geschichte – der politischen sowie der kulturellen – zu kennen und sich dieser bewusst zu sein, wird so zur Voraussetzung für die Akzeptanz und das Verständnis der und des scheinbar Anderen und Fremden. Die konservative Liebe zum eigenen Land wird von der politischen Linken gerne als stumpfer Nationalismus verunglimpft und von den menschenverachtenden Rattenfängern am anderen Ende des politischen Spektrums überhöht und fehlgedeutet. Patriotismus ist die Achtung und Wertschätzung des Eigenen, aber nicht die Ablehnung oder gar Ächtung des vermeintlich Fremden. Auch hier folgt die konservative Logik einem zutiefst menschenfreundlichen Verständnis von Gemeinschaft und Nationalität und ist in Form des Patriotismus durchaus eine Konstante konservativer Grundhaltung.
Konservativ ist nicht reaktionär, nicht fremden- und menschenfeindlich und nicht rückwärtsgewandt. Im politischen Diskurs bietet die hier beschriebene konservative Perspektive wertvolle – ja unverzichtbare – Impulse auf dem Weg zur demokratischen Konsensfindung.
Auf Grundlage christlicher Orientierung und auf dem Boden des klaren Wertefundaments trägt der Konservatismus nicht unwesentlich dazu bei, geeignete politische Antworten für die Herausforderungen unserer Gesellschaft zu erarbeiten. Dabei bietet er wichtige Beiträge zur Bedeutung von Verantwortung und Freiheit, zur Sozialen Marktwirtschaft, zur inneren und äußeren Sicherheit, zur Familie, zum Lebensschutz, zum Umwelt- und Naturschutz, zu gesundem Patriotismus und die vielen anderen Bereichen unseres Zusammenlebens. So ist und bleibt die konservative Stimme unverzichtbar im Chor des politischen Diskurses.
Der Autor
Roman Godau ist Associate Director bei 365 Sherpas. Seine Schwerpunkte liegen im innen- und sicherheitspolitischen Bereich sowie in der strategischen Beratung.
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