Fünf Jahre ist es her, dass Beate Zschäpe und weitere Angeklagte in den Saal des Oberlandesgerichtes München geführt wurden. Morgen wird das Urteil erwartet. Der Prozess gegen die Terrororganisation zeigt jedoch vor allem: Die Mittel unseres Rechtsstaats sind begrenzt – vor allem, wenn es um die Wahrheit geht.
Im November 2011 saß ich mit meiner Kollegin in unserem Büro im Thüringer Landtag. Ich war studentischer Mitarbeiter beim innenpolitischen Sprecher der Grünen Fraktion und kümmerte mich um die Vorbereitungen für die kommende Plenarwoche. Die Meldungen über einen Banküberfall und ein ausgebranntes Wohnmobil in Eisenach, gefolgt von einer Brandstiftung in Zwickau, die da über die News-Ticker liefen, änderten meinen Aufgabenbereich vom einen auf den anderen Moment. Fortan erlebte ich die inhaltlich brisanteste und aufreibendste Zeit meines jungen Berufslebens. Nach wenigen Monaten gipfelte die Aufarbeitung der Informationsflut, die im Zuge der Ermittlungen hereinkam, für mich in der Unterstützung der Arbeit des im Januar 2012 eingesetzten NSU-Untersuchungsausschusses des Thüringer Landtages.
Die Intensität dieser Zeit und die tiefe Erschütterung über die Tatverläufe, genauso wie die Erfahrung des teils offensichtlich verschleierten behördlichen Versagens, verankerte das Thema auch nach dem Verlassen Thüringens fest in meinem Gedächtnis. Jetzt, knapp sieben Jahre nach der Enttarnung des Nationalsozialistischen Untergrundes, nach neun Untersuchungsausschüssen in Bundestag und Landtagen und nach über fünf Jahren Verhandlung vor dem Münchner Oberlandesgericht, macht sich bei mir vor der Verkündung des Urteils nur eins breit – Ernüchterung.
Der Mammutprozess
Es geht um zehn Morde, mehrere Mordversuche, Sprengstoffanschläge und zahlreiche Raubüberfälle, von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt – in fast allen Fällen aus einem einzigen niederen, perfiden Motiv: Rassismus. Der Prozess, der am 6. Mai 2013 vor dem 6. Strafsenat des Oberlandesgerichts München begann, soll klären, welche Schuld die Dritte Person im Kern-Trio, Beate Zschäpe, und vier weitere Mitangeklagte aus dem Umfeld des NSU dabei hatten.
Das „Strafverfahren gegen Beate Z. u. a. wegen Verdachts der Bildung einer terroristischen Vereinigung u.a. (NSU)“ ist das größte Strafverfahren Deutschlands seit der Wiedervereinigung. Die Gerichtsakten umfassen rund 26.000 Seiten, fein abgeheftet in mehr als 600 Ordnern. Allein die Anklageschrift ist fast 500 Seiten lang. 815 Zeugen und Sachverständige hat das Gericht im Laufe der Jahre geladen. Neben den 15 Verteidigern der fünf Angeklagten sitzen auch rund 60 Nebenklägervertreter im Gerichtssaal A101 des Oberlandesgerichts München.
Der damalige Präsident des Münchner Oberlandesgerichts, Karl Huber, schätze vor Beginn des Prozesses die Verfahrensdauer auf neun Monaten bis zweieinhalb Jahre. 437 Verhandlungstage in fünf Jahren sind es am Ende geworden. Immer neue Befangenheits- und Beweisanträge der Verteidiger strapazierten in den vergangenen Monaten beständig Nerven und Kapazitäten der Prozess-Beteiligten und der Öffentlichkeit. Nach Angaben der Pressestelle des Oberlandesgerichtes kostete der Prozess bereits Mitte 2017 etwa 23 Millionen Euro.
Sie hatte das letzte Wort
Die Bundesanwaltschaft sieht Beate Zschäpe als Mittäterin und hat lebenslange Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung beantragt. Ihre Verteidigung hält sie mit Blick auf die Morde und Anschläge für unschuldig. Lediglich zehn Jahre Gefängnis wegen Beihilfe bei zahlreichen Überfällen streben sie an. In der vergangenen Woche gab es nochmal einen negativen Höhepunkt: Nach den Plädoyers hatte die Angeklagte die Gelegenheit, dem Gericht, der Öffentlichkeit und den Angehörigen der Opfer mitzuteilen, was ihr wichtig ist. Den Angeklagten das letzte Wort zuzugestehen, ist ein Kennzeichen unseres rechtsstaatlichen Strafprozesses.
Man erhoffte sich am Ende vielleicht ein paar Erkenntnisse über das Innenleben von Zschäpe und dem NSU. Erkenntnisse, die der bisherige Prozessverlauf nicht brachte. Zu viele Fragen waren offengeblieben. Eine davon dürfte z. B. sein: Wie wurden die Opfer ausgewählt?
Um es mit den Worten des Journalisten Christian Rath (taz, 03.07.18) zu sagen: Wenn der Prozess gegen Zschäpe jedoch eins deutlich gemacht hat, so ist es die Begrenztheit gerichtlicher Wahrheitsfindung.
Eine gerechte Strafe?
Inneren Frieden für die Angehörigen der Opfer wird es – auch durch eine mögliche Höchststrafe – nicht geben. Es fehlt eine echte und umfassende Aufarbeitung. Dieser Umstand ist jedoch weniger die Schuld des Gerichts, das trotz eines sehr gründlichen Verfahrens den Prozess auch auf weitere Helferkreise des NSU hätte ausweiten können. Er liegt aber vor allem in der Verantwortung der Ermittlungsbehörden und Geheimdienste begründet, die eine für den Frieden der Angehörigen und einen gesellschaftlichen Rechtsfrieden nötige umfassende Aufklärung wohl teilweise erheblich blockiert bzw. verweigert haben.
Die zentrale Schuld liegt natürlich bei den Angeklagten, sie sind bis zum Schluss Antworten schuldig geblieben. Als Beteiligte hatten sie Chancen und Möglichkeiten, Licht in dieses finstere Kapitel zu bringen. Zschäpe und ihre Mitangeklagten haben sie verstreichen lassen. Im Anschluss an ihr Schlussplädoyer wandte sich die Angeklagte an den Senat und den Vorsitzenden Richter, Manfred Götzl, mit den Worten: „Ich möchte sie […] darum bitten, ein Urteil zu fällen, welches unbelastet von öffentlichem oder politischem Druck ist. Bitte verurteilen Sie mich nicht stellvertretend für etwas, was ich weder gewollt noch getan habe.“ Was nach diesen Worten wohl in den Angehörigen vorgegangen sein mag?
Für morgen hoffe ich auf ein starkes Urteil für den Rechtstaat. Jedoch gilt mit Blick auf die Hinterbliebenen der Opfer: Welches Urteil auch immer gefällt wird, es wird den Schmerz und die Ungewissheit der Angehörigen kaum lindern können.
Bild: Juergen Pohl /editor64