Wir treffen Markus Lanz nach seiner Sendung im Backstage-Bereich zum Interview. Er diskutiert leidenschaftlich und präzise und erklärt, warum er Fridays for Future bewundert, weshalb Deutschland eine neue Gesprächskultur braucht und was er sich von der Bundestagswahl erhofft.
365 Sherpas: Markus Lanz, gerade in der Coronazeit ist Ihre Show ein Ort geworden, an dem das Auf und Ab der Krise verhandelt und erklärt wird. Hat sich die Sendung durch diese Ausnahmesituation verändert?
Markus Lanz: Die Umstände haben sich verändert. Die Gäste und ich sitzen jetzt auf anderthalb Meter Abstand. Ich signalisiere durch meine Körpersprache normalerweise gern: „Nun reden wir mal“, und beuge mich näher zu den Gästen. Das geht jetzt nicht mehr wie gewohnt. Außerdem haben wir kein Publikum mehr. Gäste, die auf zustimmendes Klatschen nach einem populistischen Ausfallschritt nach links oder rechts warten, sind jetzt irritiert. Es geht stärker um das gute Argument. Das hat der Sendung gutgetan.
365 Sherpas: Welche Rolle spielt Empathie?
Lanz: Eine wichtige Rolle, aber nicht nur in meiner Sendung. In einer Gesellschaft, die vermeintlich immer härter wird oder nur noch moralisch argumentiert, ist Empathie ganz allgemein eine wichtige Haltung zum Leben. Wir halten ja immer unser christlich geprägtes Menschenbild hoch, haben Christentum und Religiosität aber in Wahrheit oft durch Moral ersetzt. Und wer moralisch argumentiert, wähnt sich immer auf der richtigen Seite. Das Christentum, so wie ich es verstehe, fußt aber auf einer Haltung, die den anderen akzeptiert, wie er ist – mit allen Defekten und Fehlern. Das gönnen wir uns nicht mehr.
365 Sherpas: Das klingt ein bisschen so, als ob Sie versuchen, eine Art Anti-Social-Media-Diskussionskultur hochzuhalten.
Lanz: Ich habe nichts gegen Social Media, ich nutze es nur nicht für mich persönlich. Trotzdem schaue ich mir die Inhalte gern an. Den Schrott muss man weglassen, das war am Stammtisch früher auch nicht anders. Und natürlich gibt es sehr viele kluge Einlassungen in den sozialen Netzwerken. Aber genauso wie wir für unsere Sendung verantwortlich sind, müssen Facebook und Co für das verantwortlich sein, was dort veröffentlicht wird.
»Es muss einen großen Raum für Diskussion geben.«
365 Sherpas: Die Politik versucht diese Haftungsfrage der großen sozialen Netzwerke gerade neu zu regeln. Bislang tragen diese im Vergleich zu klassischen Medien viel weniger Verantwortung für die auf ihren Plattformen publizierten Inhalte. Wie stehen Sie dazu?
Lanz: Ich finde, dass die sozialen Netzwerke diese Verantwortung übernehmen müssen. Facebook und Google sind im Medienbereich die größten Player, die es gibt. Warum sollen sie nicht so reguliert werden, wie alle anderen reguliert werden?
365 Sherpas: In dieser Debatte geht es im Kern um die Definition von Meinungsfreiheit. Wie extrem dürfen Standpunkte aus Ihrer Sicht sein?
Lanz: Es muss schon einen großen Raum für Diskussion geben. Und wir müssen eher mehr miteinander sprechen als weniger. Die Grenze liegt da, wo es justiziabel wird. Bei manchen Menschen geht es aber gar nicht um den Austausch von Fakten und Argumenten, es geht um Gefühle. Das eint etwa die früheren Unterstützer von Berlusconi in Italien, die Trump-Wähler und die Brexit-Befürworter. Deshalb muss man eine andere Ebene des Austauschs finden.
365 Sherpas: Welche kann das sein?
Lanz: Diese Menschen fühlen sich unverstanden. Wir nennen das dann immer „abgehängt“, aber darum geht es in Wahrheit gar nicht. Ich habe bei Dreharbeiten in den USA Trump-Wähler getroffen und mich in Ostdeutschland mit Rechten unterhalten. Beide Gruppen fühlen sich bei aller -Unterschiedlichkeit von der Gesellschaft schlicht nicht gesehen. Dieses Gefühl verbindet sie miteinander und es erzeugt Feindbilder. Aus dieser negativen Spirale müssen wir raus. Das geht nur, indem wir uns aufeinander zubewegen und zumindest potenziell in Betracht ziehen, dass die andere Seite auch mal einen Punkt haben könnte.
365 Sherpas: Damit sind wir beim Thema „die da oben, wir hier unten“. Gibt es keinen wirklichen Dialog mehr zwischen den Eliten und den „normalen Menschen“?
Lanz: Es gibt ihn schon noch und die Gesellschaft hat im Großen und Ganzen auch verstanden, dass es diesen Dialog geben muss. Gleichzeitig müssen wir uns bemühen – und hier haben wir als Medien auch eine Aufgabe –, diesen Dialog immer wieder anzustoßen. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Wenn die SPD sagt, dass sie jetzt auf E-Mobilität setzt, dann kann ich den Gedanken dahinter total nachvollziehen: Klimaschutz. Aber in dem Moment, wo die SPD-Spitze das ansagt, zittern bei VW am Band die vielen Leute, die gerade einen Verbrenner zusammenbauen. Ich glaube, eine solche SPD finden die unglaublich elitär.
365 Sherpas: Können Formate wie Ihre Talkshow dazu beitragen, dass die beiden Gruppen wieder ins Gespräch kommen?
Lanz: Das wäre, glaube ich, sehr vermessen, wenn man sich für so allmächtig halten würde. Was wir aber tun können: immer wieder Fragen stellen, die dafür sorgen, dass etwa ein Olaf Scholz eine solche Politik erklärt. Und auf der anderen Seite mit den Menschen sprechen, die sich unverstanden fühlen. Ich habe in Mecklenburg eine junge rechtsradikale Frau sehr kritisch befragt und wollte am Ende von ihr wissen, was man tun müsse, um sie wieder zurück in die Mitte der Gesellschaft zu holen. Ihre Antwort: „Das geht ja gar nicht. Auf uns guckt man ja immer nur von oben herab.“ Das ist das Gefühl, das diese Menschen eint. Ich will hier nichts entschuldigen – diese Frau ist verantwortlich für das, was sie denkt und sagt. Aber die Frage ist doch, ob es nicht einen Versuch wert ist, sie zurückzuholen. Und dafür müssen wir mit ihr sprechen und sie nicht aus einer großstädtischen Überheblichkeit heraus ignorieren. Und es reicht nicht, sich medial nur oberflächlich an ihr als Phänomen abzuarbeiten.
»Die Menschen sind heute aufgeklärter als vor vier Jahren.«
365 Sherpas: 2021 ist Bundestagswahl. Werden die Deutschen diesmal kritischer auf die AfD schauen, für die es bei der letzten Wahl so einfach war, alle anzuziehen, die sich unverstanden fühlten?
Lanz: Ich glaube, viele Menschen sind heute aufgeklärter und schauen genauer hin als vor vier Jahren. Nehmen wir das Beispiel Corona: Die Leute sehen, dass die AfD zu Beginn der Coronakrise sehr harte Maßnahmen gefordert hat und dass sie dann zum Maskenverweigerer wurde, als sie merkte, dass der Wind sich dreht. Da haben wir als Medien auch einen Job, genau solche Widersprüche aufzudecken. Aber dennoch müssen wir uns als Gesellschaft, auch jenseits von Corona, den großen Problemen widmen, um es Populisten langfristig schwer zu machen. Ich habe jeden zweiten Tag jemanden in meiner Sendung sitzen, der über „Globalisierung“ spricht. Aber was meint das eigentlich konkret? Globalisierung bedeutet zum Beispiel in den USA, dass heute der Sohn eines High-School-Absolventen netto 25 Prozent weniger in der Tasche hat als früher sein Vater. Das alte Aufstiegsversprechen funktioniert hier nicht mehr! Deutschland hat Gott sei Dank die soziale Marktwirtschaft, die vieles abfängt – aber eben auch nicht alles. Trailerparks, in denen Menschen wohnen, gibt es ja längst nicht mehr nur in den USA, sondern auch hier. Viele Menschen haben den Eindruck, dass die akademisch gebildete, großstädtische Elite zu weit weg ist, um dort jemals hinzukommen. Dieses Problem müssen wir lösen. Die Bundestagswahl findet unter den Vorzeichen von drei Spaltungen statt: einer Spaltung zwischen oben und unten, einer zwischen Stadt und Land und einer zwischen gebildeten und ungebildeten Menschen. Letztere ist vielleicht die schlimmste. Diese Spaltungen anzugehen, wird die Mammutaufgabe der nächsten Jahre.
365 Sherpas: Auch die Klimakrise ist ein großes Thema mit Blick auf die Bundestagswahl. „Fridays for Future” ist eine starke außerparlamentarische Bewegung, die viel Aufmerksamkeit bekommt. Ist es an der Zeit, dass FFF ins Parlament einzieht?
Lanz: Nein. Die Kraft dieser Bewegung entsteht aus ihrer außerparlamentarischen Rolle. Wenn Sie sich mit Luisa Neubauer unterhalten, dann sagt sie Ihnen, dass die Grünen zu sehr Establishment, dass sie nicht radikal genug sind. Luisa Neubauer ist ein Jahrhunderttalent, die einmal alles werden kann. Sie ist auch smart genug, um mit 24 Jahren einem Joe Kaeser abzusagen, wenn er sie anruft. Daraus entsteht eine enorme Glaubwürdigkeit. Ich wäre mit 24 Jahren schwach geworden, wenn der Siemens-CEO angerufen hätte.
365 Sherpas: Was beeindruckt Sie an FFF?
Lanz: Die Fokussiertheit. Natürlich vergreifen sie sich mal in der Sprache, aber das darf man mit Anfang 20 auch. Was sie aber auszeichnet, ist, dass sie ihr Thema nicht aus dem Blick verlieren und dadurch einen Kulturwandel auslösen. Ich hatte vor kurzem Herbert Diess in meiner Sendung, der zu mir sagte: „Ich bin zwar der VW-Chef, aber bei mir zuhause am Frühstückstisch sitzen FFF-Sympathisanten.“ Die Moral ihrer Kinder macht etwas mit solchen Entscheidungsträgern. Das beeinflusst sie am Ende mehr als politisch vorgegebene CO2-Grenzwerte.
»Vielleicht war Angela Merkel die perfekte Kanzlerin für genau diese Zeit.«
365 Sherpas: Wird sich die Smartness von FFF mit der Zeit abnutzen?
Lanz: Nein, das nutzt sich nicht ab. Es ist mehr als eine politische Position, mehr als eine Marktlücke. Die Klimakrise ist ein echtes Thema. Das hat auch Markus Söder verstanden, der zwischenzeitlich Bäume umarmt hat und kurz davor war, Imker zu werden.
365 Sherpas: Auf der einen Seite stehen diejenigen, die sich nicht mehr mitgenommen fühlen, auf der anderen die intellektuell geprägte Klimabewegung. Beide üben Druck auf das politische System aus. Ist Politik hier in einem Dilemma?
Lanz: Absolut. Und es wird wirklich sehr schwer sein, damit umzugehen und beide Seiten gleichsam glaubwürdig zu bespielen. Genau das ist derzeit auch das Problem der SPD. Wir befinden uns in einer schmerzhaften Phase der Transformation, aber ich bleibe optimistisch. Unser Land hat Potenzial, diese Transformation zu stemmen. Aber das braucht Zeit und es wird mitunter auch schmerzhaft werden. Und die eine kluge Antwort wird es hier nicht geben.
365 Sherpas: Hat das Modell Volkspartei in diesem Transformationsprozess ausgedient?
Lanz: Das kann sein. Das Programm der CDU als vielleicht letzter Volkspartei ist ja über Jahre hinweg im Wesentlichen Angela Merkel gewesen. Sehr pragmatisch und ideologiefrei.
365 Sherpas: Welche Eigenschaften von Angela Merkel werden Sie vermissen?
Lanz: Ihre uneitle Art, die in der Spitzenpolitik unfassbar selten ist. Ich fand den Spitznamen „Mutti“ am Anfang despektierlich, aber mittlerweile kann ich ihm etwas abgewinnen – auch wenn ich sie selbst nicht so nennen würde. Das Element des Verzeihens ist bei „Mutti“ immer eingepreist. Das Gefühl, dass du mit einem Problem zu ihr kommen kannst, ohne dich groß erklären zu müssen. Und vielleicht ihre Gelassenheit – dass sie bei sich ist und weiß, wofür sie steht. Vielleicht war sie die perfekte Kanzlerin für genau diese Zeit.
365 Sherpas: Herr Lanz, wir danken Ihnen für das Gespräch!
Das Gespräch führten Verena Gathmann und Daniel Wixforth.

Markus Lanz ist TV-Moderator und -Produzent. Seit 2008 moderiert er die Talkshow „Markus Lanz“ sowie weitere Formate für das ZDF. Immer wieder dreht er außerdem längere Dokumentationen, etwa über Reisen in die Polargebiete. Nach seinen „Lanz“-Sendungen nimmt er sich für jeden Gast Zeit zum Einzelgespräch.