Den 17. Mai 2019 wird sich (das politische) Österreich noch lange merken. Ein Video versetzt die Bundesregierung in eine veritable Krise – und das nur innerhalb weniger Minuten. Wie geht es weiter? Der Versuch einer ersten Einordnung (Montag, 20. Mai – 14.35 Uhr).

Am Freitag um 17.59 Uhr war die österreichische Regierung stabil, die Koalition aus ÖVP und FPÖ trotz regelmäßiger unschöner „Einzelfälle“ außer Streit und die Opposition ohne wirkliches Momentum. Als die Süddeutsche Zeitung, der Spiegel und der österreichische Falter um 18.00 Uhr ein Video veröffentlichen, in dem FPÖ-Vizekanzler Heinz-Christian Strache mit einer vermeintlich russischen Oligarchen-Nichte über die Installierung eines Mediensystems im ungarisch-autokratischen Orban-Stil, illegale Parteienfinanzierung sowie staatliche Bauaufträge als Gegenleistung spricht, ändert sich das schlagartig. In den folgenden Stunden tritt der Vizekanzler zurück, Bundeskanzler Kurz kündigt die Koalition auf und Neuwahlen an – und seither nehmen die Dinge ihren Lauf.

Schon bekannt: Neuwahlen und freies Spiel der Kräfte

Bundespräsident Alexander Van der Bellen und Bundeskanzler Sebastian Kurz haben Neuwahlen für September angekündigt – ein Umstand, mit dem Österreich in jüngster Zeit ausreichend Erfahrungen gesammelt hat (2017, 2008, 2002, 1995). Laut Bundesverfassung muss sich vor Neuwahlen zuerst der Nationalrat auflösen, ehe der Ministerrat und der Hauptausschuss des Nationalrates einen Wahltermin festlegen können, der dann frühestens 82 Tage später liegen kann (siehe auch „Der Weg zu Neuwahlen: Frühestens im September“, Kurier). Einen entsprechenden Antrag hat bereits die SPÖ eingebracht, der bis zum 29. Mai 2019 im Nationalrat behandelt werden muss.

Die Zeit von einem Neuwahl-Beschluss bis zur Neukonstituierung des Nationalrats ist in Österreich aber traditionell turbulent, vor allem wenn der Koalitionspakt zwischen den Regierungsparteien aufgekündigt wird. Sowohl 2008 als auch 2017 wurden für unterschiedliche Initiativvorschläge wechselnde Mehrheiten gesucht – und gefunden. Gerade in der heißen Wahlkampfphase ist das nicht immer eine budgetschonende und weitsichtige Angelegenheit. Ob ÖVP und FPÖ den Pakt, sich nicht gegenseitig im Parlament zu überstimmen, aufkündigen und eventuell die SPÖ eine Expertenregierung über die nächsten Monate stützt, ist jedoch zum jetzigen Zeitpunkt noch völlig unklar.

Neu: Expertenregierung

Die Ankündigung der FPÖ, alle Ministerinnen und Minister aus der Regierung zurückzuziehen, sollte Sebastian Kurz weiterhin auf einen Rücktritt von Innenminister Herbert Kickls bestehen (aktuell hat er dies zwar angekündigt, dem Bundespräsidenten noch nicht vorgeschlagen), könnte Österreich erstmalig eine Expertenregierung bescheren. Wie diese aussehen könnte, ist unklar: Werden nur die FPÖ-Minister ersetzt? Treten ÖVP-Politiker an ihre Stelle oder die dienstältesten bzw. ranghöchsten Beamten? Ebenso unklar ist, auf welche Mehrheit sie sich im Nationalrat stützen würde. Manche Beobachter wollen im zögerlichen Verhalten der SPÖ am Samstag eine Verhandlungsbereitschaft entdeckt haben. Aber auch das gehört in die Kategorie Spekulation.

Selbstläufer für ÖVP? 2019 ist nicht 2002

Viele Kommentatoren ziehen Vergleiche zum Jahr 2002, als die erste ÖVP-FPÖ-Regierung nach weniger als zwei Jahren zerbrach. Das Resultat damals: die FPÖ stürzte auf rund zehn Prozent ab und die ÖVP schnellte auf über 40 Prozent hoch. Es ging nach Verhandlungen mit der SPÖ und den Grünen letztlich doch in einer Koalition mit einer geschwächten FPÖ weiter, die sich ein Jahr später auch spaltete (Stw. BZÖ).

Aber die Situation ist eine andere. Zum einen ist die FPÖ weder intern zerstritten noch steht sie vor einer Spaltung (wie 2002, Stw. Knittelfeld). Die Partei steht geschlossen zueinander und hat schon nach wenigen Stunden in den Wahlkampf-Modus geschalten – mit klaren Botschaften und einem Spin. Zudem war der Wahlgang 2002 auch noch stark von den vorangegangen EU-Sanktionen geprägt, die eine Solidarisierung der Bevölkerung mit der Regierung zur Folge hatte. Auf so einen Effekt versucht die ÖVP natürlich zu setzen, kann aber keineswegs damit rechnen.

(Wiebke Junge & Joachim Kurz, 365 Sherpas Wien)