„Wir sind 600.000 Mitglieder“ – mit dieser Aussage sorgte Bundeskanzler und ÖVP-Obmann Karl Nehammer beim Parteitag im Mai für Aufsehen – und für einige hochgezogene Augenbrauen bei der Konkurrenz. Auch die SPÖ hat laut eigenen Angaben 180.000 Mitglieder. Das ist beides sehr viel in einem Land mit 6,4 Mio. Wahlberechtigten. Aber wieviel ist das wirklich? 

ÖVP-Mitglieder machen 10 Prozent der gültigen Stimmen aus 

Die Anzahl der Mitglieder ist bei den fünf Parlamentsparteien unterschiedlich. Laut Statista (2017) gibt es 500.000 zahlende Mitglieder bei der ÖVP, 180.000 bei der SPÖ, 60.000 bei der FPÖ, 7.300 bei den Grünen und 2.500 bei den NEOS.  

Setzt man das in Relation, heißt das: Die 500.000 ÖVP-Mitglieder machen 10,34% der Wahlberechtigten / Wähler:innen sowie 10,47% der gültigen Stimmen aus (BMI – Nationalratswahl 2019). Wählen alle ÖVP-Mitglieder ihre Partei bei der nächsten Wahl, kann die aktuelle Kanzlerpartei mit 10% der gesamten Stimmen rechnen, ohne auch nur einen einzigen weiteren Wähler (oder Wählerin) überzeugt zu haben. 

Alle anderen Parteien kämen alleine mit ihren Mitglieder-Stimmen nicht über die 4%-Hürde und damit nicht in den Nationalrat. Sie machen 3,77% (SPÖ), 1,26% (FPÖ), 0,15% (Grüne) oder 0,05% (NEOS) der gültigen Stimmen aus. 

Partei-
mitglieder
Bevölkerung (2021)
Wahlberechtigte (2019)
Wähler:innen (2019)
Gültige Stimmen (2019)
Gesamt:
749,800 8,951,520 6,396,812 4,835,469 4,777,246
ÖVP 500,000 5.59% 7.82% 10.34% 10.47%
SPÖ 180,000 2.01% 2.81% 3.72% 3.77%
FPÖ 60,000 0.67% 0.94% 1.24% 1.26%
Grüne 7,300 0.08% 0.11% 0.15% 0.15%
NEOS 2,500 0.03% 0.04% 0.05% 0.05%

Tabelle 01: Anteil der Parteimitglieder an Gesamtbevölkerung, Wahlberechtigten und Wähler:innen (Österreich)

Parteimitglieder als Stimmen-Multiplikatoren 

So richtig interessant – zumindest für uns Polit-Nerds – wird es, wenn man sich die Multiplikationsfaktoren ansieht. Das heißt, wieviele Wähler:innen (inklusive einem selbst) ein Mitglied zur Wahl der eigenen Partei mitbringen müsste, um die 4%-Hürde zu erreichen?  

Die ÖVP müsste nicht einmal die Hälfte ihrer eigenen Mitglieder zur Wahl mobilisieren, damit sie die 4%-Hürde schafft. Bei NEOS müsste ein Parteimitglied dagegen rund 76,4 Wähler:innen zum Kreuzerl bei den Pinken bewegen. 

Wie in anderen europäischen Ländern könnte auch in Österreich ein Viertel aller Wähler:innen-Stimmen bei der nächsten Wahl reichen, um stimmenstärkste Partei zu werden und den Anspruch auf das Kanzleramt zu erheben. Dafür braucht die ÖVP das 2,4-Fache seiner Mitglieder als Wähler:innen, die SPÖ das 6,6-Fache, die FPÖ das 19,9-Fache. Die Mitglieder der Grünen (163,6) und NEOS (477,7) müssten dagegen ziemlich erfolgreich überzeugen. 

Ähnlich unterschiedlich sind auch die nötigen Multiplikationsfaktoren, wenn die Parteien andere Zielmarken erzielen wollen – z.B. ihre Wahlergebnis von 2019 wiederholen oder eine absolute Mehrheit erreichen. Die letzte „Absolute“ bei Nationalratswahlen gelang allerdings Bruno Kreisky 1979 und ist nach aktuellen Umfragen für keine Partei auch annähernd in Reichweite. 

Ziel ÖVP SPÖ FPÖ Grüne NEOS

Anteil Parteimitglieder an gültigen Stimmen

10.47% 3.77% 1.26% 0.15% 0.05%

Stimmenanteil NRW 2019

37.50% 21.2% 16.20% 13.90% 8.10%
eine absolute Mehrheit 4.8 13.3 39.8 327.2 955.4
das NRW-Ergebnis 2019 3.6 5.6 12.9 91.0 154.8
ein Viertel aller Stimmen 2.4 6.6 19.9 163.6 477.7
den NR-Einzug 0.4 1.1 3.2 26.2 76.4
Tabelle 02: Multiplikationsfaktoren der Parteien – Wie viele Menschen müssen Parteimitglieder überzeugen, damit ihre Partei … erreicht

4% für NEOS bedeuten 800% für die ÖVP 

Der Unterschied bei den Mitgliederzahlen legt auch unterschiedliche Strategien in Wahlkämpfen und Themenpositionen (Stw. Ausländer-Wahlrecht) nahe, ergibt aber auch unterschiedliche Anforderungen an eine:n Spitzenkandidat:in. Ein einziges Schema über alle Parteien zu legen ist zwar verbreitet, aber für die polit-strategische Analyse ungeeignet. Das erscheint plausibel, wenn man sich noch ein paar Gegenüberstellungen ansieht. 

Während die ÖVP 4,8 und die SPÖ 13,3 Wähler:innen pro Mitglied mobilisieren müssen, um eine absolute (!) Mehrheit zu erreichen, muss jedes NEOS-Mitglied 76,4 Wähler:innen-Stimmen bringen, um überhaupt in den Nationalrat zu kommen. Bei den Grünen ist es zwar nicht so krass, aber immerhin sind es auch 26,2.  

Die FPÖ liegt bei allen Werten in der Mitte und geht daher in der Gegenüberstellung der Extreme etwas unter, soll aber nicht unerwähnt bleiben. Jedes Mitglied muss „lediglich“ 3,2 Wähler:innen mobilisieren, damit die Freiheitlichen im nächsten Nationalrat vertreten sind.  

Der Erfolgsbarometer für die FPÖ ist aber eher das Ergebnis von 2019 (16,20%). Hierzu liegt der Multiplikationsfaktor pro Parteimitglied bei 12,9 –  ein Multiplikationsfaktor, bei dem die SPÖ schon an der „Absoluten“ kratzen würde und die ÖVP auf sagenhafte 133% der Stimmen käme. Würde die ÖVP sogar so mobilisieren, wie es NEOS für einen Nationalrats-Einzug tun muss (jedes Mitglied bringt 76,4 Wähler:innen-Stimmen), kämen sie auf 800%.  

Mitgliedszahlen = nicht gleich Bereitschaft 

Diese Gegenüberstellungen sind ein reines und vereinfachtes Rechenspiel und  schon deshalb nur begrenzt aussagekräftig, weil die Datenlage (für Außenstehende) dürftig ist. Ein genauer Blick lohnt sich aber für die Parteistrategen: Wer sind die Mitglieder, wie sind sie erreichbar? Und wie hoch ist deren Bereitschaft, im sozialen Umfeld, im digitalen und echten Straßenwahlkampf potentielle Wähler:innen zu überzeugen?  

Dieses Rechenspiel soll zu einem differenzierteren Blick verhelfen. Vielleicht verbirgt sich im „Wiedererstarken der Länder und Bünde“ in der ÖVP nicht nur eine interne Machtverschiebung? Vielleicht ist eine auf den ersten Blick gegensätzliche Mobilisierungsstrategie der SPÖ, bei der knapp 40% aller Mitglieder in Wien zu Hause sind, zu den anderen Bundesländern beabsichtigt, mutig und erfolgversprechend? Und vielleicht ist eine schrille, auf Massenmedien fokussierende Kampagne von NEOS gar eine Notwendigkeit?  

Den Faktor Parteimitglieder sollten wir jedenfalls in unseren Analysen und Ableitungen mitdenken.  

P.S.: Die ganze Excel-Tabelle gibt es hier zum Nachlesen.  

P.P.S.: Ein Hinweis zu den Zahlen: eine aktuelle und belastbare Zahlenbasis für Mitglieder politischer Parteien in Österreich ist schwer zu erfassen. Die öffentlich verfügbaren Daten stammen aus 2017 (Statista), sind Eigenangaben und die Berechnung, wer als Parteimitglied gilt, ist unterschiedlich (im orf.at-Beitrag wird das Thema Datenqualität in diesem Zusammenhang gut beschrieben). Die Qualität der Daten würde wissenschaftlichen Standards nicht genügen.