Wenn menschliche Intelligenz sich mit Künstlicher Intelligenz beschäftigt, dann mündet das im Fall der Bundesregierung in eine 81 Seiten lange KI-Strategie („Strategie Künstliche Intelligenz“). Das war seit den Eckpunkten im Juli vom politischen Berlin, aber auch von der Wirtschaft erwartet worden. Auf ihrer zweitägigen Kabinettsklausur am 14./15. November 2018 am Hasso-Plattner-Institut in Potsdam haben Kanzlerin Merkel und ihre Minister*innen nicht nur die nationale Strategie zur Künstlichen Intelligenz, sondern auch die Umsetzungsstrategie Digitalisierung beschlossen. Zusammen soll das die neue Digitale Agenda der Bundesregierung ergeben. Doch was steht nun drin in der KI-Strategie und wie ist sie zu bewerten? Ist der Großen Koalition ein großer Wurf gelungen?

Content matters – alles drin?

„AI made in Germany“ soll zu einem weltweiten Gütesiegel werden. So stellt man sich das im Kabinett vor. Um das zu erreichen, wurden folgende Ziele definiert:

  1. Wettbewerbsfähigkeit sichern, um Deutschland und Europa zu einem führenden KI-Standort zu machen,
  2. gemeinwohlorientierte und menschenzentrierte Entwicklung gewährleisten sowie
  3. in einen gesellschaftlichen Dialog treten und die politische Gestaltung von KI ethisch, rechtlich, kulturell und institutionell in die Gesellschaft einbetten.

Die Bundesregierung hat ein Dutzend Handlungsfelder und eine Vielzahl von untergeordneten Maßnahmen vorgeschlagen. Die Felder reichen von Forschung und Entwicklung über Innovationscluster, Arbeitswelt gestalten, Daten verfügbar machen bis hin zu Ordnungsrahmen anpassen – um nur einige zu nennen. Die Fülle an Handlungsfeldern ist wohl dem Ressortprinzip geschuldet.

Beim Lesen der Analyse war ich überrascht. Denn die Bundesregierung hat meiner Meinung nach die Anwendungspotenziale von KI auf ca. 65 Seiten treffend analysiert. Bedarfe, Chancen und Risiken sind nahezu erschöpfend behandelt worden. Grundsätzlich handelt es sich um einen „Stärken-stärken-Ansatz“. So werden Forschung und Mittelstand (beides Stärken) in der KI-Strategie besonders gefördert. Gleichwohl werden Defizite wie Ausbildung, Personal und Transfer von Wissenschaft in die Wirtschaft angesprochen. Es gibt kaum einen Bereich, der ausgespart wird. Mein Eindruck: Die Überschriften und Schlagwörter stimmen. Das Themenfeld ist abgedeckt. Das Dokument macht neugierig auf die Umsetzung der Strategie.

Koa-Vertrag reloaded: Auf die Neugier folgt die Ernüchterung

Die nun folgenden 80 Maßnahmen lesen sich über weite Strecken wie ein Koalitionsvertrag. Ungefähr 50 von ihnen sind reichlich unkonkret und machen wenig Hoffnung. Sie klingen zum Beispiel so: „Wir werden die Forschung und Entwicklung von KI im Pflegebereich ausbauen.“ Konkret wird es nur bei rund 25 Maßnahmen, z. B. bei der Gründung von zwölf KI-Kompetenzzentren, der Einführung eines KI-Monitorings und -Observatoriums oder der Entwicklung von kartellrechtskonformen Kriterien für Datenpartnerschaften. Warum geht das nicht in den anderen Bereichen auch, fragt man sich da.

Teilweise verschwimmen auch Ziele und Maßnahmen miteinander. So heißt es beispielsweise: „Wir wollen die Potenziale heben, die in der Verbindung von KI und Schlüsseltechnologien liegen […].“ Einige Maßnahmen bestehen lediglich in der Ankündigung weiterer Maßnahmen. Andere sind bereits alte Bekannte und befinden sich teils in der Umsetzung (z. B. Digitalpakt und Agentur für Sprunginnovationen).

Start-Up Kabinett

Diese Unklarheiten beseitigt man aber nicht durch die Bildung von neuen Formaten und Einrichtungen. Seit Beginn der Legislaturperiode gibt es das Digitalkabinett, den Digitalrat, die Datenethikkommission, die Enquete Kommission für Künstliche Intelligenz und Agenturen für Innovationen. Nun folgen Kompetenzzentren und Dialogformate. Hier entwickelt sich eine ganz eigene Gründungsdynamik.

Problematisch ist dabei, dass diese Vorgehensweise die Umsetzung auch verzögern kann. Denn die Bundesregierung verweist in ihrer Strategie auf die noch ausstehenden Empfehlungen der Datenethikkommission, die Mitte 2019 vorliegen sollen, und auf die Ergebnisse der KI-Enquete-Kommission, die erst 2020 ihre Arbeit abschließen wird. Beides möchte sie in ihrer KI-Strategie noch berücksichtigen. Entweder passiert bis dahin wenig oder die Empfehlungen der Gremien sind dann bereits überholt. Viel Hoffnung auf echte Fortschritte weckt dieses Vorgehen nicht.

AI made in Germany braucht Tatendrang made im Kabinett

Wer sich intensiv mit der KI-Strategie auseinandersetzt, dem fehlen die Konkretisierungen. Dies gilt insbesondere für die Handlungsfelder Datenverfügbarkeit und Ordnungsrahmen. In diesen wichtigen Kapiteln, die von Helge Braun im Vorfeld als Säulen bezeichnet wurden, werden mehr Fragen aufgeworfen und Prüfaufträge gestellt, als Antworten gegeben. Ähnliches gilt für die Bereiche „ethics by, in and for design“, „differential privacy“ und „consumer enabling technologies“. Bei diesen Anwendungen bzw. Prinzipien bleibt die Bundesregierung überwiegend auf der Ebene von Schlagwörtern.

Eine weitere Schwäche dieser Strategie sind in meinen Augen die Maßnahmen. Diese sind in der Regel ohne Budgets und Timings versehen (Stichwort: Smart Goals), sodass eine halbwegs objektive Evaluation der Strategie, die bereits 2020 erfolgen kann, nahezu unmöglich ist. Es ist auch nicht klar, bis wann die Strategie letztlich umgesetzt werden soll. Ist 2025 als Zielhorizont gemeint oder ist nur die Finanzierung bis dahin gesichert? Chinas Anspruch, bis 2030 Weltmarktführer in Sachen KI zu sein, klingt wesentlich klarer und ambitionierter als „AI made in Germany“.

Insgesamt ist es positiv, dass in der Regierung kein Erkenntnisproblem (mehr) vorliegt. Während in der Digitalen Agenda 2014 bis 2017 Künstliche Intelligenz nicht einmal thematisiert wurde, hat die Bundesregierung nun die Chancen dieser Technologie erkannt. Allerdings: Auf der Lösungsebene bleibt die Strategie hinter meinen Erwartungen zurück.

 

Bild: unsplash/Franki Chamaki