von Philipp Neuenfeldt und Bernd Roschnick

Zwei Tage bevor das Bundeskabinett am 31. August über die Digitalstrategie beraten wird, feiert Philipp ein kleines Jubiläum. Dann ist sein eBay-Account 21 Jahre alt. Auf otto.de, dem hiesigen Bestell-Pionier, hätte er schon 1995 online bestellen können. Auch in anderen Bereichen gab es frühzeitig deutsche Wettbewerber: XING wurde 2003 gegründet, studiVZ folgte zwei Jahre später und 2008 ging Zalando an den Start. Nur wenige Wettbewerber konnten sich langfristig behaupten und weltweit skalieren. Heute finden sich im DAX mittlerweile zwei ehemalige Startups (Zalando und hellofresh). Der kleine Exkurs zeigt: Über Erfolg und Misserfolg entscheiden auch die Rahmenbedingungen. Schafft es die Digitalstrategie der Bundesregierung neue Maßstäbe zu setzen?

Der Digitalstrategie kommt vor allem die Aufgabe zu, wenigstens der deutschen Infrastruktur und Verwaltung einen längst fälligen Booster zu verleihen. Denn nach den obligatorischen Pilgerreisen von Minister:innen und Abgeordneten an die Orte, aus denen viele bekannte Startups kamen, ist etwas Ernüchterung eingezogen. Weder gelang es, aus Berlin Tel Aviv zu machen (auch wenn es mittlerweile sehr guten Hummus in der Stadt gibt), noch hat man es Ausgründungen aus dem Wissenschaftsbetrieb so leicht machen können wie in Israel oder so viel Wagniskapital versammeln können wie an der US-Ostküste.

Vor der parlamentarischen Sommerpause sickerte nun eine erste Entwurfsfassung dieser Digitalisierungsstrategie durch, am Donnerstag, den 18. August dann die ressortabgestimmte Fassung. Wir haben uns beide Stände angesehen.

Uns fällt sofort auf, dass es ein echtes Strategiedokument ist: Auf eine schonungslose Analyse folgt ein Zielbild, dann konkrete Handlungsfelder und schließlich Maßnahmen, die bis 2025 bzw. 2030 bereits Wirkung entfalten sollen. Alle relevanten Ressorts (Wirtschaft, Bildung/Forschung, Arbeit, Umwelt, Innen, Justiz, Verteidigung) haben zugeliefert und sich an der Formulierung messbarer Ziele beteiligt.

Sehr erfreulich ist, dass die Digitalstrategie nach der Ressortabstimmung konkret geblieben ist. Natürlich bleibt sie erwartbar im Duktus von Koalitionsverträgen („wir haben vor, …“, „streben wir an bis …“). Trotzdem nennt die Bundesregierung Verantwortlichkeiten (welche Ressorts sind federführend, welche mitberatend), Steuerungsinstrumente (Staatssekretärsausschuss) und beziffert ihre Ziele an messbaren Kriterien: „Ende 2025 ist die Hälfte aller Haushalte und Unternehmen mit Glasfaser versorgt.“ (siehe Abb. 2, Zielformulierung FTTH).

Dass das gleichwohl ein noch sehr ambitioniertes Ziel ist, wird erst im Faktencheck klar: Die meisten Bundesländer setzen beim Ausbau bisher auf einen Mix aus DSL-Vectoring und echten Glasfaseranschlüssen bis zum Haus (FTTH). Seit vielen Jahren fördert bspw. das Land Schleswig-Holstein über kommunale Breitbandzweckverbände den FTTH-Ausbau und kommt derzeit auf 58 Prozent anschlussfähige Haushalte. Bis 2025 soll allen Haushalten ein Glasfaseranschluss angeboten werden können.

Wer das Thema kennt, weiß, dass der Ausbau in der Fläche viel Geld kostet. Förder-Frust gibt es hingegen in den Städten, weil dort – nach EU-Kriterien – kein Marktversagen vorliegt. Neben DSL gibt es dort oft ein Coax-Kabel Angebot, deshalb kann der Bund nicht so stark fördern.

Wie genau der Bund dieses Problem lösen wird, verrät das federführende Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) noch nicht. Dort setzt man erst einmal darauf, das alternative Verlegeverfahren (wie das Trenching) und ein Gigabitgrundbuch das Ausbautempo erhöhen werden.

Auch steht jetzt fest, dass das BMDV dem zur Umsetzung der Maßnahmen einzusetzenden Staatssekretärs-Ausschuss vorsitzen wird. Das war beim ersten Aufschlag der Ressortzuständigkeiten für Digitales, den das Bundeskanzleramt ebenfalls vor dem Sommer in die Ressorts gegeben hatte, schon angelegt – aber ob das so bleiben würde, galt nicht in allen (nicht FDP geführten) Ministerien als ausgemacht.

Insgesamt hat die Digitalstrategie also über den Sommer weder an Konkretheit noch an Ambitionen eingebüßt in der Ressortabstimmung. Das lässt hoffen.

Wer Koalitionsverträge aufmerksam liest, weiß aber, dass auch hier gilt: Ohne ein Preisschild bleibt alles Prosa. Erst wenn ein Projekt einen Haushaltstitel bekommt, kann es auch umgesetzt werden. Am Ende scheitert es oft an den fehlenden Investitionsmitteln, nicht an politischen Ambitionen, konkreten Ansätzen oder Projektideen. Das das hat man in schon in den Bundesländern beobachten können, die mit ambitionierten Digitalisierungsstrategien auf sich aufmerksam gemacht haben, später aber kleinlaut ihre Ziele in der Schublade verschwinden ließen, weil kein Geld da war.