„Schön war die Zeit“ – so titelte der Tagesspiegel in seinem Agenda-Buch am 7. Oktober 2014 und meint damit die „Bonner Zeiten“ und den „Korporatismus“, der die Republik regierte.

Die Frage nach der heutigen und künftigen Rolle von Verbänden wird nicht leiser. Erst kürzlich widmete das Institut für Gesetzgebung und Verfassung der Humboldt-Universität Berlin eine ganze Tagung der Frage „Interessengeleitete Gesetzgebung – Lobbyismus in der Demokratie“ und dem Einfluss von Verbänden.

Es ist allerdings zu einem wenig produktiven Ritual geworden, wenn Meinungsträger und Berichterstatter in regelmäßigen Abständen das Totenglöckchen der Verbände läuten. Vielmehr geht es darum, dass sich Verbände auf die Zukunft einstellen und „Neue Wege gehen“, um den Anschluss nicht zu verlieren und für ihre Interessen und Mitglieder vorne zu bleiben.

10 Thesen für eine erfolgreiche Verbandsarbeit der Zukunft stellen wir hier zur Diskussion:

1. Verantwortung

Die Anforderungen des Verbandsumfeldes haben sich verändert. Während Verbände in der Vergangenheit eher den Status Quo verteidigt haben, sollen sie heute veränderungsbereit, lösungsorientiert und partnerschaftlich sein. Um in Zukunft an Debatten teilnehmen zu können und mit der eigenen Stimme gehört zu werden, muss sich das kommunikative Selbstverständnis und die Haltung des Verbandes wahrnehmbar ändern.

2. Europa

Europa geht nicht nebenher. Interessenvertretung in Brüssel erfordert die aktive Synchronisierung eigener Aktivitäten mit Mitgliedsunternehmen und europäischem Dachverband. Eigene belastbare und dauerhaft gepflegte Kontakte, insbesondere zu nationalen Repräsentanten in den europäischen Institutionen, sind essenziell.

3. Transparenz

Transparenz ist heute die zentrale Anforderung an gute Kommunikation. Durch langsame Reaktion, defensive Haltung und den Mangel an belastbaren Dialogkanälen entsteht oft eine „vermutete Intransparenz“ und Gerede über eine Branche, aber nicht mit ihr.

4. Digitalisierung

Ein Verband muss nicht in jedem sozialen Netzwerk vertreten sein, sondern braucht erst einmal eine erkennbare ‚Visitenkarte’ im Internet. Die Homepage ist das Schaufenster jedes Verbandes. Zugleich ermöglicht es eine wirkungsvolle Binnenkommunikation in Richtung der Mitglieder. Von einer zeitgemäßen Onlinepräsenz aus kann bei Bedarf Kurs auf weitere Kommunikationsmaßnahmen genommen werden. Doch zunächst müssen die Basis und der erste Eindruck stimmen.

5. Sprache

Für den erfolgreichen Dialog mit Medien und der Öffentlichkeit sind leicht zugängliche Statements, eingängige Sprachregelungen und ein angemessener Wortschatz, implementiert auf allen Ebenen eines Verbandes, unabdingbar. Dann besteht man auch vor Mikrofonen und Kameras und die eigenen Botschaften werden merk- und zitierfähig.

6. Gleichberechtigung

Die Quote kommt. Viele Unternehmen und Verbände haben die Vorteile eines ausgewogenen Geschlechtermix längst von allein erkannt. Der Wettbewerb um weibliche Führungskräfte ist daher in vollem Gange. Employer Branding und die damit verbundenen strukturellen Voraussetzungen werden für Verbände immer wichtiger.

7. Wissensmanagement

Verbände sind die wichtigsten Meinungsbildner für Branchenthemen. Mitglieder wollen zeitnahen Wissenstransfer durch schnelle Kanäle. Das Wissensmanagement von Verbänden braucht neue kommunikative Formate, um mit der Geschwindigkeit von Veränderungen Schritt zu halten.

8. Legitimität

Verbände stehen vor der Herausforderung, sich als Interessenvertretung jeden Tag aufs Neue zu beweisen. Temporäre Initiativen und digitale Plattformen konkurrieren mit traditionellen Verbänden um Einfluss. Auch die eigenen Mitglieder bauen ihre Infrastruktur für unternehmenseigene Interessenvertretung kontinuierlich aus. Der Mehrwert der Verbandsarbeit muss den Mitgliedsbeitrag permanent legitimieren.

9. Risikomanagement

Kritik und Krisen sind oft das Ergebnis unzureichender Kommunikation. Haltung und Ablauf der Krisenreaktion müssen definiert sein, bevor der Krisenfall eintritt. Schnelligkeit und Klarheit sind das A und O, um aufkommender Kritik den Wind rechtzeitig aus den Segeln zu nehmen.

10. Big Data

Daten gelten neben den traditionellen Produktionsvariablen Arbeit, Kapital und Boden als neuer Erfolgsfaktor. Problematisch ist, dass riesige Datenströme aus E-Mails, Servern und mobilen Systemen im Verband unstrukturiert und dezentral gespeichert werden. So geht ein Goldschatz an wichtigen Informationen für Verbände als auch Mitglieder dauerhaft verloren.

 

Der Autor

Heiko Wiese ist Gründer und Geschäftsführer der 365 Sherpas GmbH. Seine Schwerpunkte sind die strategische Beratung, die politische Dimension von Unternehmensstrategien und -aktivitäten sowie Positionierungs- und Performancekonzepte für Führungskräfte aus der Wirtschaft und dem öffentlichen Sektor.

 

Bild: Jan Böttger