Lange Zeit zehrten die Autohersteller von einem guten Verhältnis zur Politik. Warum sich das geändert hat und wie die Branche darauf reagieren kann.

Dieselskandal, Stickoxide, Fahrverbote – es kriselt in der Autonation Deutschland. Wie kann die Luft in den Innenstädten verbessert werden? Wie lassen sich Einschränkungen der individuellen Mobilität vermeiden? Welche Verantwortung tragen die Autohersteller? Lange hat die Große Koalition um Antworten gerungen – nun einigte sich die Bundesregierung in der vergangenen Woche und legte ein Konzept vor.

Das „Konzept für saubere Luft und die Sicherung der individuellen Mobilität in unseren Städten“ soll im Kern die Frage beantworten, wie Dieselautos trotz Fahrverboten in Innenstädte fahren dürfen. Betroffene Verbraucher sollen zwischen Umtauschprämien beim Kauf sauberer Autos und Hardware-Nachrüstungen für Dieselfahrzeuge mit der Abgasnorm Euro 5 entscheiden können. Die Kosten sollen die Autohersteller tragen.

Kein politischer Befreiungsschlag …

Das Konzept steht in der Kritik: Die Frankfurter Allgemeine Zeitung schreibt von einem „faulen Diesel-Kompromiss“, in der Süddeutschen Zeitung ist die Rede von einer ungebrochenen Macht der Autokonzerne.

Die Kritik ist berechtigt: Das Konzept soll zunächst lediglich in 14 Städten und Umgebung gelten; mit der Umtauschprämie kann kein neues Auto gänzlich bezahlt werden; und die Hersteller können weiterhin nicht zu Hardware-Nachrüstungen verpflichtet werden, da die Fahrzeuge nach geltendem Recht zugelassen wurden.

… aber ein Kurswechsel der Bundesregierung

Doch bei aller inhaltlicher Kritik – das Konzept steht beispielhaft für einen Kurswechsel der Bundesregierung gegenüber der Automobilindustrie in den vergangenen Monaten. Das zeigt ein Rückblick auf die bisherigen politischen Entscheidungen.

So zeigte sich die Bundesregierung nach Bekanntwerden des Dieselskandals gegenüber den Herstellern zwar hart im Wort, doch milde in der politischen Entscheidung. Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach auf der IAA 2017 vom exzessiven Ausnutzen von Regelungslücken, vom Täuschen der Verbraucher, vom zerstörten Vertrauen – betonte aber zugleich die wirtschaftliche Relevanz der Branche. Wenige Monate später einigten sich Politik und Industrie bei dem Nationalen Forum Diesel auf Software-Updates – der von den Herstellern präferierten Lösung. Und auch der Koalitionsvertrag zwischen CDU, SPD und CSU stellte die Automobilindustrie nicht auf den Kopf: Der Diesel bleibt dank Technologieoffenheit erhalten, das Thema Hardware-Nachrüstungen wurde in eine Arbeitsgruppe verschoben.

Fahrverbote: Aus der politischen wird eine juristische Frage

Doch in der Zwischenzeit ist aus dem politischen Thema der Fahrverbote eine juristische Frage geworden. Nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts im Februar 2018 wurden erste Verbote in Hamburg erlassen. Stuttgart, Frankfurt am Main und Berlin könnten folgen.

Die Bundesregierung gerät unter Druck – Fahrverbote wollte sie stets vermeiden. Hinzu kommt, dass in den „Pendlerländern“ Bayern und Hessen Landtagswahlen anstehen. So war es der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier, der aus der Union heraus Hardware-Nachrüstungen auf Kosten der Hersteller forderte. Der Kurswechsel der CDU Mitte September 2018 und wenig später von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer beim Thema Umrüstungen überraschte da kaum.

Dass sich das Verhältnis zwischen Bundesregierung und Hersteller verändert hat, das zeigt auch die ab November 2018 geltende Musterfeststellungsklage. Der Bundesverband Verbraucherzentrale (vzbv) und der ADAC bereiten bereits die erste Klage gegen Volkswagen vor.

Die fetten Jahre sind vorbei

In diese Entwicklung reiht sich das nun vorgelegte Konzept ein. Die Botschaft an die Hersteller: Die fetten Jahre sind vorbei. Aufgrund der Bedeutung der Branche sind Regulierungen, die den Autoherstellern massiv schaden, zwar schwer vorstellbar. Doch die Bundesregierung ist getrieben – von juristischen Entscheidungen, von bevorstehenden Landtagswahlen und von einem Vertrauensverlust gegenüber der „etablierten Politik“ im Allgemeinen. Sie muss jetzt Handlungsfähigkeit beweisen. Klar ist: Die Hersteller werden ihre Anliegen nicht mehr problemlos durchbekommen. Für sie heißt es nun Blinker setzen und wenden.

Sie müssen ihre Strategie überdenken. Konkret heißt das, dass erstens die politischen Entscheidungsträger der Länder weniger außen vor gelassen werden sollten als es bislang den Anschein hat. Zweitens sollten auch die zahlreichen und lautstarken Kritiker ernstgenommen werden. Dass die Automobilindustrie Durchsetzungskraft hat, weiß jeder. Jetzt muss sie zeigen, wie es um ihre Dialogkraft bestellt ist. Und drittens scheint die Beharrlichkeit des Ablehnens von Hardware-Nachrüstungen nicht mehr zielführend – mit dem Kopf durch die Wand war gestern. Der Politik sollten neue Lösungsvorschläge unterbreitet werden. Nur so gewinnt man Vertrauen und Fürsprecher zurück.

Und dass die Autohersteller auf Fürsprecher der politischen Ebene angewiesen sind, das zeigen die Dinge, die da kommen: Mit der Festlegung der CO2-Grenzwerte durch die Europäische Union oder dem Wiederaufleben der Diskussion um die Abschaffung des Dieselprivilegs zeichnen sich bereits die nächsten Herausforderungen für die Branche ab.

 

Bild: Shutterstock/Babu Jakkula