Tilman Kuban ist Vorsitzender der Jungen Union und Verfechter eines modernen Konservatismus. Was das mit weißen Turnschuhen zu tun hat und wie sich die Union für die Zukunft rüsten will, hat er uns erzählt. Wir sprachen mit ihm über die Zeitenwende in der Außen- und Sicherheitspolitik, den aktuellen Zustand der Union und die Zukunft der Volksparteien.
Kanzler Olaf Scholz und auch CDU- und Unionsfraktionschef Friedrich Merz sprechen von einer Zeitenwende der Außen- und Sicherheitspolitik. Was bedeutet das für Deutschland?
Wir haben gesehen, dass Wladimir Putin 2008 in Georgien eingefallen ist, dass er die Krim 2014 einfach so besetzt hat und die Reaktion des Westens war gelinde gesagt ausbaufähig. China bringt das Projekt Seidenstraße und die pazifische Freihandelszone auf den Weg und wir reden über Chlorhühnchen und reagieren nicht. In Deutschland sind wir zu lange der Meinung gewesen, dass es uns gut geht, dass wir wirtschaftlich erfolgreich sind und im Wohlstand leben. Dabei haben wir vernachlässigt, dass sich die Welt verändert hat und Machtverhältnisse sich verschieben. Diese Versäumnisse kann man nicht wegdiskutieren.
Sollten wir mehr Weltpolitik wagen?
Deutschland hat eine sehr starke Position in Europa und Europa kann ein starker außenpolitischer Akteur sein. Das gilt für die letzten Jahre mit Angela Merkel und ich hoffe darauf, dass wir diese starke Position auch mit der neuen Bundesregierung behalten. Weil es am Ende darum geht, dass wir Europa Leitlinien geben. Deswegen geht es nicht um die deutsche Position allein, sondern es geht um die Frage: Welche Position hat Europa? Dafür muss beispielsweise das Einstimmigkeitsprinzip in die Außenpolitik der Europäischen Union fallen.
Es gibt Diskussionen zur Wiedereinführung der Wehrpflicht. Das wirft die Frage nach dem Wert des Friedens vor allem für junge Leute auf. Brauchen wir ein allgemeines Dienstjahr?
Es ist einfach, sich hinzustellen und zu sagen, wir müssen ein Gesellschaftsjahr oder die Wehrpflicht wieder einführen. Zur Wahrheit gehört: Damit wird man den Krieg in der Ukraine nicht beenden. Es ist der richtige Ansatz, dass wir als junge Generation, die im Wohlstand groß geworden ist, der Gesellschaft etwas zurückgeben. Denn wir alle sollten erkennen, dass es auch Menschen gibt, denen es schlechter geht. Ein solches Jahr können wir aber nur einführen, wenn die junge Generation davon auch überzeugt ist. Denn Politik gegen die junge Generation darf es nicht schon wieder geben. Die Corona-Zeit war hier wahrlich kein Ruhmesblatt.
Wie gestaltet die Union ihren eigenen Fortschritt und welche Rolle hat die Junge Union bei der Weiterentwicklung der Partei?
Die CDU gibt sich jetzt ein neues Grundsatzprogramm. Dabei ist es Aufgabe der JU, neue Impulse einzubringen, einen modernen, zeitgemäßen Konservatismus zu prägen. Im Wahlkampf haben wir dies als Sneaker-Konservatismus bezeichnet. Nur so hat die Union die Chance, echte Erneuerung zu schaffen.
Was macht den Sneaker-Konservatismus aus?
Die Aufgabe von Union ist es, eine Politik auf der Grundlage von Werten zu machen und nicht dem Zeitgeist hinterherzulaufen. Dabei geht es heute viel mehr um ein verbindendes „Und“ als um ein „Entweder- oder“ wie früher. Da musste man sich entscheiden: Markt oder Staat, bleibt ein Elternteil zu Hause oder gehen beide arbeiten. Das ist doch nicht mehr zeitgemäß. Die Werte sind dafür entscheidend. Carsten Linnemann und ich haben dafür fünf Begriffspaare entwickelt, die den modernen Konservatismus prägen.
Geben Sie uns mal ein Beispiel.
Wir stehen als Partei für Eigenverantwortung und Solidarität. Wir sind solidarisch mit denen, die sich nicht selbst helfen können, aber wir verlangen von den Menschen, dass sie erst einmal für sich und ihre Familie sorgen. Wenn zwei Menschen als Paar Verantwortung füreinander übernehmen, kann es nicht Aufgabe von Unionspolitik sein, zu bewerten, ob das gut oder schlecht ist. Wir als Konservative finden es gut, wenn Menschen füreinander einstehen, ob das heterosexuelle oder homosexuelle Paare sind. Oder zweites Beispiel: Wir stehen für Freiheit und Pluralismus. Deshalb stellen wir uns den Nationalisten und den Protektionisten der AfD entgegen, die mit Abschottungsfantasien agieren. Wir stellen uns aber auch den Linken entgegen, die meinen, dass man zu manchen Themen wie Autofahren, Fleischverzehr oder Gendersternchen nur eine Meinung haben darf. Für mich zählt in einer pluralistischen Gesellschaft das richtige Argument und nicht der Empörungszirkus.
Und was hat das mit weißen Turnschuhen zu tun?
Der Sneaker steht für den modernen Ansatz, der Konservatismus für die Werte, die dahinterliegen. Diese Werte tragen uns und darauf können sich die Menschen verlassen, weil wir bei neuen Entscheidungen unseren Kurs daran ausrichten. Nehmen wir ein weiteres Beispiel. Wir hatten im letzten Jahr eine Debatte rund um Hatespeech. Als Partei, die für Rechtsstaat und Menschenwürde steht, kann es nicht sein, dass leider auch aus unseren Reihen Frauen, die nur, weil sie Frauen sind, im Netz beleidigt und bedroht werden, gesagt wird: „Stellt euch mal nicht so an.“ Position der Union muss sein, dass wir die Opfer und nicht die Täter schützen.
In den letzten Jahren sind wir in Deutschland aber weniger kompromissbereit geworden. Vielmehr wollte jeder seinen persönlich wichtigen Punkt durchsetzen.
25 Prozent sind kein Volkspartei-Ergebnis – weder für die Union noch für die SPD. Ist es noch zeitgemäß, von Volksparteien zu sprechen?
Die grundsätzliche Idee der Volkspartei ist es, alle Teile der Gesellschaft abzubilden und schon in der Partei den Kompromiss zu bauen, in dem sich weite Teile der Gesellschaft wiederfinden. Das unterscheidet uns von monothematischen Klientelparteien. In den letzten Jahren sind wir in Deutschland aber weniger kompromissbereit geworden. Vielmehr wollte jeder seinen persönlich wichtigen Punkt durchsetzen. Dabei hat sicher auch die lange Regierungsbeteiligung beider Volksparteien eine Rolle gespielt. Ich habe das Gefühl, dass wir gerade in der schwierigen Zeit den Wert des Zusammenhalts wieder mehr zu schätzen wissen.
Hat der dauernde Selbstanspruch der CDU, „Volkspartei“ zu sein, dazu geführt, dass die Union nicht mehr mitregiert und dass sie vor allem auch junge Wähler:innen nicht angesprochen hat?
Wir haben in den letzten Jahren nicht mehr deutlich gemacht, wofür wir stehen und was man inhaltlich bekommt, wenn man Union wählt. Wir haben es in den Umfragen bei Jung- und Erstwählern gesehen, was für sie wahlentscheidend war. 50 Prozent haben gesagt, die inhaltliche Ausrichtung und thematische Positionierung. Da wurden Fehler gemacht. Beispiel Uploadfilter: Wir als JU haben frühzeitig gewarnt, aber man wollte es nicht hören. Auch beim Thema „Fridays for Future“ haben wir uns zu lange damit beschäftigt, wann demonstriert wurde, und zu wenig damit, warum und wofür. Da bin ich auch selbstkritisch. Und dann kam die Corona-Zeit, in der wir die junge Generation komplett vernachlässigt haben. In Debatten mit der Bildungsministerin und dem damaligen Finanzminister zu Beginn der Pandemie haben wir dafür plädiert, den Studenten zu helfen, die ihren Minijob verloren hatten. Und mir wurde dann erzählt, sie könnten ja einfach durch das Elternhaus finanziert werden. Da hab ich gedacht, ich bin im falschen Film.
Die Junge Union hat sich dafür eingesetzt, mehr Frauen im CDU-Bundesvorstand zu haben. Wie will es die Union schaffen, auch für Frauen attraktive Politik zu machen?
Die Union muss sich nicht verstecken. Wir hatten 20 Jahre eine Frau als alleinige Parteivorsitzende. Das hat keine andere Partei geschafft. Aber wir brauchen auch in Zukunft starke junge Frauen. Und die Junge Union sorgt für diesen Nachwuchs. Wir haben in meiner Amtszeit den Anteil an Frauen im JU-Bundesvorstand fast verdoppelt – von 23 auf 41 Prozent. Außerdem haben wir es geschafft, fünf junge Frauen für eine Kandidatur für den CDU-Bundesvorstand zu motivieren. Und die wurden auch alle gewählt – zwei starke Männer übrigens auch.
Das Gespräch führten Patricia Weiß und Maximilian Kosing.
Tilman Kuban gehört zu der neuen Generation der CDU und gilt als Nachwuchshoffnung für die Neuausrichtung der Partei. Der studierte Jurist ist seit 2019 Bundesvorsitzender der Jungen Union Deutschlands und seit 2021 Mitglied im Bundestag. Kuban gehört dem konservativen Flügel der CDU an.