Die Gesundheitsbranche ist seit wenigen Wochen in Aufruhr. Grund dafür ist der im Juli durch das Bundesministerium für Gesundheit veröffentlichte Kabinettsentwurf zum GKV-Finanzstabilisierungsgesetz. Mit dem Gesetz will die Bundesregierung die Finanzen der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) stärken. Eine Lücke von ca. 17 Milliarden Euro muss geschlossen werden.  

Um es vorwegzunehmen: Bereits vor der Covid-19-Pandemie stiegen die Ausgaben der GKV‘en außerordentlich: Auf der Ausgabenseite ist eine strukturelle Deckungslücke entstanden, die in den vergangenen Jahren immer größer wurde. 

Grund für den Kostenanstieg ist u.a. eine Steigerung von Leistungsausgaben wie Krankenhausbehandlungen, Pflegepersonalkosten oder die Maßnahmen im Zuge des Terminservice- und Versorgungsgesetztes (TSVG). Die vorherige Bundesregierung hatte es eingeführt, um lange Wartezeiten auf Arzttermine für Patient:innen  zu verkürzen.  

 

Wächst das Finanzdefizit durch Krieg und Energiekrise? 

Im Auftrag der DAK Gesundheit hat das IGES-Institut kalkuliert, was Gesundheitsfonds (in den Fonds fließen die Beiträge der Arbeitgeber, der anderen Sozialversicherungsträger, Mitglieder der Krankenkassen sowie ein Bundeszuschuss) und GKV im Falle eines russischen Energiestopps konkret blüht. Dann würde sich das Defizit im Gesundheitsfonds in den kommenden Jahren wegen steigender Energiekosten um weitere fünf Milliarden Euro pro Jahr erhöhen.  

Die im Entwurf für das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz vorgesehenen Maßnahmen würden im Falle eines russischen Energieembargos nicht ausreichen, um das im kommenden Jahr drohende Finanzloch zu beheben. Der IGES-Erhebung ist nämlich auch zu entnehmen, dass statt der im Gesetzentwurf erwähnten 17 Milliarden sogar ein Defizit von ca. 19 Milliarden Euro erreicht wird. Allerdings dürfte nicht davon auszugehen sein, dass ein von der DAK beauftragtes Institut den Bedarf an staatlichen Zuschüssen kleiner rechnen würde.  

 

Genügen 4 Säulen zur Stabilisierung der GKV-Finanzierung? 

Im Gesetzentwurf bittet das Bundesministerium für Gesundheit fast alle Stakeholder des Gesundheitswesens zur Kasse, um das milliardenschwere Finanzdefizit zu decken. Vor allem durch vier Säulen soll dieses Ziel erreicht werden:  

  • Erhöhung des Bundeszuschusses um zwei Milliarden Euro: Der Bundeszuschuss sind Steuermittel, die pauschal für sog. versicherungsfremde Leistungen an die GKV gezahlt werden, also etwa Leistungen für Mutterschaft und Schwangerschaft. 
  • Bundesdarlehen von einer Milliarde Euro: Der Bund leistet eine Art Kredit an den Gesundheitsfonds 
  • Erhöhung des Zusatzbeitrags um 0,3 Prozentpunkte: Die gesetzlichen Krankenkassen dürfen zum normalen Beitrag einen Zusatzbeitrag erheben. Dieser liegt im Jahr 2022 bei 1,3 Prozent des Bruttogehalts. 
  • Abschöpfung der Krankenkassenreserven: Krankenkassen sind zur Bildung von Rücklagen in Höhe von mindestens 25 Prozent einer Monatsausgabe verpflichtet. Im ersten Quartal 2022 betrugen die Finanzreserven der Kassen rund 9,9 Milliarden Euro. Diese sollen nun aufgebraucht werden. 

 

Im Referentenentwurf war zunächst vorgesehen, dass Pharma-Unternehmen eine Solidarabgabe von insgesamt jeweils einer Milliarde Euro in 2023 und 2024 leisten. Diese wurde nach erheblichen Protesten der Pharmahersteller gestrichen. Jedoch wurde im Kabinettsentwurf nun eine Erhöhung des Herstellerrabatts von 7 auf 12 Prozent für patentgeschützte Arzneimittel angekündigt, die dem Gesundheitsfonds insgesamt 1 Milliarde Euro einbringen soll. Zudem ist im Gesetzentwurf eine Anpassung des AMNOG (Arzneimittelmarktneuordnungsgesetzes) angekündigt worden. Im AMNOG werden im Rahmen eines Verfahrens die Preise für neue, patentgeschützte Arzneimittel festgelegt. Unter anderem soll der Erstattungsbetrag, der am Ende des AMNOG-Verfahrens verhandelt wird, durch eine Preis-Mengen-Komponente sowie einen zusatznutzenbedingten Preisdeckel stärker begrenzt werden. 

 

Welche Konsequenzen befürchtet das Gesundheitswesen? 

Im Zuge der Verbändeanhörung am 13. Juli wurde kein gutes Wort am Gesetzentwurf gelassen. Alle Stakeholder im Gesundheitswesen äußerten scharfe Kritik am Gesetzentwurf. 

Die Vertreter der Kliniken befürchten einen Wegfall von rund 20.000 Stellen, da nur noch qualifizierte Pflegekräfte im Pflegebudget berücksichtigt werden. Auch die Krankenkassenverbände kritisieren, dass elf der fehlenden 17 Milliarden Euro durch Versicherte und Arbeitgeber getragen werden sollen. Sie fordern nachhaltige Strukturreformen der GKV.    

Die Pharmaindustrie äußerte sich angesichts der angekündigten finanziellen Belastungen mit scharfen Bemerkungen: „Bekanntlich hat der Gesundheitsminister versprochen, künftig ohne Leistungskürzungen für Versicherte auszukommen. Mit diesem Gesetzentwurf riskiert er aber Marktrücknahmen von Arzneimitteln, die sich genauso wie Leistungskürzungen auswirken werden,“ kommentierte etwa vfa-Präsident Han Steutel den Referentenentwurf. 

 

Gibt es Alternativen zur Finanzierung der GKV? 

Am 27. Juli wurde das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz im Bundeskabinett beschlossen. Das bedeutet, der Gesetzentwurf geht nun in den parlamentarischen Prozess.  

Auf Geld verzichten möchte – verständlicherweise – keiner der Stakeholder im Gesundheitswesen. Die Kosten für viele Leistungen, etwa die Pflegepersonalkosten, werden künftig weiter steigen. Viele Expert:innen fordern eine strukturelle Reform der Finanzierung anstatt des vorliegenden Gesetzentwurfes. Aber was bedeutet das? 

Bereits seit vielen Jahren wird die Ineffizienz des deutschen Gesundheitswesens bemängelt, die insbesondere in einer fehlenden Vernetzung der Stakeholder (Ärzte, Kassen, Kliniken etc.) begründet liegt. Der dadurch ausbleibende Austausch über Behandlungen und Diagnosen führt zu einer Fehlversorgung. Mithilfe einer verbesserten Vernetzung untereinander sowie der Nutzung von Gesundheitsdaten können langfristig Kosten gespart werden und die medizinische Versorgung verbessert werden.  

Wir werden uns die Frage stellen müssen, wieviel uns unser Gesundheitssystem wert ist oder ob wir im Zweifel auf Leistungen verzichten möchten. Fakt ist: Damit die Qualität der medizinischen Versorgung weiterhin auf Spitzenniveau erfolgen kann, kann es kein „weiter so“ in der Finanzierung des Gesundheitswesens geben.