von Prof. Dr. Christof Ehrhart

Kommunikation kann sich künftig nicht mehr darauf beschränken, ihr Unternehmen nach außen darzustellen. Sie muss ihren Top-Managern erklären, wie die Welt dort draußen das Unternehmen sieht und welche Gründe das hat. Eine Analyse.

Märkte sind Konversationen: so formulierten die Autoren des „Cluetrain Manifesto“ im Scheitelpunkt der New Economy – heute sollte man wohl vom Web 1.0 sprechen – das Mantra der Marktwirtschaft im Zeitalter der Digitalisierung. Wirklich neu war der Gedanke nicht. Tatsächlich gehört es zu den wesentlichen Erkenntnissen der modernen Volkswirtschaftslehre, dass es „bei wirtschaftlichen Transaktionen immer auch um Beziehungen zwischen Menschen geht“, wie Gebhard Kirchgässner in seinem Buch „Homo Oeconomicus“ schreibt. Beziehungen im Rahmen derer feilgebotene Güter und erzielte Preise zugleich Medien eines Dialogs zwischen Anbieter und Nachfrager sind.

SCHATTEN UND LICHT

Mit der Etablierung des Internets als Massenmedium und Marktplatz hat sich allerdings die Intensität dieses Dialogs dramatisch verändert. Die Entwicklung geht vom anonymen Massenmarkt hin – oder sollte man eher sagen zurück – zum direkten Gespräch zwischen Produzent und Konsument. Hier liegen große Chancen, aber auch immense Herausforderungen für Unternehmen. Auf den Plattformen des Web 2.0 sind beide Phänomene zu beobachten. Nutzer beeinflussen – auf Einladung von Unternehmen – durch Bewertungen Design- und Produktionsprozesse. Neben der Sonnenseite dieser „Peer Production“, die Kundenbindung schaffen kann, lernen Unternehmen aber auch die Schattenseiten des „Smart Mobbings“ über Blogs und entsprechende Rating-Angebote kennen, wie Miriam Meckel und Gunnar Bender treffend feststellen. Robert Scoble und Shel Israel bringen diese neue Qualität auf den treffenden Begriff, wenn sie ihre Analyse zu den Veränderungen der Geschäftswelt durch Blogs „Naked Conversations“ betiteln. Weit über den digitalen Marktplatz hinaus hat diese „neue alte“ Logik der Kommunikation zwischen Angebot und Nachfrage Auswirkungen auf die Disziplin der Unternehmenskommunikation. Deren Aufgabenstellung steht traditionell im Spannungsfeld zwischen „innen“ und „außen“. Deutlich zeigt sich dies in den großen Denkschulen der Kommunikationsarbeit, an deren Ausgangspunkt Edward Bernays (1891 bis 1995) und Arthur Page (1883 bis 1960) stehen. Wo Bernays als Ziel der internen und externen Kommunikationsarbeit „engineering of consent“ im Interesse des Unternehmens sah, stellte Page „building good will for the company“ in den Vordergrund. Man könnte auch von „monologischer“ und „dialogischer“ Kommunikationsarbeit sprechen, die man heute auch im Kommunikationsmix jedes Unternehmens findet.

VON INNEN NACH AUßEN

Eines aber haben die Ansätze von Bernays und Page – und damit alle in ihrer Tradition stehenden Kommunikationsstrategien – gemeinsam: die Hauptzielrichtung „von innen nach außen“. Betrachtet man ein Unternehmen als soziales System, so besteht demgemäß die Aufgabe der Unternehmenskommunikation in der „Überredung“ (Bernays) oder der „Überzeugung“ (Page) der Umwelt dieses sozialen Systems mit dem Ziel, die Legitimität des eigenen unternehmerischen Handelns zu untermauern. Obgleich wir das Ende des Zeitalters der klassischen Massenmedien erlebt haben und Unternehmen heute nicht mehr nur durch kritische Berichterstattung von Journalisten begleitet werden, sondern zugleich tagtäglich in den Spiegel lokal, regional und global agierender Stakeholder blicken, die sich digitaler Plattformen im Internet bedienen, ist Kommunikationsmanagement in der Regel noch immer als Einbahnstraße organisiert: „Die da draußen müssen uns hier drinnen doch verstehen“. Dabei ist die Wahrnehmung der sozialen Umwelt, innerhalb derer gleichsam die „licence to operate“ kontinuierlich erneuert werden muss, oftmals sehr eingeschränkt. Während sich der wirtschaftliche Markterfolg objektiv in der Bilanz niederschlägt und nur sehr begrenzt beschönigt werden kann, zeigen sich im Vergleich zwischen Eigenbild und Außenwahrnehmung eines Unternehmens oft deutliche Diskrepanzen.
Überlieferter Unternehmenszweck, in der Vergangenheit erfolgreiche Produkte und Dienstleistungen oder auch unternehmerisches Selbstverständnis wirken als Schablone, die aus der komplexen Umwelt eines Unternehmens nur ein eng umgrenztes Bild herausstanzen. Der Soziologe Niklas Luhmann hat für soziale Systeme, die keine andere Form von Umweltkontakt kennen, den passenden Begriff geprägt: „Selbstreferenz“. Man könnte auch von kommunikativer Nabelschau sprechen.

EMPATHIE

Das Schlüsselwort für die erfolgreiche Ausrichtung der Unternehmenskommunikation lautet „Empathie“. Hier geht es nicht um Revolutionierung der Instrumente. Von Feedback-Kanälen im Internet bis hin zu breit angelegten Stakeholder-Dialogen reicht die Palette der Neuerungen, die in den letzten Jahren Einzug in die Praxis gehalten haben. Gefordert ist eine Revolution der Einbindung von empathischer Kommunikationsarbeit in die Unternehmensstrategie. Hierzu können und müssen Kommunikationsmanager selbst wesentliche Beträge leisten, wenn sie ernst genommen werden wollen.

KRITISCH BETRACHTEN

Environmental Scanning: Wie James Grunig treffend argumentiert, geht es nicht darum, die soziale Umwelt in möglichst vielen Facetten für die unternehmerischen Entscheider zu erfassen und in Diagrammen und Übersichten darzustellen, sondern wesentliche Faktoren oder Meinungsführer herauszustellen. Hierbei allerdings müssen auch unangenehme Wahrheiten ausgesprochen werden dürfen.
Advocatus Diaboli: Die Erfahrung lehrt, dass es nicht immer im großen Kreis möglich ist, ungeschönt die Außensicht auf das Unternehmen darzustellen. Für den Vorstandsvorsitzenden muss der Kommunikationschef aber Advocatus diaboli sein, um unternehmerische Entscheidungen aus dem Blickwinkel der Umwelt zu bewerten und den Firmenlenker so mit den kommunikativen Folgen seines Handelns – gleichsam vorausschauend – zu konfrontieren.
Scenario-Technik: Die Gefahr, in der internen Wahrnehmung des Top-Managements vom professionellen Advocatus Diaboli zur nicht ganz ernst genommenen Kassandra zu werden, ist groß. Daher ist es sehr hilfreich, wenn sich das Kommunikationsmanagement nicht in eine denkbare negative Folgewirkung einer anstehenden unternehmerischen Entscheidung hineinsteigert, sondern verschiedene Szenarien entwickelt und diese mit Wahrscheinlichkeits-Einschätzungen versieht. Diese Vorgehensweise erlaubt es dann auch, eher komplexe Sachverhalte darzustellen und anzusprechen. Für die Arbeit innerhalb der Kommunikationsabteilung können die Szenarien vor allem in Phasen relativer Unsicherheit – etwa in Krisensituationen – zusätzlich als Orientierungshilfe dienen.

SCHLÜSSELDISZIPLIN

In der Abkehr von der Nabelschau und der empathischen Öffnung des Unternehmens für den Informationsfluss von „außen nach innen“ liegen bisher ungenutzte Potenziale strategischer Kommunikationsarbeit. Dies nicht zuletzt vor dem Hintergrund des globalen Hyper-Wettbewerbs, von dem die Weltwirtschaft am Beginn des 21. Jahrhunderts geprägt ist und der völlig neue Erfolgsfaktoren in den Vordergrund spielt. Erfolgsfaktoren, die man vor wenigen Jahren noch als „weich“ verlacht hat, die in den nächsten Jahrzehnten aber als mindestens ebenbürtig neben den „harten Faktoren“ wie Produktqualität und Preis treten werden. Dov Seidman beschreibt in seinem kürzlich erschienen Buch „How“ ein Marktumfeld, in dem es angesichts immer kürzerer Innovationsvorsprünge für einzelne Unternehmen zukünftig weniger darum gehen wird, „was“ man produziert, sondern „wie“ man produziert und vermarktet. Seidman prophezeit in der Folge nicht nur Herausforderungen. Er sieht auch „the opportunity to outbehave the competition“. Wenn er richtig liegt, dann hat soeben das Jahrhundert der Kommunikation als unternehmerischer Schlüsseldisziplin begonnen…

 

Dieser Artikel erschien im Magazin „pressesprecher“, Ausgabe 07/07. Weitere Beiträge zu diesem Thema hat Prof. Dr. Christof Ehrhart im „Communications Director“, Ausgabe 04/07 sowie im „Handbuch Unternehmenskommunikation 2014“ (Zerfaß, Piwinger) veröffentlicht.

 

ZUR PERSON

Prof. Dr. Christof Ehrhart leitet seit März 2009 den Zentralbereich Konzernkommunikation und Unternehmensverantwortung bei der Deutsche Post DHL Group. Von 2007 bis 2008 verantwortete er die weltweite Unternehmenskommunikation des Luft- und Raumfahrtkonzerns EADS. Prof. Dr. Ehrhart hat Politikwissenschaft, Wirtschafts- und Sozialgeschichte und Neuere Deutsche Literaturwissenschaft an der Universität des Saarlandes und der University of Wales studiert. Seit 2010 lehrt er Internationale Unternehmenskommunikation an der Universität Leipzig und wurde 2013 zum Honorarprofessor ernannt.

 

 

VERWEISE

Levine, Rick/ Locke, Christopher / Searls, Doc / Weinberger, David: The Cluetrain Manifesto, New York (Harper Collins) 2000.
Kirchgässner, Gebhard, Homo Oeconomicus, Tübingen (J.C.B. Mohr) 1991, Seite 10.
Bender, Gunnar / Meckel, Miriam: Die Totale Transparenz, in: Pressesprecher, 06/2006, Seite 16-17.
Scoble, Robert / Israel, Shel: Naked Conversations, Hoboken (John Wiley & Sons) 2006.
Bernays, Edward L: Public Relations, Norman (University of Oklahoma) 1952, Seite 157.
Griese, Noel L : Arthur W. Page, Atlanta (Anvil Publishers) 2001, Seite 135.
Luhmann, Niklas: Soziale Systeme, Frankfurt a.M. (Suhrkmp) 21988, Seite 59 ff.
Environmental Scanning: Interview mit James E. Grunig, in: Kommunikationsmanager, II/2006, Seite 64.
Seidman, Dov, How Hoboken (John Wiley & Sons) 2007.

 

Bild: TNOC.photostream, CC BY-NC-ND 4.0