Von Fränzi Kühne

Angesichts der aktuellen Häufung des Unerwarteten in Politik, Gesellschaft Weltentwicklung fällt es nicht immer leicht, die Digitalisierung als Treiber disruptiver Veränderungen hervorzuheben. Und doch ist auch das gegenwärtige politische Klima, ist die Weltentwicklung der Fronten eine Konsequenz und ein Symptom der Digitalisierung. Und sie wird uns weiter­hin treiben. Wir leben in den sprichwörtlichen interessanten Zeiten, die Geschwindigkeit bleibt hoch, und wir alle arbeiten noch an Lösungen und Antworten.

Dazu, wie man dabei sicher und erfolgreich bleibt, beobachten wir überall und immer wieder zwei scheinbar gegensätzliche Tendenzen: die Sehnsucht nach Stabilität – und ihre kompromisslose Ablehnung. Die einen brauchen einen Anker, die anderen fürchten den Ballast.

Natürlich braucht es Stabilität, um auf Neues reagieren zu können und nicht nur vom ihm getrieben zu werden. Diese Stabilität jedoch wird zu oft in Traditionen und Gewohnheiten gesucht: Das Unternehmen ist das Unternehmen, weil es das Unternehmen ist. Es tut, was es tut, weil es tut, was es tut. Nimmt der Veränderungsdruck zu, wird nach Lösungen gesucht, die alles wieder berechenbar machen – und sich idealerweise von dem alten Modell gar nicht so sehr unterscheiden. Vor allem aber sollen diese neuen Lösungen ganz, ganz lange gültig sein. So entsteht der Ballast von morgen.

Die gesuchte Stabilität, die Grundlage der Berechenbarkeit in der Disruption, kann jedoch nur in Werten liegen, in Haltungen und Ideen, die nicht greifbar und physisch sind – kein Organigramm, kein Wandtattoo, keine Posterserie in der Montagehalle. Werte müssen definiert, festgehalten und dann im täglichen Austausch gelebt werden. Wenn sich um uns herum alles verändert, hat praktisch jeder eine Haltung dazu, eine Meinung dazu, wie damit umzugehen sei. Preschen wir nach vorn und verändern wir alles? Experimentieren wir im Kleinen? Erörtern wir ausgiebig die Hintergründe? Oder machen wir einfach weiter wie bisher, solange es eben geht?

Um Antworten darauf zu finden, braucht es keine Dogmen, sondern eine andauernde Wertediskussion, ein ständiges Auffrischen, viel Kommunikation. Gesetze sind immer auch Auslegungssache – und doch schaffen sie einen Rahmen, eine Form von Stabilität und Verlässlichkeit. Was ist das Grundgesetz? Die feste, verlässliche Grundlage einer interpretierenden, sich wandelnden Gesellschaft. Ähnliches gilt es für Unternehmen zu schaffen.

Die Geschichte von TLGG ist trotz aller Sprünge eine sehr konsequente Entwicklung, die wenig mit Spontaneität zu tun hat. Es gab Anpassungen in Ausrichtung und Struktur, doch immer war es uns dabei wichtig, unsere Kultur zu bewahren. Zuerst implizit und aus dem Bauch heraus, irgendwann gemeinsam definiert, festgehalten, kommuniziert und in neue Formen gebracht: eine in Form und Inhalt spezielle Firmenphilosophie 2013, fünf so deutlich wie nötig und so interpretierbar wie möglich formulierte TLGG-Werte 2016.

Wir lernen, wir kommunizieren, wir verändern uns, wir bleiben offen und verflucht interessiert an der Welt um uns herum. Darin sind wir berechenbar. Wir setzen Kompromisse und Provisorien mit 100 Prozent Energie um, wir stehen hinter unseren Mitarbeitern, wir lieben unsere Kunden, wir liefern das wichtige bisschen mehr und wir feiern gern und sind gelegentlich kauzig. Darin sind wir berechenbar. Das ist unsere Basis. Damit wachsen wir weiter.

 

Fränzi Kühne ist Co-Geschäftsführerin der Agentur für Digital Business TLGG. Seit 2017 ist sie Mitglied im Aufsichtsrat der Freenet AG und Deutschlands jüngste Aufsichtsrätin eines börsennotierten Unternehmens.

 

Der Beitrag ist im Dezember 2017 in unserem Jahresbrief „Haltung“ erschienen, Thema der Ausgabe ist „Neue Berechenbarkeit“. 

 

Bild: Jennifer Endom