Für das Handelsblatt ist die Sache klar: „Wir brauchen Unternehmer, die sich kompetent einmischen“. (Handelsblatt, 18. April 2012). Seit dem Umzug von Parlament und Regierung nach Berlin hat sich Public Affairs als Funktion in Unternehmen und als Beratungsfeld fest etabliert. Heute, nach mehr als einer Dekade Public Affairs in Deutschland und dem Ende des bloßen Adressbuch-Lobbyismus stellt sich die Frage: What’s next? Was bedeuten verantwortliche Interessenvertretung, glaubwürdige Kommunikation und kompetenter Umgang mit Stakeholdern für Strategie und Geschäftsmodell von Unternehmen – und welche Rolle spielt Beratung dabei?
Sich kompetent einmischen – kann man es so auf den Punkt bringen?

Der folgende Beitrag liefert neben einer Bestandsaufnahme der politischen Beratung Thesen für die künftige Entwicklung von Public Affairs.

Aus sehr guten Beratern werden Partner ihrer Auftraggeber, Durchschnittsberater bleiben Dienstleister.

Agenturen und Unternehmen haben sich in den vergangenen Jahren in ihrer Public Affairs-Kompetenz und ihrer Themenexpertise stark professionalisiert. Mit der de’ge’pol (Deutsche Gesellschaft für Politikberatung) hat sich eine Interessenvertretung etabliert, die längst nicht mehr nur aus Agenturvertretern besteht, sondern daneben ein breites Spektrum von Public Affairs – Verantwortlichen aus Unternehmen, Nichtregierungsorganisationen und Verbänden abbildet. Unternehmen investieren mit zusätzlichen finanziellen und personellen Ressourcen in ihre Public Affairs – Arbeit. Auch die Verbände haben die Zeichen der Zeit erkannt (und die Abgesänge auf sie gehört) und stellen sich Schritt für Schritt auf divergierende Interessen ihrer Mitglieder ein. Temporäre, thematisch ausgerichtete Unternehmensallianzen und -plattformen nehmen in Zahl und manchmal auch in Bedeutung zu.

Alle haben gelernt: Aus der „regulatorischen Brandbekämpfung“ ist ein Bewusstsein gewachsen, sich auf politische und gesetzgeberische Vorhaben einzustellen und vorbereitet mit ihnen umzugehen.
Agenturen und Beratungen müssen die Themen und Prozesse beherrschen (Pflicht) und ihren Auftraggebern immer wieder Impulse geben, die aus der regelmäßigen Herstellung des Gesamtbildes erwachsen (Kür). Sind wir noch auf dem richtigen Kurs? Haben wir alle Informationen, die wir benötigen, um Entscheidungen zu treffen? Dringen wir mit unseren Botschaften durch? Am Rand vermerkt: Das Beherrschen von Prozessen und Instrumenten sowie das Abarbeiten von Jahresplänen sind keine Differenzierungs- und noch weniger Qualitätsmerkmale. Es ist die Grundlage.

Schon heute gilt: Sehr gute Berater sind Partner ihrer Auftraggeber, Durchschnittsberater bleiben Dienstleister. Doch die Weiterentwicklung und der Lernerfolg unserer Branche erlauben kein entspanntes Zurücklehnen. Business „as usual“ wird es nie geben. Die Herausforderungen haben sich geändert. Und sie ändern sich weiter. Weniger die klassischen politischen Prozesse, weniger die fachliche Komplexität werden zum Problem, sondern vielmehr die Breite der Debatte, die Vielfalt neuer Akteure und das zumindest theoretisch und manchmal auch tatsächlich vorhandene Aufregungspotential der Öffentlichkeiten. Immer kürzer werdende Empörungszyklen sind nicht neu, ihre Breite schon. Damit umzugehen, das fällt vielen Unternehmen schwer.

Profil ist wichtiger als Adressbücher. Das heißt aber auch: Erkennbarkeit hat etwas
mit Haltung zu tun

Die neue Verteidigung der eigenen Reputation heißt Offensive. Denn wenn die Breite der Debatte zunimmt, dann kann man durch bloßen Spin nicht mehr gewinnen. Man muss sich der Debatte stellen, an ihr teilnehmen, für eigene Positionen werben, Widerspruch nutzen und sich nicht ängstlich entziehen.

Das bedeutet auch, dass Kommunikation mit Politik und Gesellschaft wesentlich strategischer und integrierter wird, werden muss. Diese neue Führungsfunktion führt zur Aufwertung der Public Affairs-Verantwortlichen sowie zu einer engeren Verzahnung mit den Stabsstellen und Geschäftsbereichen in den Unternehmen.

Rüstzeug für die kommenden Jahre: Verlässlichkeit, professioneller Austausch und Persönlichkeit

Erkennbarkeit durch Haltung sowie Transparenz und Verlässlichkeit im Dialog sind unabdingbare Qualitäten, um im Konzert der Themen- und Stimmenvielfalt zu verfangen.
So wachsen Vertrauen und Berechenbarkeit im positiven Sinne. Die Realität des Gesprächspartners auf der „anderen“ Seite zu kennen, zu respektieren und mit ihr umzugehen ist eine wichtige Voraussetzung für erfolgreiche Beratung und nachhaltige Interessenvertretung.

Der professionelle Austausch und das Wechseln zwischen den unterschiedlichen Welten von Wirtschaft, Politik, Medien und NGOs werden immer wichtiger, denn Erfahrung kann man nicht lernen. Keine noch so ausgereifte akademische Professionalisierung wird den notwendigen Austausch durch die „Drehtür“ der Berufswelten und der Wissenschaft ersetzen. Klare Kodizes und Verhaltensrichtlinien sind die verbindenden Elemente für die politische Kommunikation auf allen Ebenen.

Die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Beratungen wird auf diese Weise immer empfehlungsbasierter und projektorientierter. Es zählt nicht mehr die Leistungsfähigkeit aus Größe, sondern ein intelligent geführtes Netzwerk aus Erfahrung, Integrität und Anspruch, das den Mut und die Qualität aufbringt, ständig nach Exzellenz zu streben, zu hinterfragen und so den  Nachweis des Beratungswertes zu erbringen. Nach eingehender Beobachtung des Marktes finden sich diese Merkmale mittlerweile zumeist in Beratungen kleinerer bis mittlerer Größe – sogenannten „Boutiquen“.

Sich einmischen, in der Breite der Themen, erkennbar sein – darum wird es gehen.

So gerüstet, können Unternehmen, Verbände und ihre Beratungen erfolgreiche Public Affairs – Arbeit leisten. Die Elemente dieses Rüstzeugs sind nicht neu, doch ihnen kommt eine andere Gewichtung zu als vor einigen Jahren.

Wo früher Prozesswissen und ein gutes Kontaktnetzwerk den Kunden beeindruckten (und das Anliegen erfolgreich bewältigen konnten), sind es heute das integrierte Vorgehen in der Kommunikation, die Entwicklung der richtigen Haltung zur Teilnahme an Debatten, zum aktiven Handeln, auf die es ankommt.

Wenn wir das oben Beschriebene unter „Corporate Affairs“ subsumieren – dann ersetzen Corporate Affairs die Public Affairs in heutigem Sinne. Und das bringt genug Herausforderungen für die kommenden Jahre. Langweilig wird es nicht.

Der Autor

Cornelius Winter ist Gründer und Geschäftsführer der 365 Sherpas GmbH.
Seine Schwerpunkte sind die strategische Beratung, die politische Dimension von Unternehmensstrategien und -aktivitäten sowie Positionierungs- und Performancekonzepte für Führungskräfte aus der Wirtschaft und dem öffentlichen Sektor.

 

Dieser Beitrag wurde zuvor auf Polisphere veröffentlicht.

 

Bild: Cornelius Winter