Heutzutage ist es einfach, seine Meinung der ganzen Welt mitzuteilen. Die Reflektion bleibt dabei auf der Strecke. Der Fall Maaßen veranschaulicht das Ganze aktuell nicht nur besonders gut, sondern wartet am Schluss noch mit einer ungeahnten Pointe auf.

„Deutschland hat 82 Millionen Bundestrainer.“ Wenn es um die Fußball-Nationalmannschaft geht, weiß es gefühlt jeder Bundesbürger besser. Und uns allen ist, wenn wir ehrlich sind, doch klar: natürlich weiß es so gut wie niemand besser als der echte Bundestrainer. Er hat die Einblicke, die Erfahrung und die entsprechende Ausbildung.

Jeder darf mal Meinungsmacher spielen

In der täglichen Debatte um politische Fragestellungen fehlt dieses Eingeständnis leider viel zu häufig. Da weiß es nicht nur jeder besser, schlimmer noch: Es scheint kaum noch Hemmungen und Stufen der Selbstüberprüfung zu geben. Das war bestimmt schon immer so. Aber heutzutage kann man durch diverse digitale Helfer nicht nur sehr schnell sehr viel konsumieren, sondern vor allem leicht mit seiner eigenen Meinung eine breite Masse erreichen.

Glauben ist nicht wissen, haben unsere Eltern immer gesagt

Dabei ist es überhaupt nichts Schlechtes, eine Meinung zu haben. Es sollte aber stets geprüft werden, worauf diese Meinung basiert: Wie viel weiß ich tatsächlich? Selbst nach umfangreichem Medienkonsum muss klar sein, dass nicht jede Information, jeder Umstand und jeder Hintergrund in der Zeitung steht. Wir neigen dazu, Tatsachen mit weitergehenden Interpretationen auszuschmücken. Dabei reichern wir gern das, was wir wissen, an mit dem, was wir glauben. Daraus wird eine unverrückbare Überzeugung, die wir selbstbewusst veröffentlichen. Rücktritte von Funktionären werden gefordert, Meinungsbeiträge, die dem eigenen Weltbild widersprechen, werden empört und geradezu beleidigt verrissen.

Maaßen musste weg – musste er?

Nehmen wir den heiß diskutierten Fall Hans-Georg Maaßen. Als die Äußerungen des Verfassungsschutzpräsidenten zum „Chemnitz-Video“ publik wurden, war auch ich mehr als irritiert. Die Welle der empörten Rücktrittsforderungen kam wenig überraschend. Als ich mir dann aber die Stellungnahme des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) an das Bundesinnenministerium genauer angeschaut und anschließend nochmal mit den ursprünglichen Äußerungen Maaßens verglichen habe, kam ich zu dem persönlichen Schluss: letztere waren nicht unbedingt glücklich, aber im Gesamtkontext nachvollziehbar. Sicher lässt sich die Frage stellen, ob es politisch klug war, der Bundeskanzlerin öffentlich zu widersprechen, auch der Auftritt insgesamt war fragwürdig. Darum soll es hier aber nicht gehen.

Jeder, der sich am Maaßen-Bashing beteiligt hat, sollte kurz das folgende hypothetische Szenario durchspielen: Maaßen äußert sich in vergleichbarer Form zu einem Video, das eine Plattform der rechtsextremen Szene über einen mutmaßlich linksextremen Gewaltausbruch ins Netz gestellt hat. Immer noch Gift und Galle auf breiter Basis? Mein Tipp: nein. Stattdessen gäbe es wohl Lob für den „besonnen agierenden“ BfV-Präsidenten von links, die Empörung über die „Verharmlosung“ käme dafür vermutlich von rechts.

Ein weiterer Brandherd in der Maaßen-Debatte: Der BfV-Präsident hat sich öfter mit Vertretern der AfD getroffen. Dabei soll es auch zu einer Weitergabe von Zahlen aus noch unveröffentlichten Verfassungsschutzberichten gekommen sein. Das muss nicht sein. Doch ist es nicht gang und gäbe, dass Zahlen aus solchen Berichten bereits vorab in Auszügen bspw. auf Veranstaltungen genannt werden oder in der Presse erscheinen? Wir reden von letztlich sowieso öffentlichen Papieren, nicht von Staatsgeheimnissen.

Maaßen wird jetzt Nähe zur AfD unterstellt. Die größten Verschwörungstheoretiker unter uns könnten nun meinen, das alles war Kalkül des BfV. Maaßen, auf Weisung von „ganz oben“, sollte den Kontakt zur AfD suchen und so frühzeitig ein Auge auf die Partei haben, ohne sie offiziell beobachten zu müssen. Sozusagen der Chef als V-Mann. Zugegeben, ein ziemlich unwahrscheinliches Szenario. Aber kann man es mit Sicherheit ausschließen? Nein.

Man kann eine Meinung tatsächlich auch mal für sich behalten

Daher sollten wir uns vorschnelle Urteile von der Couch, die entstanden sind nach dem Studium zweier Leitartikel, einer Kolumne und 15 Minuten Twitter-Timeline, manchmal besser sparen. Ein wenig mehr Konzentration auf das, was man tatsächlich weiß, statt die Welt damit zu behelligen, was man glaubt – das wäre nicht nur für die politische Kultur, sondern vor allem für die politische Debatte gut. Denn die in Mode gekommene reflexhafte distanz-, maß- und teilweise würdelose Kritik, der automatische Schrei nach Rücktritt – das sind nicht nur zweifelhafte Schnellschüsse der wenigen echten Meinungsführer in unserem Land, sondern in der überwältigenden Mehrzahl Wichtigmacher-Kommentare von denen, die denken, dass es jemanden interessiert. Tut es nicht.

Die „Beförderung“ von Hans-Georg Maaßen zum Staatssekretär im Bundesinnenministerium ist letztlich die ungeahnte Pointe der Schnappatmung der letzten Tage. Die Schreihälse verliehen der Personalie eine Tragweite, die der Großen Koalition erneut eine Zerreißprobe im Rampenlicht bescherte. Ein wenig mehr Zurückhaltung hätte dem Thema Aufmerksamkeit und Relevanz entzogen, Merkel, Nahles und Seehofer hätten einen weniger aufsehenden internen Kuhhandel vereinbart. Zurückgeblieben wäre ein beschädigter BfV-Präsident, dem ab sofort noch genauer auf die Finger geschaut werden darf. Stattdessen heißt es nun, zumindest bis zur Bayernwahl, erst einmal: „Guten Tag, Herr Staatssekretär“.

 

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