In Österreich ist gelungen, was in Deutschland seit längerem diskutiert wird. Taugt das konservativ-grüne Regierungsprogramm in Österreich als Vorlage für ein mögliches Schwarz-Grünes Bündnis in Deutschland?
Die beiden „wichtigsten politischen Strömungen in Europa“ würden sich nun verbinden, meint zumindest der Vorsitzende der österreichischen Grünen und Vize-Kanzler Werner Kogler. Und das obwohl die Parteien für „genau unterschiedliche Dinge gewählt wurden“. Rhetorisch versiert bescheinigt Alt- und Neukanzler Sebastian Kurz dem Regierungsprogramm „das Beste aus beiden Welten zu vereinen“. Anstatt sich auf „Minimalkompromisse gegenseitig runterzuhandeln“, hätten sich beide Parteien mit ihren zentralen Forderungen durchsetzen können.
Eine Blaupause für Deutschland?
Im Angesicht der globalen gesamtgesellschaftlichen Herausforderung durch den Klimawandel erscheint Vielen die Synthese von konservativen und grünen Politikelementen als neue Erfolgsformel für die politische Zukunft Europas und auch Deutschlands. Bisher allerdings gab es keine Antwort auf das „Wie“. Wie kann sich eine solche Konstellation bundespolitisch aufstellen, so dass beide Pole ihre Ziele erreichen können – ohne dem anderen seine zu nehmen? Inmitten von European Green Deal, zugegebenermaßen unterhaltsamen PR-Desastern der Deutschen Bahn (Stichwort Greta Thunberg) und apokalyptisch anmutenden Bildern aus der Feuerhölle Australiens, lohnt sich hierbei ein Blick auf die personelle und inhaltliche Konstellation in Wien.
Denn auch in Deutschland scheinen die Weichen für Schwarz-Grün weniger als zwei Jahre vor der nächsten Bundestagswahl bereits gestellt. Die Umfragewerte sehen CDU/CSU und Grüne bei knapp 50%, es scheint sich zum einzigen, rechnerisch möglichen Zweierbündnis zu entwickeln. Und auch eine zunehmende Zahl von Akteuren in Wirtschaft und Gesellschaft sehen Schwarz-Grün als attraktives und stabiles Modell für die Zukunft. Die Annahme lautet, dass hier ein tragfähiger Kompromiss zwischen ökologischer Nachhaltigkeit und wirtschaftlicher Prosperität, individueller (Konsum-)Freiheit und klimapolitischen Imperativen zu finden sein könnte. Aber ist das – mit Blick auf Österreich – wirklich so oder haben wir es hier schlicht mit einer einfachen Macht-Arithmetik zu tun?
Regierungsmannschaft/Ressortverteilung
Im jüngsten und weiblichsten Regierungskabinett der österreichischen Geschichte (die Mehrheit der Ministerien wird von Frauen geführt) sichert sich die ÖVP insgesamt 10 von 14 Ministerien, darunter das für Finanzen, Wirtschaft, Außenpolitik und die beiden Sicherheitsministerien. Die Grünen übernehmen das „Superministerium“ für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie sowie die Ministerien für Justiz, Soziales und Gesundheit. Allein die Regierungsmannschaft erweckt jedoch den Eindruck, als hätte die ÖVP sich in den meisten Politikfeldern durchsetzen können und die Grünen in ein umweltpolitisches Reservat abgedrängt.
Die österreichische Bündelung von Klimakompetenzen könnte in der Tat als Vorbild dienen. Der Streit in Deutschland um die CO2 Budgets der Ministerien und fehlende Sanktionsmechanismen beim Klimapaket legen die Vorteile einer Zentralisierung nahe. Ob eine solche Ressortverteilung mit den deutschen Grünen zu machen wäre, sei dahingestellt. Fakt ist, dass Sebastian Kurz gestärkt aus den vorgezogenen Wahlen hervorging. Stand jetzt sind die Voraussetzungen in Deutschland anders, die deutschen Grünen würden sich nicht so einfach mit einem um Kompetenzen erweiterten Umweltministerium begnügen, würden die Machtfrage anders stellen.
Versöhnung von Ökonomie und Ökologie
Das Herzstück des österreichischen Koalitionsvertrags – die „Versöhnung von Ökonomie und Ökologie“ – soll über einen Mix aus Umweltmaßnahmen und finanzieller Entlastung (u. A. über einer Senkung des Eingangssteuersatzes von 25 auf 20 Prozent) erreicht werden. Die Kernforderung der ÖVP nach einem ausgeglichenen Haushalt findet sich ebenfalls wieder. Schwarze Null, Steuerentlastung und ein neues Investitionspaket im Bereich Klima – diese Kompromissformel scheint auch in Deutschland möglich.
Der ambitioniertere Teil des österreichischen Regierungsprogramms trägt eindeutig eine grüne Handschrift. Bis 2040 – also rund 10 Jahre früher als im European Green Deal vorgesehen – soll Österreich ein klimaneutrales Land sein. Das Maßnahmenpaket beinhaltet eine „Verkehrswende“ durch den Ausbau des ÖPNV, die steuerliche Förderung von Elektroautos bei gleichzeitiger Verteuerung von Diesel und eine „ökologische Besteuerung“ von Ticketpreisen: Fliegen wird teurer, Bahn fahren billiger. Strittige Punkte, wie die Frage einer wie auch immer gearteten Bepreisung von CO2-Emissionen, bleiben hingegen reichlich unkonkret.
Insgesamt entsprechen die Maßnahmen auf diesem Politikfeld einer deutlich ambitionierteren Version des gerade erst von der GroKo beschlossenen Klimapakets und greifen viele Aspekte des European New Deal auf. Auch wenn das Rad hier nicht neu erfunden wird, wird sich ein mögliches Schwarz-Grünes Regierungsbündnis in Berlin an diesen Abmachungen orientieren müssen – also der Terminus Blaupause wäre für dieses Politikfeld tatsächlich gerechtfertigt.
Migration und Asyl
„Es ist möglich, das Klima und die Grenzen zu schützen.“ So formulierte es Sebastian Kurz. Im Koalitionsvertrag wird der von ÖVP und FPÖ eingeschlagene Weg überraschenderweise größtenteils fortgesetzt: konsequente Abschiebung von Drittstaatsangehörigen, denen der Schutzstatus aberkannt wurde; Verbesserung des Schutzes der EU-Außengrenzen; Hilfe soll vorzugsweise vor Ort geleistet werden. Auf der gemeinsamen Pressekonferenz erklärte Kurz die europäische Verteilung von Flüchtlingen für „gescheitert“. Der grüne Einfluss zeigt sich kaum. Im Gegenteil: Es soll ein „Modus zur Lösung von Krisen im Bereich Migration und Asyl“ angewendet werden, wenn „besondere Herausforderungen“ entstehen, sprich: sehr viele Geflüchtete nach Österreich einreisen wollen. Sollten sich ÖVP und Grüne in einem solchen Fall uneins sein, wird ein koalitionsfreier Korridor geöffnet. Jeder Koalitionspartner kann eigenständig ein Gesetzesvorhaben in das österreichische Parlament einbringen und einen anderen Partner zur Realisierung finden – zum Beispiel die FPÖ!
Diese Regelung rief sogleich die deutschen Grünen auf den Plan, unter anderem die Parteivorsitzende Annalena Baerbock kritisierte hier scharf. Unvorstellbar, dass eine solche Vereinbarung in Deutschland getroffen wird. Blaupausen-Faktor gleich null.
Zwei Länder, eine Koalition?
Die von beiden Parteichefs mehrfach hervorgehobene „Vorbildfunktion“ für den Rest Europas muss insofern kritisch hinterfragt werden. Regierungsprogramme lassen sich nicht einfach von einem auf das andere Land überstülpen. Die Wahlergebnisse von ÖVP (37,5 %) und österreichischen Grünen (13,9%) unterscheiden sich deutlich von den aktuellen Umfragen in Deutschland (um ca. plus 10% von der CDU und minus 7-8% zu den deutschen Grünen). Die sich daraus ableitende verstärkte Machtasymmetrie spiegelt sich sowohl in der Ressortaufteilung als auch in der politischen Programmatik wider.
So zeigt das österreichische Beispiel Handlungsspielräume auf. Gleichzeitig zeigt es auch: Für Deutschland braucht es andere Strategien, um Kompromisse zu schließen.
Autor: Leonard Baum (Praktikant bei 365 Sherpas)
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