SPD, Grüne und FDP haben aus energiepolitischer Sicht einen ambitionierten Koalitionsvertrag vorgelegt: 80 Prozent erneuerbare Energien bis 2030, Kohleausstieg „idealerweise“ bis 2030 oder das geplante Klimaschutz-Sofortprogramm im nächsten Jahr sind nur einige Meilensteine der künftigen Bundesregierung. Klar ist: Die neue Regierung muss sich an diesen Zielen messen lassen, aber auch offen sein für eine intensive Debatte über das zukünftige Energiesystem. Ideologische Fokussierungen für oder gegen bestimme Energieträger bringen die Energiewende nicht voran – das zeigt sich gerade auf europäischer Ebene, auf der einige Länder (u. a. Frankreich) Atomenergie als klimaschonende Technologie anerkennen lassen wollen. Vielmehr sind Wirtschaft und Zivilgesellschaft gefragt, den Koalitionsvertrag als Aufruf zu interpretieren, Kontaktpunkte zur Politik zu suchen und eigene Praxisperspektiven einzubringen.
Klimaschutz wird nicht nur im Klimaschutzministerium gemacht
Die klimapolitische Zuständigkeit innerhalb des neuen Bundeskabinetts scheint auf dem Papier klar. Die Grünen besetzen mit Robert Habeck das sogenannte Superministerium, das sich um Wirtschaft, Energie und Klimaschutz kümmert. Gleichzeitig besetzt die Partei auch das Umwelt- sowie das Landwirtschaftsressort. Das muss in der Praxis aber nicht heißen, dass die Grünen ihre Klima-Agenda ohne Widerstände umsetzen können. Das sozialdemokratische Bundeskanzleramt besitzt Richtlinienkompetenz und wird wie das ebenfalls von der SPD geleitete Bauministerium Akzente setzen wollen. Gerade im Bereich Bauen gibt es ein besonders hohes Einsparpotenzial an Emissionen. Und die Liberalen? Finanzminister Christian Lindner wird darauf achten, den Staatshaushalt im Zuge der Corona-Pandemie nicht zu schnell zu stark weiter zu belasten. Zudem hat die FDP im Verkehrsministerium die Möglichkeit, eigene klimapolitische Duftmarken zu setzen. In den kommenden Monaten wird sich die Koalition erst finden müssen – Grenzen werden an der ein oder anderen Stelle getestet werden. Ob der „Klima-Check“, also jedes Gesetz auf seine klimatischen Auswirkungen zu prüfen, wirklich zu einer Bewusstseinsschärfung innerhalb der Politik führen, bleibt abzuwarten.
Gelingt mit der Ampel die Energiewende?
Die Ampel-Parteien wollen auch eine gute Regierung für die Menschen sein, die sie nicht gewählt haben. Der Koalitionsvertrag gibt bislang wenig Antworten darauf, wie die Grundlage einer erfolgreichen Energiewende – die Akzeptanz von Verbraucherinnen und Verbrauchern – sichergestellt werden kann. Klar, die Abschaffung der EEG-Umlage oder ein Energiekostenzuschuss für Bedürftige sind erste spürbare Maßnahmen. Eine echte Antwort auf die aktuell rasant steigenden Energiepreise enthält der Koalitionsvertrag allerdings nicht. Gut vorstellbar, dass sich die Ampel-Partner hier im Rahmen der Verhandlungen vertagt haben.
Es bleibt zu hoffen, dass die neue Koalition trotz der Neubesetzung von Ministerien und der damit verbundenen Übergangszeit schnell ins Arbeiten kommt. Das angekündigte Sofortprogramm wird eine erste Indikation geben, wie viel Tempo die Ampel in die Transformation des Energiesystems bringen will.