Von Jan Böttger und Daniel Enke
Die Digitalisierung macht auch vor der Interessenvertretung nicht Halt. Das politische Berlin verändert sich, Debatten werden beschleunigt, neue Kanäle bieten neue Chancen. Wer den Anschluss verliert, findet nicht mehr statt.
Das waren noch Zeiten: Kontakte wurden im Adressbuch aus Papier verwaltet, Dokumente kamen in aller Regel per Post, Computer waren zu schwer zum Herumtragen und das Mobiltelefon ein kleiner Koffer mit großer Antenne. Das war damals am Rhein. Heute an der Spree sieht die Sache anders aus. Computer passen in die Hosentasche, Nachrichten und Dokumente sind jederzeit mobil verfügbar und Kontakte werden in Datenbanken gepflegt. Die Digitalisierung hat das politische Berlin verändert – technologisch, aber auch kulturell.
Der Wandel drückt sich in der ungeheuren Beschleunigung politischer Debatten aus, der kommunikativen Schlagkraft auch kleinster Interessengruppen, in einer direkten politischen Auseinandersetzung nahezu ohne Gatekeeper und der Erwartung der digitalen Community nach eindeutigen Positionen. Auch hier gilt das alte Sprichwort: „Wer nicht am Tisch sitzt, steht auf der Speisekarte.“ Sind Unternehmen und Verbände nicht in der Lage, ihre Positionen digital auffindbar zu machen und die Inhalte der Logik der digitalen Welt anzupassen, findet ein wichtiger Teil der Debatte ohne sie statt.
Daraus lassen sich fünf Ratschläge für die digitale Politikkommunikation ableiten:
1. Wer nicht auffindbar ist, existiert nicht.
Aktuelle Studien zeigen, dass die digitale Auffindbarkeit politischer Positionen im Internet für Interessenvertreter immer wichtiger wird. Eine Umfrage unter Büroleitern von Bundestagsabgeordneten hat ergeben, dass neun von zehn Büroleitern täglich Suchmaschinen für ihre Fachrecherchen nutzen. Wenn also Büroleiter für die nächste Rede ihrer Abgeordneten recherchieren oder ein Fachgespräch vorbereiten, sollten die Unternehmenspositionen im Suchmaschinenranking möglichst unter den ersten Treffern auftauchen. Es reicht also nicht, eine Website mit politischen Inhalten online zu stellen. Die eigenen Positionen müssen neben der Politik auch für die Suchmaschinen Relevanz haben. Darüber hinaus sollten einzelne Beiträge immer auch in den sozialen Netzwerken geteilt werden. Schließlich sind 96 Prozent aller Bundestagsabgeordneten und deren Teams in sozialen Netzwerken aktiv.
2. Nichts ist langweiliger als Einbahnstraßen-Kommunikation.
Klar ist, Sie wollen Ihre Positionen vermitteln. Doch einen ganzen Internetauftritt voller Lobhudeleien auf das eigene Unternehmen möchte niemand ein zweites Mal anklicken. Ordnen Sie Ihre Positionen in eine Debatte ein, lassen Sie andere Akteure zu Wort kommen, werden Sie zum Aggregator interessanter und relevanter Debattenbeiträge zu einem Thema. So tut es beispielsweise das Digitale Hauptstadtbüro der METRO GROUP. Im Stil eines Mediums interviewt das Konzernbüro regelmäßig politische und gesellschaftliche Akteure zu ihrer Sicht auf aktuelle Handelsthemen. Auch kritische Meinungen sind willkommen oder werden gar in einem Doppelinterview direkt gegenübergestellt. Zusätzlich werden auf der Website interessante Tweets rund um Handel und Ernährung durch das METRO GROUP Team kuratiert. So wird das Digitale Hauptstadtbüro zum Newsroom.
3. Like & Share ergänzen Bild, BamS und Glotze.
Gerhard Schröder sagte einmal: „Zum Regieren brauche ich nur Bild, BamS und Glotze.“ Würde er heute noch regieren, wären Like & Share hinzugekommen. Denn es gilt: Gut ist, was schnell rezipierbar, teilbar, klickbar und zitierbar ist. So müssen komplexe politische Sachverhalte visuell durch Infografiken übersetzt oder per Videosequenz in Sekundenschnelle erklärt werden. So praktiziert es beispielsweise Telefónica Deutschland, in deren eigens geschaffener Eventlocation BASECAMP beinahe täglich Veranstaltungen rund um die digitale Transformation stattfinden – ob Netzpolitik, digitale Arbeitswelt, Handel 4.0 oder Shareconomy. Die besten Soundbites der Vorträge und Diskussionen werden über die sozialen Netzwerke geteilt. Vordefinierte Hashtags sorgen für die Auffindbarkeit der Inhalte. So wird die Debatte im Netz fortgeführt. Wer eine Veranstaltung verpasst hat, kann sich einzelne Zusammenschnitte auf YouTube ansehen. An dieser Stelle wird auch klar: Wer online erfolgreich sein will, braucht eine gute Verzahnung mit seinen Offline-Aktivitäten.
4. Politik vertraut Menschen, keinen Portalen.
Alle medienadäquat aufbereiteten Inhalte nutzen nichts, wenn nicht klar wird, wer hinter ihnen steht. Denn der persönliche Kontakt ist noch immer das wichtigste Instrument der politischen Interessenvertretung. Das gilt auch für die digitale Kommunikation. Es sollte transparent sein, wer hinter einzelnen Posts in sozialen Netzwerken oder Artikeln auf der eigenen Website steht. Die METRO GROUP löst dies etwa, indem sich das Politik-Team namentlich mit Foto, Kontaktdaten und Werdegang auf dem Portal vorstellt – inklusive ihrer Aktivitäten in Ausschüssen von Verbänden und Ministerien. So können Politik, Wissenschaft, NGOs und Medien nachvollziehen, mit wem sie es zu tun haben. Und über die persönlichen Kontaktdaten ist die Verbindung schnell hergestellt.
5. Wer sich exponiert, wird diskutiert.
Märkte sind Gespräche. So heißt es im Cluetrain Manifesto von 1999 – und gilt heute mehr denn je, gerade in der politischen Kommunikation. Denn wer sich mit Meinungen und Argumenten öffentlich nachvollziehbar in eine politische Debatte einschaltet, muss damit rechnen, auch kritisch diskutiert zu werden. In diesem Fall kommt es auf Reaktionsschnelligkeit und Sprachfähigkeit an. Und weil sich bis heute viele Unternehmen vor der Erteilung kommunikativer Prokura für ihre politischen Vertreter scheuen, verabschieden sie sich folgerichtig von der Idee der digitalen Politikkommunikation. Ein Gordischer Knoten, den zu zerschlagen es an der Zeit wäre.
Digitale Kommunikation im politischen Raum erfordert neben Fragen der Auffindbarkeit und Aufbereitung vor allem Schnelligkeit, Klarheit, Dialogbereitschaft und Kritikfähigkeit. Das klingt nach Plattitüden und erfordert doch ein deutliches Umdenken vieler Interessenvertreter in Unternehmen und Verbänden. So befördert der technologische Fortschritt eben auch einen kulturellen Wandel bei den Interessenvertretern. Und auch hier gilt: alles eine Frage der Haltung.
Der Beitrag ist im Dezember 2016 in unserem Jahresbrief „Haltung“ erschienen, Thema der ersten Ausgabe ist „Guter Lobbyismus“.
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