Im Gespräch mit Delara Burkhardt, Mitglied des Europäischen Parlaments
365 Sherpas: Frau Burkhardt, empfinden Sie Europa, ebenso wie ein bestimmtes Land oder einen bestimmten Ort, als Heimat? Wenn ja, was macht die Heimat Europa für Sie aus?
Delara Burkhardt: Für mich ist Heimat ein Begriff, der sich auf Menschen bezieht. Dabei ist es egal, wo diese sich aufhalten. Heimat ist für mich ein Begriff, der keinen Raum kennt, sondern dort ist, wo Freunde und Familie sind.
365 Sherpas: Glauben Sie, dass Ihre Generation europäischer ist als die Generationen davor?
Burkhardt: Ich glaube, es ist für jüngere Generationen etwas einfacher, europäisch zu sein. Wir sind in einem konstant zusammenwachsenden Europa aufgewachsen, während sich die Generation unserer Eltern noch Herausforderungen wie der Wiedervereinigung stellen musste. Einige meiner Familienmitglieder sind aus Iran nach Deutschland geflohen. Für sie ist Europa noch einmal eine andere Form der Heimat – eine Wertegemeinschaft und ein Ort der Menschenrechte. Das erscheint mir allerdings in Anbetracht aktueller Migrationsdebatten heute fast zynisch.
»Ich wünsche mir die Vereinigten Staaten von Europa und dass es keinen Unterschied mehr für die Lebensqualität macht, wo man in der EU arbeitet und lebt.«
365 Sherpas: Merken Sie das auch hier im Europäischen Parlament? Gibt es Unterschiede zwischen jüngeren und älteren Abgeordneten?
Burkhardt: Ich würde sagen, hier im Europaparlament kommen aus den Reihen der proeuropäischen Parteien diejenigen zusammen, die besonders europäisch denken. Dabei sind es dann – vor allen Dingen konservative – Regierungen ebendieser Parteien im Rat, die viele Vorhaben blockieren. Viele junge Abgeordnete vereint das zukunftsgerichtete Arbeiten. Trotz unterschiedlicher Ideen, was politisch auf dem Kontinent passieren muss, teilen wir den Blick nach vorne: Das ist unsere Zukunft, die wir hier gerade gestalten.
365 Sherpas: Wie stellen Sie sich Ihre Heimat Europa in 20 Jahren vor?
Burkhardt: Ich wünsche mir die Vereinigten Staaten von Europa und dass es keinen Unterschied mehr für die Lebensqualität macht, wo man in der EU arbeitet und lebt. Ich hoffe, dass wir vor allem für jene Fragen Lösungen finden werden, die für mich Europa ausmachen. Im Moment kann ich es mit keinem der Werte, für die Europa steht, vereinbaren, dass Menschen im Mittelmeer ertrinken. In diesem Bereich kommen wir nicht voran und finden keine Lösung. Und das, obwohl alle wissen, dass etwas getan werden muss.
365 Sherpas: Haben Sie mit Blick auf die neue Legislatur konkrete Ansprüche an sich selbst?
Burkhardt: Ein Anspruch an mich selbst ist, das Europäische Parlament näher an die Leute heranzubringen, für die ich hier bin. Außerdem ist die EU unglaublich wichtig, wenn es darum geht, der Klimakrise etwas entgegenzusetzen: Anstatt kleiner nationalstaatlicher Schritte müssen wir als EU gemeinsame Ziele verfolgen. Im Umweltausschuss möchte ich bei den Themen Biodiversität, Handel und anderen wichtigen Bereichen die Zusammenarbeit
fördern und dazu beitragen, die Klimaziele umzusetzen.
365 Sherpas: Gibt es etwas, das Ihnen in Brüssel oder Strasbourg fehlt, um sich heimatlich zu fühlen?
Burkhardt: Ja, das Meer. Überall, wo ich bisher gewohnt habe, war Wasser. Aber da ich ja auch jede Woche nach Hause ins schöne Kiel fahre, muss mir das nicht fehlen!
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Das Gespräch führte Roxane Roth.

Delara Burkhardt wurde 1992 in Hamburg geboren und trat mit 15 Jahren in die SPD ein. Sie ist stellvertretende Bundesvorsitzende der Jusos. Seit Mai 2019 ist sie Mitglied des Europäischen Parlaments und setzt sich dort u.a. für Nachhaltigkeit und Klimaschutz, sowie die Entkriminalisierung von Seenotrettung und eine humanere Flüchtlingspolitik ein.