Heute ist die Wahl der 21. Hamburgischen Bürgerschaft. 887 Kandidierende kämpfen um die Wählergunst. Das Ergebnis steht zwar noch nicht fest, aber im Gespräch mit dem Politikberater und Hamburger Wahlbeobachter-Blogger Martin Fuchs wird klar: Den Social-Media-Wahlsieger unter den Spitzenkandidaten gibt es schon längst.
365 Sherpas: Olaf Scholz liegt in den Wahlprognosen klar vorn. Macht er auch in den sozialen Medien das Rennen?
Fuchs: Scholz ist der Erste Bürgermeister Hamburgs, das gilt auch in den sozialen Medien. Er hat mit Abstand die meisten Fans und Follower aller Kandidaten, also 15.000 Twitter-Follower und 7.000 Facebook-Fans. Social-Media-Sieger ist Scholz trotzdem nicht. Seine Postings ähneln sich und sie sind sehr statisch. Ich denke nicht, dass diese Form von Präsenz viele Menschen mobilisiert. Im Gegenteil: Zahlreiche Facebook-Posts werden seiner Community gar nicht angezeigt, weil er zu wenig interagiert. Besser gesagt sein Team, denn ich bezweifle das er überhaupt weiß, was da im Social Web in seinem Namen so gepostet wird.
365 Sherpas: Und wer ist dann der Social-Media-Wahlsieger von Hamburg?
Fuchs: Sein Herausforderer von der CDU, Dieter Wersich, jedenfalls nicht. Wersich kommt gerade einmal auf 2.200 Follower auf Facebook und nutzt kein Twitter. Er hat erst vor einem Jahr angefangen, Facebook aktiv zu nutzen. Das ist zu kurz für den Aufbau einer schlagkräftigen und mobilisierbaren Community. Hier ist Ausdauer gefragt – neben einer vernünftigen Interaktion mit dem Nutzer. Es gibt eine Partei bei der ich sage: die haben es verstanden. Die „drei Engel für Lindner-Partei“, die FDP. Allen voran Katja Suding. Natürlich hat Suding vom #beingate in der Tagesschau profitiert. Diese Aufmerksamkeitssteigerung zum Beginn des Wahlkampfes hat sich sofort in den Followerzahlen gespiegelt. Seit dem 6. Januar ist die Zahl ihrer Fans um 45 Prozent gestiegen. Das liegt aber auch an Instrumenten wie der Facebook-Sprechstunde mit Suding (FragKatja), die allein 9.000 Bürger erreicht hat. Das sind dialogische Elemente, die im Online-Wahlkampf mehr eingesetzt werden sollten. Auf der Social-Media-Analyse-Plattform Pluragraph.de ist die Spitzenkandidatin – betrachtet man nur die quantitative Reichweite – nach Scholz auf Platz zwei, inhaltlich aber eine Eins.
365 Sherpas: Hat das gute alte Wahlplakat bald ausgedient?
Fuchs: Keinesfalls. In Hamburg hängen immer noch ca. 120.000 Plakate. Auf so engem Raum ist das ziemlich penetrant. Natürlich sind Plakate nach wie vor ein wichtiges und zentrales Wahlkampfinstrument, doch seit der letzten Bürgerschaftswahl vor vier Jahren hat das Netz enorm an Relevanz gewonnen. 67,5 Prozent der Kandidaten nutzen Social Media für den Wahlkampf, also 599 von 887 Politikern die zur Wahl stehen. Social Media ist aus dem Hamburger Wahlkampf nicht mehr wegzudenken. Doch die Social-Media-Kommunikation der Parteien ist nicht automatisch mit modernem Wahlkampf gleichzusetzen. Tatsächliche Innovationen habe ich wenig erlebt. Vieles ist da noch ein bisschen 90er.
Um das noch einmal deutlich sagen: Mit Social Media alleine gewinnt man keine Wahlen. Online- und Offline müssen verbunden werden und als ein Instrument gesehen werden. Die Trennung macht im Jahr 2015 keinen Sinn mehr. Zudem: Es gibt Kandidaten die auch ohne Social Media viele Stimmen auf sich vereinen werden, da sie seit Jahren eine politische Marke in Hamburg sind und sich analog bestens im Wahlkreis vernetzt haben.
365 Sherpas: Wann ist der Zeitpunkt für den perfekten Post, um die letzten Wähler zu mobilisieren?
Fuchs: Jetzt. Die letzten drei Tage vor einer Wahl sind die wichtigsten, besonders online. Dann kennen die Menschen die Plakate und suchen auf den Internetpräsenzen der Parteien und in den sozialen Netzwerken ihrer Spitzenkandidaten nach Entscheidungshilfen. Dann muss das Informationsangebot da sein, wenn eine Wahl gewonnen werden soll.
Das Gespräch führte Jan Böttger.
Martin Fuchs berät Politik und Verwaltung in digitaler Kommunikation. Zuvor war er Politik- und Strategieberater in Brüssel und Berlin. Seit 2008 ist er Lehrbeauftragter für Public Affairs an der Universität Passau und Dozent für Social Media und Politik an weiteren Hochschulen. Zudem ist er Gründer der Social-Media-Analyse-Plattform Pluragraph.de und bloggt über Social Media in der Politik unter www.hamburger-wahlbeobachter.de. Er ist Kolumnist des Fachmagazins „politik & kommunikation“ und wird als Experte zum Thema Social Media und Politik oft in den Medien zitiert.
Bild: Pluragraph.de