von Felix Lennart Hake, Tobias Jerzewski und Maren Meinzinger
Frankreich hat gewählt – und schickt nach 2017 auch 2022 die gleichen Kandidat:innen in die Stichwahl für den Kampf um die Präsidentschaft. Beim ersten Wahlgang am vergangenen Sonntag erhielten Amtsinhaber Emmanuel Macron mit 27,85 Prozent und die Rechtspopulistin Marine Le Pen mit 23,15 Prozent die meisten Stimmen. Knapp dahinter verpasste der Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon mit 21,95 Prozent der Stimmen den Einzug in die Stichwahl, die am 24. April stattfindet. Auch wenn damit Befürchtungen eines noch stärkeren Abschneidens Le Pens ausgeblieben sind, steht Frankreich abermals vor der Entscheidung „Macron oder Le Pen?“: Eine Neuauflage des Duells, welches sich eine Mehrheit der französischen Wähler:innen Umfragen zufolge nicht für diese Präsidentschaftswahl gewünscht hatte, die das Nachbarland weiter spalten dürfte, und die Deutschland sowie Europa unsicher in die Zukunft blicken lässt.
Der erste Wahlgang, wenngleich eine Neuauflage des Duells Macron/Le Pen erwartet worden war, lässt Frankreich ernüchtert zurück – und Deutschland und Europa bangen, ob tatsächlich eine Rechtspopulistin die nächste Präsidentin Frankreichs werden wird. Welche Schlüsse lassen sich aus diesem Wahlgang ziehen und was ist in den nächsten zwei Wochen zu erwarten? Wie unterscheiden sich die Positionen von Macron und Le Pen in wichtigen Themen, wie der Klima- und Europapolitik?
Einbruch der Traditionsparteien und starke Ränder: wachsende Spaltung innerhalb Frankreichs.
Während die Rechtspopulistin Marine Le Pen und der Ultrarechte Éric Zémmour sowie der Linkspopulist Mélenchon zusammen über 50 Prozent der im ersten Wahlgang abgegebenen Stimmen auf sich vereinen konnten, landeten die beiden ehemaligen Volksparteien – Sozialisten und Republikaner – in der Addition bei mageren 6,6 Prozent. Dieses Ergebnis knüpft an eine gesellschaftspolitische Entwicklung an, die sich bereits 2002 mit dem Einzug des Rechtspopulisten Jean-Marie Le Pen in die Stichwahl der Präsidentschaftswahl andeutete und die in den Folgejahren mit den Präsidentschaften Nicolas Sarkozys und François Hollandes höchstens gebremst, aber nicht gestoppt werden konnte: die Aushöhlung öffentlicher Debattenprozesse und das Ausbleiben mehrheitsfähiger Alternativen entlang der Mitte. Jenseits von Emmanuel Macron bleibt vielen Franzosen und Französinnen scheinbar nur noch die Alternative, links- oder rechtsextreme Kandidat:innen zu wählen.
Auch die französischen Grünen haben nach guten Ergebnissen bei den Kommunalwahlen 2020 und der Europawahl 2019 auf den nächsten Sprung gehofft – und wurden doch enttäuscht. Das mag auch daran liegen, dass viele Wähler:innen nicht wie in der Vergangenheit üblich im ersten Wahlgang ihrer politischen Überzeugung, sondern strategischen Überlegungen folgten. So können die Grünen in Zukunft zwar auf eine wachsende Anhänger:innenzahl hoffen, diese zu mobilisieren und zu überzeugen wird vor dem Hintergrund der oben beschriebenen gesellschaftspolitischen Polarisierungstendenzen jedoch kein einfaches Unterfangen.
Entscheidet sich die Wahl an der Zapfsäule?
Die Wahl scheint eindeutig: Der liberale Pro-Europäer gegen die ultrarechte EU-Gegnerin. Doch die französischen Bürger:innen treiben in Wahrheit vor allem innenpolitische Fragen um: Rund zwei Drittel von ihnen sehen die Kaufkraft als das entscheidende Thema der Wahl – eines, das schon während der Amtszeit von Emmanuel Macron immer wieder die Schlagzeilen bestimmte, nicht zuletzt bei den Gelbwesten-Protesten. Beide Kandidat:innen müssen Antworten finden auf die wohl größte finanzielle Belastung französischer Haushalte dieser Zeit: die steigenden Energiepreise.
Le Pen schlägt eine Mehrwertsteuersenkung auf Kraftstoffe, Heizöl, Gas und Strom von 20 Prozent auf 5,5 Prozent vor, ebenso wie Maßnahmen zur französischen „Energieunabhängigkeit“. Der Ausbau von Windkraftanlagen solle gestoppt und bestehende Windparks zurückgebaut werden. Gleichzeitig sollen Kernkraft, Wasserkraft und Wasserstofftechnologien gestärkt werden. Zudem solle Frankreich aus dem europäischen Strommarkt aussteigen, um nach Aussage der Kandidatin zu „anständigen Preisen“ zu gelangen.
Emmanuel Macron setzt zwar ebenfalls auf den Bau neuer Kernkraftwerke, gibt aber gleichzeitig an, die Solarenergiekapazitäten verzehnfachen und bis 2050 rund 50 neue Offshore-Windparks bauen zu wollen. Investitionen in Wasserstoff sollen vorangetrieben werden, um führend im Bereich des grünen Wasserstoffes zu werden und Millionen von Elektro- und Hybridfahrzeugen produzieren zu können. Um die derzeitigen Energiepreise abzufedern, hatte seine aktuelle Regierung bereits im letzten Jahr das Ziel ausgegeben, den Energiepreisanstieg auf 4 Prozent zu begrenzen, indem Gas- und Strompreise gedeckelt werden. Außerdem erhalten bedürftige Haushalte einen Energiekostenzuschuss.
Trotz der großen energie- und gleichzeitig sozialpolitischen Herausforderungen dürfte der kommende Wahlkampf der zweiten Runde nicht ohne außenpolitische Dimension bleiben. Im Krieg gegen die Ukraine hat der amtierende Präsident Macron eine aktive Unterstützer-Rolle für die Ukraine eingenommen und zwischen Moskau und Kyiv zu vermitteln versucht. Zwar hat auch Marine Le Pen den Angriff Russlands auf die Ukraine als völkerrechtswidrig verurteilt und Sanktionen befürwortet, in ihrem Wahlprogramm plädiert sie aber für einen „Dialog mit Russland über wichtige gemeinsame Themen“. Gleichzeitig tauchen vermehrt Bildaufnahmen von Besuchen bei Wladimir Putin und Äußerungen Le Pens über ihre ideologische Nähe zum russischen Präsidenten auf, die ihr Ansehen vor dem Hintergrund des russischen Angriffskrieges gerade bei noch unentschiedenen Wähler:innen nicht stärken dürften.
Endlich Wahlkampf
In den kommenden 12 Tagen können sich die Französinnen und Franzosen wohl auf Wahlkampf einstellen, nachdem dieser vor dem ersten Wahlgang nahezu ausgeblieben war. Beide Kandidat:innen werden versuchen, vor allem linke Wähler:innen zu überzeugen und bislang passive Wähler:innen zu mobilisieren – der Nichtwähler:innenanteil lag mit gut 26 Prozent rund 4 Prozentpunkte über dem Wert von 2017. Ausschlaggebend wird sein, wie sich das Lager von Mélenchon entscheiden wird: Ob diesmal der Grund, Le Pen verhindern zu wollen, auch eine Stimme für Macron bedeutet (oder sie das Kreuz bei keinem der beiden Kandidat:innen machen werden) ist fraglich. Es wird ein enges Rennen und eine harte Debatte um die Zukunft Frankreichs werden. Auch bei dieser Wahl wird dabei die TV-Debatte zwischen Macron und Le Pen kurz vor der Wahl entscheidend sein: Le Pen wird versuchen, im direkten Duell gegen Macron deutlich besser als 2017 abzuschneiden. Damals hatten viele Zuschauer:innen den Eindruck, sie sei ihm nicht gewachsen. Schon jetzt kann man sagen: dieser erste Wahlgang war aus vielerlei Gründen ein Einschnitt in der Geschichte der 5. Republik. Er lässt die Antwort auf die entscheidende Frage, ob Europa weiterhin auf ein starkes deutsch-französisches Tandem zählen kann oder erstmals eine Rechtspopulistin Präsidentin Frankreichs wird, so unvorhersehbar werden wie noch nie zuvor.