Die Bekämpfung des Hasses im Internet ist seit dieser Woche wieder verstärkt im Gespräch. Mit dem Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität geht die Bundesregierung dabei einen ersten Schritt – und beschreitet an entscheidender Stelle doch wieder nur alte Pfade. Aber wenn jetzt nicht die richtigen Weichen gestellt werden, könnten die Maßnahmen verpuffen.
„Stop Hate for Profit“ zieht weitere Kreise und erhöht den Druck auf Facebook. Hinter der Initiative steht unter anderem die amerikanische Aktivisten-Plattform Sleeping Giants. Bereits mehr als 240 Unternehmen konnten als Unterstützer gewonnen werden. Diese haben sich dazu entschlossen, ihre Werbeaktivitäten auf Facebook einzustellen und damit Druck auf das soziale Netzwerk für ein aktiveres Vorgehen gegen Hate Speech und Rassismus aufzubauen. Nachdem sich die Auswirkungen von „Stop Hate for Profit“ auch am Aktienkurs bemerkbar machten, sah sich Zuckerberg bereits zu ersten Zugeständnissen gezwungen.
Facebooks Umgang mit User-Beschwerden lässt sicher an vielen Ecken und Enden zu wünschen übrig. Aber diesem und anderen sozialen Netzwerken alleine die Schuld an der Verbreitung von Hate Speech im Internet, stellvertretend für eine allgemein aus den Fugen geratene Diskussionskultur im digitalen Raum, zu geben, ist zu kurz gedacht. Die Bundesregierung muss ebenfalls hinterfragen, wie sie ihrer Verantwortung in diesem Bereich gerecht werden und geltendes Recht im Internet durchsetzen kann – ohne Plattformen als Sündenböcke darzustellen. Das kürzlich vom Bundestag beschlossene Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität geht in diese Richtung – und greift dabei wiederum bestehende Regulierungsansätze auf, die sich bislang nicht als tragfähig erwiesen haben.
Status quo – NetzDG betreibt Symptombekämpfung
Mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) wurde 2017 vonseiten der Bundesregierung bereits ein erster Versuch unternommen, die Verbreitung illegaler Inhalte auf sozialen Plattformen einzudämmen. Dabei legte man sozialen Netzwerken die Pflicht auf, ein effektives und transparentes Verfahren zum Umgang mit User-Beschwerden über Inhalte, die Straftaten darstellen, einzurichten.
Dennoch, das NetzDG bleibt lückenhaft – es erfüllt weder die gewünschte Signalwirkung gegenüber Täter:innen, noch für die Opfer und die Community im Allgemeinen. Der Auftrag für die Politik sollte daher klar sein: Beiträge dürfen nicht nur gelöscht werden, die Täter:innen müssen auch ermittelt und bestraft werden, um so ein wirksames Signal an Nachahmungstäter:innen zu senden und über die reine Symptombekämpfung hinaus zu gehen.
Der nächste Schritt – Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität
Genau diesen Schritt der verstärkten Ermittlung von Urheber:innen von Hate Speech will die Bundesregierung mit ihrem Gesetzentwurf zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität, der am 18. Juni den Bundestag und am 3. Juli den Bundesrat passierte, gehen. Das Gesetz folgt einem Ansatz aus drei Schritten:
- Juristische Rahmenbedingungen anpassen
- Täter schneller ermitteln
- Täter bestrafen
Die Zielstellung ist damit nachvollziehbar – aber führt der gewählte Weg zum Erfolg? Zweifel sind dabei durchaus angebracht.
Bekämpfung der … was?
Bislang stellt es ein massives Problem dar, Hate Speech juristisch zu definieren. Häufig bewegen sich entsprechende Äußerungen im Spannungsfeld zwischen dem persönlichen Schutzbereich und der legalen Meinungsäußerung. Aufgrund der unklaren Gesetzeslage sind der Justiz oftmals die Hände gebunden, wenn es um die Bewertung von Sachverhalten geht, die landläufig als Hate Speech begriffen werden. Durch die geplanten strafrechtlichen Änderungen soll dieser bisher juristisch nicht greifbare Begriff klarer definiert und der Tatsache Rechnung getragen werden, dass beispielsweise eine im Internet öffentlich zugängliche Beleidigung für die Betroffenen besonders schwer wiegt. Dass auch die Strafandrohung in vielen Fällen erhöht wird, ist konsequent und zielführend.
Dennoch ist unklar, ob und wie diese strafrechtlichen Änderungen einen verbesserten Schutz der Opfer gewährleisten können. In der Sachverständigenanhörung im Bundestag und den eingereichten Stellungnahmen gehen die Einschätzungen der Expert:innen, unter anderem des Deutschen Richterbundes und des Deutschen Anwaltvereins, stark auseinander.
Dem Stochern im Dunkeln ein Ende bereiten
Selbst unter der Voraussetzung, dass sämtliche Verschärfungen des Strafrechts anwendbar und praktikabel seien, bedarf es allerdings einer stärkeren Durchsetzung des geltenden Rechts und intensiverer Strafverfolgung. Als besonders erfolgsversprechend, und damit als zentrale Neuerung des Gesetzes, erachtet die Bundesregierung die Meldepflicht bestimmter illegaler Beiträge an das Bundeskriminalamt (BKA) im Rahmen des NetzDG. Fortan sollen bestimmte, besonders schwerwiegende Verstöße, die den sozialen Netzwerken durch eine Beschwerde bekannt und von ihnen entfernt oder gesperrt wurden, an eine Zentralstelle beim Bundeskriminalamt gemeldet werden (§ 3a NetzDG-E). Teil dieser Meldung sollen neben dem Inhalt auch die IP-Adresse und die zuletzt dem Nutzer zugeteilte Portnummer sein. Beide Datensätze sollen eine Identifizierung der Absender:innen der betreffenden Beiträge ermöglichen. Das BKA wird dabei nicht selbst bei der Strafverfolgung tätig, sondern verteilt diese Meldungen lediglich auf die örtlich zuständigen Strafverfolgungsbehörden der Bundesländer.
Täter:innen verfolgen und verurteilen
Die diversen Ausprägungen von Hate Speech werden demnach durch das neue Gesetz vermeintlich besser erfasst und Strafverfolgungsbehörden bekommen durch die Meldepflicht erste Anhaltspunkte zur Täterermittlung geliefert. Diesen droht damit nicht mehr nur die Löschung ihres Beitrags, sondern die reelle Gefahr, dass eines Tages die Polizei an ihrer Tür klopft. Wenn, ja wenn, bei den Behörden ausreichende Kapazitäten für die Bewältigung der Flut an Meldungen gegeben sind.
Und an dieser Stelle liegt vermutlich der Knackpunkt. Denn schon heute ist die Justiz mit den bestehenden Fällen überlastet und es zeigen sich deutliche Kapazitätsengpässe. Die Meldepflicht wird die Aufwände noch weiter erhöhen. Das Bundesjustizministerium rechnet damit, dass pro Jahr 150 000 neue Verfahren bei den Staatsanwaltschaften anfallen werden. Das Haus von Ministerin Lambrecht geht in seiner Kalkulation von zumeist einfach gelagerten Fällen aus, sodass pro Richter/Staatsanwalt jährlich 800 bis 850 Verfahren bearbeitet werden können. Der Deutsche Richterbund geht hingegen nur von 600 bearbeiteten Fällen aus.
Der Weg der Bundesregierung, Plattformen Kooperationspflichten aufzuerlegen ist dabei nicht per se falsch. Diesem Vorwurf der vermeintlichen „Privatisierung“ der Strafverfolgung wurde von Koalitionsseite zurecht entgegengehalten, dass dies in anderen Bereichen, beispielsweise bei der Geldwäschebekämpfung, bereits gängige Praxis sei. Allerdings, und auch hier ist dann wohl die Analogie zur Geldwäschebekämpfung angebracht, bedarf es der notwendigen Kapazitäten in der Justiz und den Ermittlungsbehörden, den gemeldeten Fällen auch nachgehen zu können, um handfeste Erfolge in kurzer Zeit vorweisen zu können.
Es sollte daher dringend überdacht werden, ob man neben immer neuen Pflichten für Plattformbetreiber nicht auch existierende Kapazitätsengpässe in der Justiz grundlegend beheben sollte, um den Hass im Netz unter Kontrolle zu bekommen.
Was wir von der Bundesregierung erwarten müssen, was wir von Plattformen erwarten sollten
Sollte das Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität eines Tages vonseiten der Bundesregierung evaluiert werden, so wird sich dieses nicht daran messen lassen müssen, wie viele Meldungen von illegalen Beiträgen damit eingesammelt wurden. Viel mehr käme es darauf an, wie sehr es dazu beigetragen hat, Täter zu ermitteln und zu verurteilen. Wie sehr es den Opfern von Hate Speech Unterstützung hat zukommen lassen. Inwiefern es zu einer Generalprävention beigetragen und das Vertrauen in den Staat und seine Handlungsfähigkeit gestärkt hat. Diese Frage wird sich am Ende in den Gerichtssälen klären, nicht bei Facebook und Co. Es liegt in der Verantwortung der Bundes- und Landesregierungen, die hierfür nötigen Ressourcen in der Justiz bereit zu stellen. Selbstverständlich entlässt dies soziale Netzwerke nicht aus ihrer gesellschaftlichen Verantwortung. Reputationsschäden führen mittel- bis langfristig auch zu erheblichen wirtschaftlichen Schäden und können am Ende auch die vermeintlich unantastbarsten CEOs in die Knie zwingen. Und so erhält der #StopHateforProfit eine doppelte Bedeutung: Aus „Hört auf damit, aus Hass Profit zu schlagen“ wird „Wenn ihr Profit machen wollt, macht Schluss mit dem Hass“.