Nach der Wahl ist vor dem Narrativ

Österreich hat (wieder einmal) gewählt und der Ausgang ist überraschender als es der Wahlkampf erwarten hat lassen. Die wichtigsten Ergebnisse, Analysen und Übersichten sind schon vielfach zusammengefasst worden (z.B. auf orf.at) Was ist aber dennoch wichtig zu betonen?

Türkise Mobilisierung, grünes Comeback

Die ÖVP konnte erstaunlich gut mobilisieren, obwohl Platz eins ihr schon lange sicher war. Dass das nicht selbstverständlich ist, davon kann die deutsche Schwesterpartei CDU ein Lied singen. Bei der Bundestagswahl 2017 war die Kanzlerin-Frage ebenso schon lange entschieden, woraufhin das knappe Rennen um den dritten Platz gleich vier Kleinparteien einen Mobilisierungsschub verlieh (FPD, Grüne, Linke und AfD). Darüber hinaus ist die Rückkehr der Grünen bemerkenswert. Es ist das beste Ergebnis, das sie je bei einer Nationalratswahl erreichen konnten – und das nur zwei Jahre, nachdem sie an der vier Prozent Hürde gescheitert und aus dem Parlament geflogen sind.

Koalitionen, Koalitionen, Koalitionen

Wenig überraschend stellt sich nun die Frage nach einer künftigen Regierungskonstellation. Aus Erfahrung (und verhandlungstaktischen Gründen) geht natürlich keine Partei in die Offensive und bietet sich als Koalitionspartner an. Außerdem gibt es bei jeder Variante etliche Gegenargumente. Klar ist aber auch, dass die Aussicht auf eine Regierungsbeteiligung dennoch sehr verlockend ist, immerhin hat man die Möglichkeit die eigenen Inhalte umzusetzen – gerade in einem sehr exekutiv-lastigen politischen System wie in Österreich. Die Partei kann Ministerien besetzen (Stw. Eitelkeiten und Prestige), auf europäischer Ebene Erfahrung sammeln (bspw. im Rat der Europäischen Union) und hat nicht zuletzt auch personell viele weitere Möglichkeiten (Stw. Postenbesetzung im staatsnahen Bereich).

Letztlich muss aber jede Variante den eigenen Wählern verkauft werden können. Das gilt im Besonderen für Sebastian Kurz und der neuen Volkspartei, die als Meister der inszenierten und vermarkteten Politik gelten. Es muss also eine neue Erzählung kreiert werden.

Wie könnte diese aussehen und wo liegen die Stolpersteine?

Die FPÖ ist sicherlich der „billigste“ Partner, hatten sie sich im Wahlkampf doch offensiv angeboten und bekundet, die Regierungszusammenarbeit fortsetzen zu wollen. Am gestrigen Wahlabend nahmen sie sich allerdings aus dem Spiel, was natürlich ein überlegter Zug war, denn: Sebastian Kurz ist mit „freiheitlichen Positionen“ populär geworden und kann diese nicht einfach so – bspw. durch eine Koalition mit den Grünen oder der SPÖ – über Bord werfen. Macht er das, steht die FPÖ schon bereit, um enttäuschte Anhänger bei der nächsten Wahl zurückzuholen.

Will die ÖVP doch mit den Freiheitlichen koalieren, werden sie versuchen den Preis in die Höhe zu treiben. Alleine schon wegen der negativen Erfahrung von 2003 wird die FPÖ nicht noch einmal den billigen und willigen Helfer zur de facto ÖVP-Alleinregierung spielen. Offen ist aber, wie es mit den Freiheitlichen parteiintern weitergeht und wieviel Risiko die ÖVP bereit ist noch einmal einzugehen. Die Bilanz der Regierungsbeteiligungen der FPÖ ist nicht gerade von Stabilität geprägt und ein weiteres, vorzeitiges Regierungsende wäre für Sebastian Kurz wohl schwer zu erklären, vor allem nachdem er schon beim letzten Mal die „Notbremse“ ziehen musste.

Die SPÖ wäre in einer Koalition mit der ÖVP nur noch der kleine Junior-Partner – schwer vorzustellen, dass sie das mit ihrem Selbstverständnis als Kanzlerpartei und vor wichtigen Landtagswahlen (Stw. Wien) akzeptieren. Zudem fehlen die inhaltlichen Überschneidungen oder eine große Aufgabe (vergleichbar einem EU-Ratsvorsitz), die eine staatstragende „GroKo“ rechtfertigen würde. Dass Sebastian Kurz 2017 die ungeliebte „Stillstandskoalition“ aufgekündigt hat, wäre nun in der politischen Kommunikation wohl eine schwierige Herausforderung. Kurzum: Ein großes Projekt muss her, das aber aktuell nicht in Sichtweite ist.

Dafür spricht, dass es eine Koalition der Wahlgewinner wäre. Dagegen: ziemlich viel. Von den organisatorischen Herausforderungen (fehlendes Personal und Strukturen) bis zur starken Wiener Landesgruppe bei den Grünen, für die Sebastian Kurz ein rotes Tuch ist. Zu direkt war sein Wien-Bashing in den letzten Jahren und zu unverzeihlich seine harte Migrationspolitik.

Nicht zu unterschätzen ist aber, dass das Narrativ wunderbar funktionieren würde und sie mit einer Klima-Schutz-Koalition an den Start gehen könnten. Für die Grünen ergibt es die Möglichkeit, Kerninhalte umzusetzen und für sich zu reklamieren, dass man Österreich von einem Mitte-Rechts- auf einen Mitte-Linkskurs gebracht hat. Zusätzlich dazu stünde die ÖVP weiter für einen neuen Stil, für Wandel und Reformen. Außerdem könnte sie sich erzählerisch als DIE Kanzlerpartei Österreichs etablieren, die mit jeder Partei koalieren kann und Österreichs Reputation in der Welt hochhält.

In Anbetracht der unterschiedlichen Koalitionsmöglichkeiten für die neue Volkspartei und den bevorstehenden Landtagswahlen in der Steiermark und Vorarlberg prognostizieren Experten eine langsame Regierungsbildung. Durch eine Festlegung auf einen Koalitionspartner würde Sebastian Kurz knapp vor den Wahlen zumindest einen Teil seiner potenziellen Wähler enttäuschen, weshalb eine Festlegung bis dahin als unwahrscheinlich gilt. Die durchschnittliche Verhandlungsdauer erstreckt sich übrigens über 60,7 Tage – das wäre Anfang Dezember. Gut möglich, dass dieser Termin dieses Mal weit überschritten wird.

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