Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt
Pünktlich zum Frauentag und Equal-Pay-Day erhitzt sich die Debatte um gendergerechte Sprache. Die CSU-Politikerin und Staatsministerin für Digitalisierung, Dorothee Bär, hat die Verwendung des Binnen-I und des Gender-Sternchens kürzlich als „total gaga“ bezeichnet und halte nichts davon, dass man „Sprache so […] vergewaltigt“. Sie nutze im Sprachgebrauch die weibliche Form, aber man solle sich beim Voranbringen der Gleichberechtigung lieber mit dem Wesentlichen beschäftigen. Auch der Verein Deutsche Sprache veröffentlichte eine Petition mit dem Titel „Schluss mit dem Gender-Unfug“ und appellierte an Politiker*innen, Behörden, Firmen und Medien, dass „das Bestreben nach mehr Geschlechtergerechtigkeit […] zerstörerische[…] Eingriffe in die deutsche Sprache“ habe.
Bereits Anfang des 19. Jahrhunderts hingegen formulierte der Sprachwissenschaftler Wilhelm von Humboldt, dass Sprache das „bildende Organ der Gedanken“ sei. Und der österreichisch-britische Philosoph Ludwig Wittgenstein schrieb: „Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt (Tractatus logico-philosophicus, 1918)“. Studien zeigen zudem, dass die Verwendung des generischen Maskulinums Auswirkungen auf den gedanklichen Einbezug von Frauen haben. In einer Arbeitshilfe zu geschlechterdifferenzierten Gesetzesfolgeabschätzungen des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend von 2016 ist außerdem verankert, dass „die Gleichstellung von Frauen und Männern […] durch geschlechtersensible Sprache zum Ausdruck zu bringen“ ist.
Was wir konstatieren können: Sprache befindet sich in einem kontinuierlichen Wandel. Anglizismen haben zunehmend Einzug gefunden und auch digitale Medien beeinflussen unsere Sprache maßgeblich. Sprachwandel ist geprägt durch verschiedene Faktoren wie Sprachökonomie oder eben auch Evolution. Der Mensch aber ist ein Gewohnheitstier und tut sich schwer mit Veränderungen – auch in der Sprache. Und trotzdem gilt: Ein bewusster Sprachgebrauch hat maßgeblichen Einfluss auf unser Denken und die Verinnerlichung der Gleichstellung verschiedener Geschlechter.
Worte allein sorgen nicht für Gleichberechtigung
Ich bin nicht der Meinung, dass das Nutzen von gendergerechter Sprache automatisch zu Gleichberechtigung führt – dafür braucht es mehr. Aber durch das Gendern wird die Vielfalt unserer Gesellschaft auch über Sprache repräsentiert. Über die letzten Jahre hat sich die Diskussion immer stärker zugespitzt. Es gibt Befürworter*innen und Gegner*innen des generischen Maskulinums, die sich regelmäßig gegenübersitzen. Bei diesen Diskussionen mögen sich einige fragen, wann denn nun die eigentlichen Inhalte und konkreten Ansätze zur Schaffung von Gleichberechtigung kommen. Manche sehen den geschlechtlichen Aspekt in der Sprache so sehr in den Vordergrund gerückt, dass der eigentliche Inhalt außer Acht gerate.
Ich glaube: In einer Gesellschaft, in der Gleichberechtigung gelebt wird, braucht es mehr als gendergerechte Sprache. Und ja, vielleicht müssen wir dafür auch die Bedeutung von Geschlechtern im Allgemeinen diskutieren. Und das ist sicher kein Thema für Karnevalsreden.
Eine reine Anpassung des Sprachgebrauchs jedenfalls wird weder das Gender-Pay-Gap noch die Männerdominanz in Führungsebenen auflösen. Sie kann jedoch dazu führen, dass durch den bewussten Sprachgebrauch unser Denken erweitert wird und dadurch jene gewohnten Mechanismen und Strukturen aufgebrochen werden, die Gleichberechtigung entgegenstehen.
Wir reden über viele, aber nur mit wenigen
Deutschland sieht bei den Lohnunterschieden zwischen Männern und Frauen im europäischen Vergleich seit Jahren schlecht aus – und im neuen Bundestag sind so wenig Frauen vertreten, wie seit 20 Jahren nicht mehr. Daran muss sich etwas ändern.
Gleichberechtigung ist ein Thema, das alle betrifft und das nicht primär von den akademischen Spitzen diskutiert werden darf, sondern offen zugänglich sein muss. Nur so kann es gelingen, ein Gefühl von Gemeinschaft hervorzurufen und der derzeitigen Spaltung der Gesellschaft entgegenzuwirken. Lösungsansätze müssen so formuliert werden, dass jede*r erreicht wird, dass sich die Debatte nicht auf privilegierte, elitäre Kreise beschränkt. Viele Menschen sehen sich abgehängt oder sind vielleicht auch einfach nur genervt, weil das Thema Gleichberechtigung der Geschlechter maßgeblich unter dem Begriff Gendern diskutiert wird. Andere wichtige Aspekte der Gleichberechtigung fallen dieser Verengung mitunter zum Opfer oder kommen nicht ausreichend zur Sprache.
Wir brauchen mehr als die Macht der Sprache
Und trotzdem: Sprache besitzt Macht. Und diese Macht sollten wir gezielt nutzen – auch, um Gendergerechtigkeit voranzutreiben. Natürlich ist es nicht möglich, jahrhundertealte Denkweisen von Millionen von Menschen von heute auf morgen zu ändern. Doch Gendern bietet die Möglichkeit, unsere Wahrnehmung zu stärken, Einfluss zu nehmen und das Problem der Gleichberechtigung so mittel- bis langfristig anzugehen. Weitere Aspekte zur Schaffung von Gleichstellung dürfen dabei jedoch nicht aus den Augen verloren werden. Denn wenn es uns tatsächlich darum geht, geschlechtsunabhängige Gleichberechtigung zu erreichen, dann reicht Sprache alleine nicht aus. Vielmehr müssen wir das geschlechtsspezifische Lohngefälle überwinden und für eine angemessene Repräsentation aller Geschlechter in allen Bereichen sorgen. Und das sind nur die dringendsten Aspekte.
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