In den knapp anderthalb Jahren der Coronakrise ist in der Politik vieles schief gelaufen. Gnadenlos wurden Managementdefizite, Kommunikationsschwächen und Kooperationsunfähigkeit offen gelegt. Nicht überraschend – und in vielen Fällen zurecht – hat die Pandemie einige politische Verantwortungsträger:innen ihr Amt gekostet. Aber ist das harte Urteil gerechtfertigt? Versuchen wir mal eine wertschätzende und verständnisvolle Sichtweise:
Historische Herausforderung
Seit Jahrzehnten waren Politiker:innen nicht mehr mit einer so massiven Herausforderung sowie mentalen und körperlichen Arbeitsbelastung konfrontiert wie in diesen anderthalb Jahren. Sie mussten mehr denn je Entscheidungen treffen, die unsere persönliche Freiheit einschränken, die unsere menschlichen Beziehungen beeinträchtigen, die unsere Existenz bedrohen. Gleichzeitig war die Politik permanent von Einschätzungen der Expert:innen abhängig, die noch dazu teils sehr unterschiedliche Meinungen vertreten haben. Jede Entscheidung war eine Abwägung zwischen der Gesundheit, vielleicht sogar dem Leben von Menschen einerseits und der Rettung von Wirtschaft und Arbeitsplätzen andererseits. Jede Entscheidung war und ist angreifbar. Das ist zwar für die Politik normal, die Dimension der Entscheidungen und ihrer Auswirkungen hat aber doch alles übertroffen, was wir in den letzten Jahrzehnten erlebt haben. Und es gibt weltweit keine Regierung, von der aus heutiger Perspektive gesagt werden kann, dass sie alles richtig gemacht hat.
Enorme Belastung für alle
In der Zeit der Pandemie hat die psychische Gesundheit von uns allen massiv gelitten. Beklemmungszustände, Existenzängste oder Arbeitsüberlastung haben bei den allermeisten von uns zu mentalen Krisen und Depressionen geführt. Bei Politiker:innen ist das nicht anders, hinzu kommen bei ihnen noch exorbitanter öffentlicher Druck und die ungeheure Verantwortung für hunderttausende Menschenleben. Der österreichische Gesundheitsminister musste nach zwölf Monaten Pandemiebekämpfung aus gesundheitlichen Gründen seinen Rücktritt erklären. In seiner Abschiedsrede verwies er darauf, in diesem Jahr nur einen einzigen freien Samstag gehabt zu haben – von Urlaub ganz zu schweigen.
Politik am Pranger
Von der sich durch den Impffortschritt abzeichnenden Entspannung profitiert die Politik aber kaum. Stattdessen steht sie unter Beschuss für die Fehler, die in der Virusbekämpfung passiert sind. Anstatt Lob und Dank für ihr Handeln oder zumindest Verständnis und Mitgefühl für ihren Einsatz zu bekommen, stehen sie für ihre Entscheidungen am Pranger. Jeder kleine Fehler wird in Medien und durch die Opposition ausgeschlachtet. Dazu kommen Tausende, die auf die Straße gehen, um gegen die Regierung zu demonstrieren und sie zum Rücktritt aufzufordern. Und bei der nächsten Wahl droht ein Denkzettel.
Gerade in der Anfangsphase der Pandemie wurden den Held:innen des Alltags viel Applaus und Anerkennung gespendet: den Pflegenden, den Ärzt:innen, den Supermarktangestellten und allen anderen, die unsere Grundinfrastruktur aufrecht erhalten. Auch Politiker:innen sollte diese Anerkennung zuteil werden – zumindest jenen, die gehandelt haben, die handeln mussten. Auch sie haben Übermenschliches geleistet in dieser Zeit. Sie haben bei weitem nicht alles richtig gemacht. Aber sie hatten einen verdammt harten Job, uns alle einigermaßen heil aus dieser Krise zu bringen.
Ein Applaus für die Politik!
Beitragsbild: © Europäischer Rat / European Council