Von Patricia Weiß und Fabian Voß
Das manchmal sehr genügsame Deutschland hat sich in der Sommerpause etwas Zeit zum Durchatmen gegönnt. Irgendwo zwischen Übermut und Leichtsinn hat noch jede:r Urlauber:in ein erholsames Ziel gefunden und den Covid-19 Stress der letzten Monate mit einer bekömmlichen sommerlichen Weißweinschorle herunterspülen können. Mit großem Sicherheitsabstand zum Nebenmann und dem furchteinflößenden Weltgeschehen, versteht sich. Nun also back to normal business? Ja und nein – denn die Sommerpause mag ihr Ende finden, Covid-19 tut es nicht. Der Ausblick auf die kommenden kalten Kalenderwochen ohne Impfstoff dürfte die allgemeine Gemütslage eher drücken.
Und gerade deshalb ist es zum alljährlichen beruflichen Re-start ab Herbst wichtig, kurz innezuhalten und ein paar Veränderungen in einem Bereich zu reflektieren, der die Sommerpause aufgrund von Dauerstress dringend nötig hatte: Die Gesundheitsbranche. Dem Sektor hätte in den vergangenen Monaten wohl niemand das Attribut „systemrelevant“ abgesprochen, da viele seiner Akteure – stating the obvious – nicht selten an vorderster Front mit unserem Überleben beschäftigt waren. Was verändert sich für eine Branche in einer solch intensiven Zeit? Welche Trends sollten Kommunikator:innen aus der Gesundheitsbranche berücksichtigen, um systemrelevant zu kommunizieren? Dazu drei Gedanken.
- Wer erfolgreich kommunizieren will, setzt voll und ganz auf die Wissenschaft.
Die Wissenschaftskommunikation boomt. Nicht nur erhalten Wissenschaftler:innen aktuell mehr Aufmerksamkeit und faktische politische Macht als je zuvor; auch die evidenz- und faktenbasierte Kommunikation ist in unsicheren Zeiten überaus wichtig, um überhaupt als glaubwürdiger Akteur wahrgenommen zu werden. Das setzt Benchmarks für die zukünftige externe Kommunikation von Unternehmen: Für Kampagnen, Face-to-Face Gespräche, Advertising, Influencer:innen – kurzum in jedem Bereich der Unternehmenskommunikation. Unternehmen und Institutionen aus dem Gesundheitssektor werden ihre Produkte, Botschaften und politische Maßnahmen stärker als früher mit Hilfe wissenschaftlicher Beratung und Expertise kommunizieren (müssen).
Wissen schafft Vertrauen – bei Konsument:innen, Investor:innen und Politiker:innen. Ein Unternehmen, das die Schaffung dieses Wissens authentisch verkörpern kann, sichert sich einen klaren Wettbewerbsvorteil. Auch die Erwartungen des Stakeholderumfeldes haben sich verändert: Es merkt genau, welche Produkte, welche Botschaften wirklich sinnhaft und glaubwürdig sind und welche reine Verkaufsinteressen vermitteln. Das bedeutet für Unternehmen auch: Strukturen schaffen, die das notwendige Wissen generieren können. Unternehmen benötigen Forschungs-Units, zumindest aber externe Allianzen mit Forschungsinstituten. Dabei ist essentiell, dass die Unabhängigkeit in der Wissensgenerierung nicht nur nach außen kommuniziert wird, sondern den Forschungsprozess durchzieht.
Unternehmen, die die Wissenschaft kulturell und personell in ihre Mission integrieren, haben verstanden, was Covid-19 verändert hat: Die Einsicht, dass es ohne Forschung nur in die falsche Richtung gehen kann. Für Kommunikator:innen in Unternehmen geht es darum, eine natürliche Kontaktpflege zu wissenschaftlichen Akteuren zu etablieren und mithilfe wissenschaftlich-diskursiven Formaten in den Stakeholder-Dialog zu treten. Das müssen nicht direkt hippe Science Slams sein, die einen echten Mehrwert für die Gesellschaft bieten. Obwohl, warum eigentlich nicht?
- Investitionen in Forschung und Entwicklung haben oberste Priorität.
Der gesamte Gesundheitssektor lebt von Fortschritt, der durch Forschung und Entwicklung entsteht. Das gilt in dauerhaften Krisenzeiten umso mehr. Pharmaunternehmen wurden zuletzt häufig dafür kritisiert, bestimmte Indikationsgebiete innerhalb der Forschung und Entwicklung zu vernachlässigen. So zum Beispiel das Feld der Antibiotika- und Impfstoffforschung, die als aufwändig und teuer gelten. Dies kann für die öffentliche Gesundheit langfristig zum Problem werden. Momentan werden solche Unternehmen als krisenfest und innovativ wahrgenommen, die mit Weitblick und Evidenz vorgesorgt haben und vielleicht sogar an Impfstoffen oder Therapeutika zur Behandlung von Covid-19 beteiligt sind. Dieses Feld ist exemplarisch und steht für den derzeitigen Bedarf.
Verantwortungsvolle Unternehmen gehen in einen Prozess und antizipieren zukünftige Bedarfe: Welche Krankheiten (auch seltene) werden in Zukunft besonders gefährlich sein, auch wenn es sich nicht um die großen Cash-Cows handelt? Forschungsinvestments sind häufig kontrazyklisch. Aber voranzugehen bedeutet eben auch, ein finanzielles Risiko einzugehen. Wer sich zukünftig das Label Branchenleader auf die Fahne schreiben will, muss Forschung und Entwicklung ganz oben auf die Agenda setzen – operativ wie auch kommunikativ.
Dies stellt Herausforderungen an die Kommunikation. Wenn Unternehmen in einen offenen Forschungsprozess gehen, gehört das Szenario des Scheiterns dazu. Kommunikation besitzt nicht einfach die Aufgabe, dieses Scheitern „einzufangen“, sondern zu vermitteln, dass ein Forschungsprozess Offenheit und Mut braucht und der Weg zum Ziel der Erkenntnis niemals frei von Hürden und Risiko ist. Wird diese Neugierde kommunikativ klug begleitet, werden Unternehmens- wie auch Reputationsgewinn langfristig steigen. Das Risiko kann sich also auch aus kommunikativer Sicht durchaus lohnen.
- Unternehmen werden sich noch stärker mit Corporate Digital Responsibility beschäftigen müssen.
Dass es auf Seiten der User:innen gerade in Krisenzeiten einen hohen Bedarf nach digitalen Tools gibt, zeigt die Corona-Warn App der Bundesregierung, die kürzlich die Marke von 17 Mio. Downloads geknackt hat. Ein Benchmark im internationalen Vergleich. Unterdessen entfachten digitale Tools zum Kampf gegen Covid-19 die Debatte um Digital Responsibility auch im Corporate Sector neu. Tracing-Apps, Symptome-Checker, Datenspende-Anwendungen – die meisten greifen auf private Gesundheitsdaten zu. Die Sensibilität dieser persönlichen Informationen muss sich auch in der Debatte um die Markteinführung digitaler Innovationen in der Gesundheitsbranche niederschlagen. Digitale Technologien verlangen insbesondere im Gesundheitsbereich transparent kommuniziert, gut erklärt und begründet zu werden, will man Verbraucher:innen für die Nutzung neuer Anwendungen gewinnen.
Die Selbstverpflichtung zur unternehmerischen Digitalverantwortung knüpft daran an. Werte und Prinzipien wie Informationssicherheit, Datenhoheit, Transparenz und der digitaler Fußabdruck eines Unternehmens entscheiden maßgeblich darüber, ob Verbraucher:innen eine Technologie nutzen oder nicht. Unternehmen müssen sich deshalb eigene Regeln und Standards setzen, die über die Einhaltung gesetzlicher Bestimmungen hinausgeht – bspw. in Form eines komplett nachhaltig gestalteten Datenlebenszyklus. Dies gilt es transparent zu kommunizieren. Unternehmen müssen diese Grundsätze künftig in der viel diskutierten personalisierten Medizin beachten. Nur so wird langfristig Vertrauen und Akzeptanz für die Verarbeitung von persönlichen Gesundheitsdaten in der Öffentlichkeit hergestellt.
Zum Schluss: Zu argumentieren, Covid-19 sei eine tolle Chance für die Gesundheitsbranche, wäre zynisch. Trends zu deuten und Weichen zu stellen, ist jedoch für reflektierte Kommunikator:innen unumgänglich.