Susanne Amann, stellvertretende Ressortleiterin Wirtschaft des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ und Sprecherin der Geschäftsführung der Mitarbeiter KG, im Gespräch über Medienverdrossenheit, Fake News und mangelnde Vielfalt in deutschen Redaktionen.
365 Sherpas: Berechenbarkeit in der Demokratie braucht Vertrauen in Institutionen, aber inzwischen gesellt sich zur Politikverdrossenheit auch eine Medienverdrossenheit. Wie erklären Sie sich den Ansehensverlust der etablierten Medien?
Amann: Es gibt eine Vielzahl von Gründen. Da ist erstens eine generelle Unsicherheit: Die Globalisierung stellt alte Gewissheiten infrage, die einfachen Erklärungsmuster funktionieren nicht mehr. Die Folge sind bei vielen Menschen eine diffuse Furcht und ein grundsätzliches Misstrauen. Zweitens haben wir bei einigen wichtigen Themen danebengelegen: Der Brexit, die Trump-Wahl, der Aufstieg der AfD – wir haben es nicht wahrhaben wollen, nicht richtig hingeschaut und die Lage falsch eingeschätzt. Last, but not least: die homogene Zusammensetzung der Redaktionen. Die bestehen zumeist aus Mittelschichtskindern mit Hochschulabschluss, zwischen Ende 30 und Mitte 50, meist männlich, urban, weiß, ohne Migrationshintergrund. So sieht die Gesellschaft aber nicht aus, und wir müssen uns selbstkritisch fragen, ob wir zu wenig rausgehen, dorthin, wo das Leben tobt und wo es manchmal auch weh tut.
365 Sherpas: Ist diese Medienverdrossenheit vor allem bei Anhängern der AfD verbreitet oder reicht das Problem darüber hinaus?
Amann: Die Verdrossenheit reicht über das AfD-Milieu hinaus, aber bei der AfD und ihren Anhängern gibt es zwei Punkte, die sie von anderen unterscheiden: Die AfD instrumentalisiert die Medienverdrossenheit für ihre politischen Ziele, und man traut sich in diesen Kreisen wieder Dinge zu sagen, die bisher unsagbar waren.
365 Sherpas: Dieser gezielte Tabubruch gehört zur AfD-Strategie, ständig wird provoziert. Lassen sich die Medien zu leicht von dieser Strategie vereinnahmen?
Amann: Man kann darüber diskutieren, ob jede Provokation von AfD-Politikern ins Blatt muss, und manche Debatte über Äußerungen von Herrn Gauland könnte unaufgeregter geführt werden. Aber totschweigen – das geht nicht. Unsere Aufgabe ist es, hinzuschauen, zu sezieren und zu bewerten, was die politisch Verantwortlichen sagen und was es bedeutet. Wenn wir AfD-Äußerungen einfach ignorieren, wird man uns vorwerfen, wir würden die Partei totschweigen.
365 Sherpas: Haben Sie ein Beispiel für Provokationen, über die weniger aufgeregt berichtet werden sollte?
Amann: Wenn Herr Gauland davon spricht, die Regierung zu „jagen“, dann ist das geschmacklos, aber vielleicht eine Metapher, die man auch schon von anderen Parteien in ähnlicher Form gehört hat. Wenn er aber dazu aufruft, wieder stolz auf die Soldaten der Wehrmacht zu sein, dann müssen wir dem entschieden entgegentreten.
365 Sherpas: Der Wettbewerbsdruck unter den Medien ist hoch, jeder will der Erste sein, wenn es um exklusive Meldungen geht. Besteht die Gefahr, dass im Kampf um Klicks und Quoten die Gründlichkeit der Schnelligkeit geopfert wird?
Amann: Bei Spiegel Online gibt es einen Leitspruch: Be first, but first be right. Fehler passieren, aber wir haben diverse Kontroll-mechanismen und bei uns gilt immer das Zwei-Quellen-Prinzip. Wir sind deshalb manchmal vielleicht nicht die Ersten, aber Sauberkeit in der Recherche und Korrektheit in der Berichterstattung haben für uns absolute Priorität. Für den Spiegel ist das eine Markenfrage, es geht um unsere Reputation.
365 Sherpas: Für sehr viele Diskussionen sorgt das Thema Fake News. Wie geht der Spiegel mit dem Phänomen um? Werden Informationen und Quellen noch stärker gegengecheckt?
Amann: Der Spiegel hat, was das angeht, zum Glück keinen Nachholbedarf. Die legendäre Dokumentationsabteilung des Spiegels kontrolliert jede Zeile, jede Zahl und jedes Zitat. Fast 80 Dokumentationsjournalisten arbeiten in dieser Abteilung – das ist einmalig in Europa. Sie ist spiegelbildlich zu den Ressorts aufgebaut, das heißt, die Dokumentationsjournalisten sind ebenso auf Themen spezialisiert wie die schreibenden Redakteure.
365 Sherpas: Sie sagten gerade, dass Trump immer noch gut läuft bei den Lesern. Seine täglichen Skandale sind ebenso zum wirkungslosen Grundrauschen geworden wie die jährlichen Enthüllungen über Steueroasen. Sind wir abgestumpft?
Amann: Was die Enthüllungen über Steueroasen betrifft, habe ich einen anderen Eindruck. Es regt die Menschen nach wie vor auf und viele fühlen sich in ihrer Elitenverachtung bestätigt, nach dem Motto: Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen. Dabei reagiert die Politik: Wolfgang Schäuble hat als Finanzminister viel unternommen, um Steuerflucht zu bekämpfen, aber hier zeigen sich die Auswirkungen der Globalisierung: Allein kann Deutschland das Problem nicht lösen, es müssen alle mitziehen. Deshalb bleibt es die originäre Aufgabe der Medien, an diesem Thema dranzubleiben.
365 Sherpas: Eine persönliche Frage zum Schluss: Mit der Branchenplattform „Dverse Media“ machen Sie sich für mehr Vielfalt im Wirtschaftsjournalismus stark. Bedeutet Vielfalt nicht auch mehr Unberechenbarkeit, und ist es vielleicht genau das, was viele fürchten?
Amann: Die meisten fürchten Vielfalt nicht, weil sie das Homogene für den Normalfall halten. Natürlich bedeutet Vielfalt mehr Anstrengung: Es macht einen Unterschied, ob Männer unter sich sind oder ob eine Frau mit am Tisch sitzt. Das gilt umgekehrt auch für Frauen. Aber die Frage ist ja, was zu besseren Ergebnissen führt. Und da liegen die Vorteile in der Vielfalt – gerade wenn es um ökonomischen Erfolg geht. Ganz nebenbei geht es natürlich auch um Machtfragen: Im Wettstreit um Führungspositionen und Karrierechancen treten jetzt immer mehr Frauen an – das schmälert die Chancen für jeden Einzelnen.
365 Sherpas: Frau Amann, vielen Dank für das Gespräch.
Das Gespräch führte Klaus Harbers.
Susanne Amann studierte Politikwissenschaft und Journalistik in Leipzig und Madrid. Volontiert hat sie 2001 bei der taz. Nach mehreren Stationen als Redakteurin wechselte sie 2007 ins Wirtschaftsressort von Spiegel Online und übernahm dort 2009 die Leitung. Ein Jahr später wechselte sie zum Spiegel und ist dort stellvertretende Leiterin der Wirtschaftsressorts.
Das Interview ist im Dezember 2017 in unserem Jahresbrief „Haltung“ erschienen, Thema der Ausgabe ist „Neue Berechenbarkeit“.
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