Von Theresa Schleicher, Markenstrategin und Geschäftsführerin bei VORN Strategy Consulting und Till-Hendrik Schubert, Werkstudent bei VORN Strategy Consulting 

Plötzlich ist alles auf den Kopf gestellt: Menschen bleiben vermehrt zuhause, der Taxiverkehr ist auf ein Minimum heruntergefahren und der Besuch im Autohaus kommt erst recht nicht in Frage. Die Corona-Krise hat unsere Mobilität verändert.

Aber was bedeutet das für die Automobilindustrie? In der Phase des Lockdowns war die Produktion in der Automobilindustrie zu normalen Gegebenheiten undenkbar – nur Schichtarbeit ermöglicht eine Produktion ohne Pause der Maschinerie der Werke. Zwar schreibt die European Automobile Manufacturers‘ Association (ACEA), dass 298 Werke wieder die Produktion aufgenommen haben. Dennoch waren die Herstellungsstätten durchschnittlich ca. 29 Werktage geschlossen. Dies entspricht einem Produktionsausfall von mehr als 2,3 Millionen Fahrzeugen. Und auch, wenn der Lockdown zunächst überwunden scheint: Der Normalbetrieb ist noch lange nicht wiederhergestellt.

Ein Blick in die nahe Zukunft des Automobilmarktes.

Kooperationen zwischen Erfahrung und Agilität – die Ära der Mobilitätsökosysteme zwischen Groß und Klein

Die Automobilbranche ist mit Sicherheit eine der kompetitivsten Branchen unter den schweren Industrien. Genau in dieser Zeit kommt es darauf an, wie schnell man sich neu orientieren kann, um sein Unternehmen an neue Gegebenheiten des Marktes anzupassen. Dabei wird nicht nur das strategische Fingerspitzengefühl, sondern auch die Agilität der Automobilkonzerne auf die Probe gestellt. Ausgewachsene Corporate-Strukturen von Traditionsunternehmen unterliegen in diesem Punkt jungen, agilen Start-ups in der Automobilbranche. Jedoch haben die Traditionsunternehmen den entscheidenden Vorteil der Kapitalkraft. Junge Unternehmen, z. B. Tesla oder Byton, können zwar schneller Entscheidungen treffen, aber besitzen weder das Standing im Markt noch die liquiden Mittel, um ein Spiel auf Zeit gegen Traditionsunternehmen zu führen. Kooperationen von großen Automobilherstellern untereinander werden bereits aktuell, für die Erschließung der Technologie autonomes Fahren, eingegangen.

Der private Besitz – und damit das Gut der Automobilhersteller – gewinnt wieder an Bedeutung

Vor der Corona-Krise priesen Automobilhersteller die Shared-Economy als das „Next Big Thing“ an. Eine Studie des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) ergab jedoch, dass sich „fast alle Befragten“ in einem Privatwagen wohler oder genauso wohl, als vor der Krise fühlen. Andere Verkehrsmittel schneiden weitaus schlechter ab. Rund ein Drittel der „autolosen“ Haushalte vermisse aktuell das private Fortbewegungsmittel. Ein Absatzwachstum von privaten Automobilen kann bei der Erholung des Marktes erwartet werden. Jetzt liegt es jedoch an den Automobilherstellern diese Potenziale zu erschließen und den Konsumenten bestmöglich zu bespielen.

Die Krise als Innovations-Entkopplung

In der aktuellen Zeit sind qualitativ hochwertige Automobile zu einem Hygienefaktor geworden. Der low-price Hersteller Toyota ist heutzutage führend auf dem Gebiet der Hybridtechnologie und kann wertige Produkte zu einem niedrigen Preis liefern. Es liegt jetzt an den Automobilherstellern, innovative Konzepte zu entwickeln, um auf die neue Normalität vorbereitet zu sein. In der UX sowie in der Antriebs- und der Innovationsforschung müssen die Teams jetzt auf Hochtouren arbeiten. Denn die/der Konsument*in wird nicht mehr die-/derselbe sein wie zuvor. Neue Konzepte werden die Aspekte Individualität, Konnektivität und Innovation „seamless“ vereinen, um so den veränderten Ansprüchen der Kunden gerecht zu werden.

Die Automobilindustrie steht schon seit Jahren vor großen Veränderungen, durch die aktuelle Krise wird diese Ausgangslage weiter verschärft. Dennoch haben sich viele Unternehmen nur langsam bewegt, sei es im Elektroantrieb oder im Angang neuer Mobilitätslösungen.

Klar ist, dass jene Technologien, die vor der Krise noch als Innovationskonzepte gehandelt wurden, nun zunehmend auf die Straße gebracht werden müssen. So können Mobilitätsunternehmen nicht nur an Relevanz in einem sich schnell wandelnden Markt gewinnen, sondern nicht zuletzt auch einen echten gesellschaftlichen Beitrag zu leisten.