Von Oliver Ruck & Patrick Simm

Kommt die Verkehrswende durch die Corona-Krise zum Stillstand? In unserer Blog-Serie „#KeepMoving“ beantworten die Kollegen Oliver Ruck und Patrick Simm diese Frage und geben einen Ausblick auf das Jahr 2021.

Das Mobilitätsverhalten in Deutschland hat sich durch die Corona-Krise verändert. Laut einer Umfrage des Deutschen Luft- und Raumfahrtinstituts hat der private Pkw während des ersten Lockdowns einen „deutlichen Schub erhalten“ – weitaus mehr Menschen stiegen in das eigene Fahrzeug als in die Bahn oder den Bus. Die Fahrgastzahlen des ÖPNV haben sich gegenteilig verändert: In Berlin büßten die öffentlichen Verkehrsmittel 92 Prozent ihrer Fahrgäste im Frühjahr 2020 ein. Zugleich sank die multimodale Mobilität – also die Nutzung von verschiedenen Verkehrsträgern auf dem Weg zum Ziel.

Verkehrswende adé?

Vor diesem Hintergrund, so die DLR-Forscher:innen, zeichne sich ab, dass es ein „Wie davor” nicht geben werde. In einem SPIEGEL-Beitrag geht der Mobilitätsforscher Prof. Dr. Andreas Knie einen Schritt weiter und warnt davor, dass öffentliche Verkehrsmittel als „Hauptträger der Verkehrswende“ ausfallen – sie müssen sich stärker an den Bedürfnissen ihrer Fahrgäste ausrichten, so der Wissenschaftler.

War es das also mit der Verkehrswende? Wir meinen: Ganz im Gegenteil. Die Verkehrswende wird eines der großen politischen Themen bleiben – auch im kommenden Jahr.

Vier Entwicklungen der Mobilitätsbranche im Jahr 2020

Denn, erstens, hat die Corona-Krise das Bewusstsein der Gesellschaft für Mobilität verstärkt. Besonders im Frühjahr sprachen wir aufgrund der stark gesunkenen Mobilität der Menschen darüber, dass Städte nun „aufatmen“ könnten. Auch zuvor waren die Diskussionen über Mobilität fester Bestandteil der Klimadebatte. Dies, so scheint es, hat durch die Pandemie einen Schub bekommen.

Zweitens erfreut sich nicht nur der private Pkw, sondern auch das Fahrrad als individuelles Verkehrsmittel laut der DLR-Studie steigender Beliebtheit. Städte zeigen sich wieder als Experimentierfelder für Mobilität: Temporär eingerichtete Bike-Lanes – zum Beispiel in Berlin – könnten dauerhaft erhalten bleiben und bundesweit Schule machen.

Drittens sind die Themen Mobilität und Umwelt auf politischer Ebene keinesfalls ausgebremst, ganz im Gegenteil: Brüssel diskutiert über eine neue Euro-7-Norm – und das vor dem Hintergrund des ehrgeizigen „Green Deal“. So sorgen auch die ersten Ideen für die ab 2025 geltende Norm für reichlich Zündstoff: Derzeit steht unter anderem ein Limit von zehn bis 30 Milligramm Stickoxid pro gefahrenem Kilometer im Raum. Dies, so der Verband der Automobilindustrie (VDA), käme einem Aus des Verbrennungsmotors gleich. Obwohl es sich nur um erste Ideen handelt, gibt dieses Beispiel einen eindrücklichen Vorgeschmack auf die Debatten im kommenden Jahr – Ende 2021 will die EU-Kommission ihren konkreten Vorschlag vorlegen. (Deutschlandfunk)

Viertens lohnt auch ein Blick auf die bundespolitische Ebene: Die Umfragewerte der Grünen sind weiterhin gut, die Partei um Baerbock und Habeck befindet sich im kontinuierlichen Umfragehoch. Auf ihrem digitalen Parteitag haben die Grünen ihren Machtanspruch herausgestellt und gehen, so scheint es, gestärkt und vereint in das Superwahljahr 2021. Eine Regierungsbeteiligung auf Bundesebene scheint immer näher zu rücken. Und in ihrem neuen Grundsatzprogramm stellen die Grünen ihre Pläne für die Mobilität der Zukunft vor: „Insgesamt wird es deutlich weniger Autos und weniger unnötigen Verkehr geben, die Autozentrierung von Verkehrspolitik, Stadtplanung und Gesellschaft gehört der Vergangenheit an.“ (S. 16, Zeile 224f.) Zudem werden Umweltschutzorganisationen – zum Beispiel Fridays for Future – mit ihren Forderungen verstärkt auf die Grünen zugehen. Das gilt auch in Sachen Verkehrswende.

Damit wird klar: Die „Autonation Deutschland“ kann sich auf Veränderung einstellen. Der private Pkw wird ein Politikum bleiben, „Mobilität“ wird eines der größeren Themen im kommenden Superwahljahr werden.

Was Mobilitätsverantwortliche jetzt tun sollten

Viele Branchen werden der Politik Lösungsvorschläge für die Bewältigung der Pandemiefolgen aufzeigen. Auch für Kommunikator:innen in der Mobilitätsbranche kommt es darauf an, zeitgemäße Lösungen aufzuzeigen, um Gehör zu finden.

Trotz des Lockdowns gilt: Akteure der Mobilitätsbranche sollten mit Politik und Öffentlichkeit im Dialog bleiben und Teil einer größeren Debatte werden – ganz gleich ob Mobility-as-a-Service-Anbieter, Automobilhersteller oder ÖPNV. Denn Diskussionen über Mobilität werden fortgeführt – und sind fester Bestandteil weiterer Debatten, ob Klima oder Gesundheit.

Dabei sollte sich die Kommunikation nicht auf die EU- oder Bundesebene beschränken. Länder und Kommunen sind wichtige Akteure in der Mobilitätsdebatte. Die Pop-Up-Lanes in Berlin zeigen es: Hier trifft nicht der Bund, sondern das Land die Entscheidung. Zudem sind und bleiben Städte die Experimentierfelder schlechthin, wenn es um Mobilität geht.

Zudem gilt, sich auch mit kritischen Stimmen auseinanderzusetzen. Die Diskussion, wie wir uns zukünftig fortbewegen, ist nicht nur meinungsstark, sondern auch stark konfliktbeladen. Das resultiert sicher aus ihrer engen Verzahnung mit der Klimadebatte. Mobilitätsanbieter sollten dabei die Corona-Krise als Chance zum Neustart begreifen ­– die Politik erwartet das von ihnen. Nur wer sich jetzt verantwortungsvoll und zukunftsorientiert positioniert, kann die Verkehrswende prägen und Reputation aufbauen, um nach der Krise wettbewerbsfähig dazustehen.