von Annkathrin Paulus und Felix Lennart Hake
Diese Woche ist – trotz der seit Wochen angespannten Lage auf den Energiemärkten – noch einmal eine ganz entscheidende für die EU und vor allem für Deutschland. Während der Energieausschuss des Europäischen Parlaments sich letzte Woche erstmals mit einigen Vorhaben aus dem im letzten Blogbeitrag vorgestellten RepowerEU-Paket befasst und die Ziele teilweise weiter verschärft hat, um die Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen zu senken, hält die Politik derzeit den Atem an: Wird Russland die gerade laufende, eigentlich routinemäßige Wartung von North Stream I aus politischen Motiven verzögern oder Deutschland gar vollständig den Gashahn zudrehen?
Der Weg in die europäische Energieunabhängigkeit ist noch weit
Dies hätte weitreichende Konsequenzen, denn es ist klar: Die im REpowerEU-Paket vorgeschlagenen Maßnahmen werden die Abhängigkeit von russischen Energielieferungen nicht schlagartig reduzieren. Hierauf zielen eher die bereits beschlossenen Sanktionen wie das Importverbot für Öl und Kohle ab. Die im Gesetzespaket vorgesehenen Energieeinsparungen können laut Zahlen der EU-Kommission durch kurzfristige Verhaltensänderungen die Gas-und Ölnachfrage zwar um bis zu fünf Prozent senken, weshalb die Kommission die Mitgliedstaaten nun auch zum Start großer Energiesparkampagnen wie der bereits in Deutschland laufenden aufgerufen hat. Um beispielsweise im großen Stil energieintensive Gebäude zu sanieren und die durch die Kommission angestrebten 13 Prozent Energieeinsparungen zu erreichen, die nun vom Energieausschuss des Europäischen Parlaments noch einmal um weitere 1,5 Prozent angehoben wurden, braucht es jedoch mehr Vorlaufzeit – genauso wie beim zumindest in Deutschland bisher nur schleppenden Ausbau der Erneuerbarer Energien.
Nicht ohne Grund benennt die Kommission deshalb einen Zeithorizont bis 2030 für ihre Vorhaben. Sollten die anvisierten Energieeinsparungen sowie ein erhöhter Energieverbrauch aus Erneuerbaren Energien erreicht werden, tragen sie sicherlich zu einer reduzierten Abhängigkeit von russischen Energieimporten bei. Allerdings ist fraglich, ob die Erhöhung des Effizienzzieles um vier Prozent (bzw. um 5,5 Prozent nach dem Willen des Energieausschusses) und des Erneuerbaren-Zieles um fünf Prozent im Vergleich zum „Fit for 55“-Paket einen weiteren Gamechanger darstellen. Vielmehr ist der Schritt der EU-Kommission als Signal an die Mitgliedstaaten zu werten, die oftmals auf die lange Bank geschobene Erreichung der Klimaziele nun zum Erhalt der eigenen Versorgungssicherheit dringend umzusetzen. In diesem Zusammenhang sind auch die Ausweitung und Diversifizierung internationaler Energieimport-Partnerschaften entscheidend, um sich beim Import Erneuerbarer Energien sowie von Wasserstoff nicht in neue Abhängigkeiten zu begeben.
Deutschland muss Dilemma zwischen Versorgungssicherheit und Emissionssenkung lösen
Werden die EU-weiten Ziele erhöht, bedeutet dies auch, dass Deutschland seine Ambitionen ausbauen muss: Bereits im Rahmen des „Fit for 55“-Pakets hatte Deutschland im Klimaschutzgesetz seine Klimaziele angehoben – um zehn Prozentpunkte auf 65 Prozent weniger Emissionen im Jahr 2030 im Vergleich zu 1990. Laut einer Studie der Agora Energiewende sind hierfür unter anderem ein vollständiger Kohleausstieg bis 2030, ein Anteil von 70 Prozent Erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung und 14 Millionen Elektroautos notwendig. Sollten die im REPowerEU-Paket festgelegten Ziele verbindlich verabschiedet werden, würde dies eine weitere Verschärfung für Deutschland bedeuten.
Zwar hat die Bundesregierung im Osterpaket ohnehin das Ziel ausgegeben, bis zum Jahr 2030 80 Prozent des Stroms aus Erneuerbaren Energien zu produzieren – Gas wird jedoch in Deutschland überwiegend für die industrielle Produktion und zum Heizen gebraucht. Durch den Fokus auf eine Erhöhung des Anteils Erneuerbarer Energien an der Stromproduktion kommt die Bundesregierung zwar ihren und den EU-Klimazielen näher, wird die Abhängigkeit von russischem Gas jedoch nicht ausreichend senken. Hierfür muss vor allem die industrielle Produktion auf Wasserstoff umgestellt werden – ein Vorhaben, dass Bundeswirtschaftsminister Habeck mittelfristig durch die kürzlichen Reisen in zukünftige Wasserstoff-Exportländer wie Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate vorbereitet. Für die vorgesehene massive Ausweitung der inländischen Produktion wird zudem auch eine Verbesserung der regulatorischen Rahmenbedingungen für einen Markthochlauf von Wasserstoff nötig sein.
Langfristig wird Deutschland durch die verschärften EU-Vorgaben nun endlich dazu gezwungen, das Dilemma zwischen Versorgungssicherheit und Emissionssenkung zu lösen. Denn das kürzlich beschlossene Ersatzkraftwerkebereithaltungsgesetz, welches die Nutzung von in Reserve befindlichen Kohlekraftwerken für die Stromproduktion vorsieht, um den Anteil von Gas zu reduzieren, zeigt schmerzlich auf, was notwendig wird, wenn der Gasfluss aus Russland kurzfristig weiter reduziert würde. Bisher ist Deutschland schlichtweg nicht in der Lage, die Importmenge auch Russland signifikant zu senken, ohne gleichzeitig fossile Energieträger länger am Netz zu lassen. Dass ein durch Russland veranlasstes Gas-Embargo ein realistisches Szenario ist, daran hegt nach dem Gas-Stopp für Polen, Bulgarien und Finnland auf dem politischen Parkett niemand ernsthafte Zweifel mehr. Auch das angestrebte Gassparauktionsmodell für die Industrie und der Preisanpassungsmechanismus im Energiesicherungsgesetz zeigen: Im Winter könnten harte Zeiten auf Wirtschaft und Haushalte zukommen.
Insgesamt erfüllt das REPowerEU-Paket für Deutschland die Rolle eines Katalysators. Der schnellere Ausbau Erneuerbarer Energien und größere Bemühungen bei der Energieeffizienz wären zwar schon durch das „Fit for 55“-Paket notwendig geworden. Ganz im Sinne des Namens sendet die EU mit dem Paket jedoch die eindeutige Botschaft: Veraltete Teile der deutschen Energiepolitik sollten dringend erneuert werden. Auch wenn Gas als Brückentechnologie bis zu einem gewissen Maße unverzichtbar ist, müssen nun alle Weichen gestellt werden, um in allen Bereichen schnellstmöglich auf Erneuerbare Energien umzusteigen und den Verbrauch insgesamt zu reduzieren – und damit die Abhängigkeit von Russland zu verringern.