von Annkathrin Paulus und Felix Lennart Hake

Energiepolitisch herrscht dieser Tage in Brüssel alles andere als Urlaubsstimmung. Kurz vor der Sommerpause diskutiert der Energieausschuss des Europäischen Parlaments in dieser Woche zahlreiche wichtige Dossiers, von Erneuerbaren Energien, über Energieeffizienz bis hin zu Wasserstoff. Nicht offiziell auf dem Tisch, aber trotzdem mit dabei: Das REPowerEU-Paket, das die EU-Kommission vor wenigen Wochen vorgestellt hat. Mit dem Ziel, die Abhängigkeit der EU von russischen Energieimporten zu verringern, bauen die Maßnahmen auf dem im letzten Jahr präsentierten „Fit for 55“-Paket der Kommission auf. Dieses hatte sich zum Ziel gesetzt, die Treibhausgasemissionen der Union bis 2030 um 55 Prozent gegenüber 2005 zu reduzieren. REPowerEU ergänzt diese Ziele, etwa im Bereich der Energieeffizienz oder des Ausbaus Erneuerbarer Energien (EE), und setzt dabei auf einen Mix aus legislativen, rechtlich verbindlichen, Vorschlägen und Empfehlungen sowie politischen Strategien, die keine unmittelbare Rechtswirkung entfalten.  

 

Die Kommission setzt auf einen Maßnahmen-Mix mit vier Säulen 

Um die beiden Ziele der Energieunabhängigkeit und der Dekarbonisierung gleichermaßen zu erreichen, setzt die Kommission auf vier Dimensionen: Energie sparen, Quellen diversifizieren, den Ausbau Erneuerbarer Energien beschleunigen und Investitionen stärken 

Auf legislativer Ebene schlägt die Kommission vor, das geplante verbindliche Energieeffizienzziel um vier Prozentpunkte auf 13 Prozent zu erhöhen. Hierfür muss die Energieeffizienzrichtlinie (2012/27/EU), die im Rahmen von „Fit for 55“ bereits überarbeitet wird, angepasst werden. Die Erneuerbare-Energien-Richtlinie soll nach Ansicht der Kommission ebenfalls verschärft werden: Demnach müssten die Mitgliedstaaten bis 2030 im unionsweiten Durchschnitt mindestens 45 Prozent ihrer Energie aus erneuerbaren Quellen beziehen – gegenüber 40 Prozent im bisherigen Entwurf. Gleichzeitig sollen sogenannte „go-to“-Gebiete ausgewiesen werden, in denen bei niedrigen Umweltrisiken eine schnellere Genehmigung von EE-Anlagen erfolgen kann. Um den Ausbau Erneuerbarer Energien voranzutreiben, soll zudem eine stufenweise Pflicht zur Installation von Solaranlagen auf Gebäuden eingeführt werden – zunächst auf öffentlichen und gewerblichen Gebäuden und ab dem 31. Dezember 2029 auch auf privaten Neubauten. 

Ergänzt werden diese rechtlichen Änderungen durch eine Reihe von Empfehlungen und Strategien: 

  • Die Kommission empfiehlt den Mitgliedstaaten, Genehmigungsverfahren für den Bau Erneuerbarer Energien-Infrastrukturen zu beschleunigen, indem Verfahren verkürzt, interne Abläufe verbessert und Informationen digital zur Verfügung gestellt werden.  
  • Konkrete Maßnahmen zum Energiesparen für Bürger:innen, Unternehmen sowie im Verkehrssektor schlägt die Kommission in ihrer „EU Save Energy“-Kommunikation vor und sieht darin ein Einsparpotenzial von bis zu fünf Prozent des jährlichen EU-Gasverbrauchs.  
  • In ihrer Solarenergie-Strategie skizziert die Kommission Maßnahmen zum Ausbau, zur Finanzierung und zur Innovationsförderung der Photovoltaik (PV), mit dem Ziel, dass die EU bis 2025 über 320 Gigawatt und bis 2030 bis zu 600 Gigawatt an Solarenergie erzeugt.  
  • International setzt die EU-Kommission auf neue und etablierte Energieimport-Partnerschaften im Mittelmeer, der Golfregion und mit Japan, über die etwa rund 10 Millionen Tonnen Wasserstoff bis 2030 eingekauft werden sollen.  

 

Die „Zeitenwende“ erfordert schnelles und entschiedenes Handeln 

Dass die EU-Kommission neue, verschärfte Vorschläge zu Gesetzgebungsvorhaben unterbreitet, die bereits im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren sind, ist eine Seltenheit. Angesichts des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine und den daraus resultierenden energiepolitischen Folgen für die gesamte Union ist das Vorgehen aber nur kohärent. Einerseits knüpft das REPowerEU-Paket an weitere kurzfristige Maßnahmen an, wie etwa die Verankerung verpflichtender Gas-Füllstandsvorgaben in der SOS-Verordnung (EU 2017/1938), auf die sich Rat und Parlament im Mai geeinigt haben. Andererseits muss die Europäische Union in der Lage sein, zeitnah auf weitreichende politische Veränderungen reagieren zu können. Doch ist sie das wirklich?  

Wie schnell die vorgeschlagenen Nachschärfungen an den „Fit for 55“-Vorhaben Realität werden, hängt nun von Rat und Parlament ab, die sich mit den Vorlagen zu beschäftigen haben. Dass REPowerEU und „Fit for 55“ derzeit noch parallel laufen, zeigt auch die Allgemeine Ausrichtung des Rates zur Energieeffizienz– und Erneuerbare Energien-Richtlinie, die am 27. Juni beschlossen wurde. Darin einigten sich die Mitgliedstaaten auf den von der Kommission im „Fit for 55“-Paket vorgeschlagenen Anteil von 40 Prozent Erneuerbarer Energien im EU-weiten Energiemix bis 2030, bleiben also hinter der Ambition des REPowerEU-Vorschlags zurück. Auch beim verbindlichen Energieeffizienzziel bleibt die Position des Rates für die Novellierung der Energieeffizienzrichtlinie auf dem „Fit for 55“-Ambitionsniveau und greift das ursprüngliche Ziel, den EU-weiten Energieverbrauch um neun Prozent gegenüber 2020 zu senken, auf.  

Einen ersten Einblick in die Positionierung des Parlaments wird die Ausschuss-Abstimmung am 13. Juli geben, offiziell wird das Plenum die Berichte zur Erneuerbare-Energien-Richtlinie und zur Energieeffizienzrichtlinie erst im September annehmen. Dann wird sich zeigen, ob die ambitionierteren REPowerEU-Ziele unmittelbar in die Trilogverhandlungen einfließen oder ob eine nachträgliche Verschärfung notwendig sein wird.  

Hier zeigt sich schnell, dass die Handlungsfähigkeit der Union bei schnelllebigen Entwicklungen wie dem Krieg in der Ukraine – zumindest im Rahmen des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens – an seine zeitlichen Grenzen stößt. Selbst wenn REPowerEU in – für europapolitische Maßstäbe – Rekordzeit verabschiedet würde, so dürfte bis zur finalen Entscheidung von Rat und Parlament ein Großteil des energiepolitischen Momentums verloren gehen, das der russische Angriff auf die Ukraine ausgelöst hatte. Es ist ohnehin schon fraglich, ob das „Fit for 55“-Paket wirkungsvoll genug sein wird, um die Erderwärmung auf die im Pariser Klimaabkommen vereinbarten 1,5 Grad zu beschränken. Wenn sich Rat und Parlament mit REPowerEU nicht auf ambitioniertere Maßnahmen einigen, wäre dies eine vertane Chance für den Klimaschutz in Europa 

Parallel nehmen die Mitgliedstaaten weitreichende Änderungen an ihrem Energierecht vor, um möglichen Versorgungsengpässen im Winter vorzubeugen und auch langfristig die Abhängigkeit von internationalen Energieimporten zu reduzieren – darunter auch die deutsche Bundesregierung. Ob die neuen Pläne der EU erfolgsvorsprechend sind und was sie für die deutsche Energiepolitik bedeuten, erfahren Sie in der kommenden Woche im zweiten Teil dieser Blogreihe